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Schachmatt im Kalten Krieg

Es wurde von der Politik hochstilisiert als "Match des Jahrhunderts", gleichzusetzen als Duell von Kapitalismus und Kommunismus. Der amerikanische Schachspieler Bobby Fischer trat an gegen den russischen Weltmeister Boris Spasski - und die Welt blickte gebannt auf ein Schachbrett.

Von Thomas Jaedicke | 01.09.2012
    Im Sommer 1972 steckt die Welt mitten im Kalten Krieg. In Vietnam kämpfen die USA gegen einen Feind, den sie nicht besiegen können. Der von den Sowjets angeführte Ostblock liegt wirtschaftlich am Boden. Ein Wettkampf zwischen dem Amerikaner Bobby Fischer und dem russischen Titelverteidiger Boris Spasski ist da viel mehr als ein Duell um die Schachweltmeisterschaft. Er steht auch für den Kampf der Supermächte um die Vorherrschaft auf der Welt. Ost gegen West. Weiß oder Schwarz.

    "Ich habe also mit dem Premierminister gesprochen, dem isländischen. Und er hat mit dem Botschafter der Vereinigten Staaten gesprochen."

    Gudmundur Thorarinsson war 1972 der Organisator des prestigeträchtigen Duells. Es sollte in Islands Hauptstadt Reykjavik auf neutralem Boden stattfinden.

    "Und er hat zu ihm gesagt, wir wünschen, dass Sie werden alles machen, was Sie können, um den amerikanischen Schachspieler nach Island zu bringen."

    Aber Bobby Fischer ziert sich. Nicht nur das Preisgeld von 78.000 Dollar, auch der Turniermodus von 24 Partien ist ihm zu niedrig. Mit immer neuen Forderungen zögert der 29-jährige Exzentriker seine Abreise hinaus. Schließlich schaltet Islands Premierminister Washington ein. Henry Kissinger, damals nationaler Sicherheitsberater im Weißen Haus, muss Fischer an seine patriotische Pflicht erinnern.

    "Kissinger hat Fischer telefoniert und sagt zu ihm, wir wünschen, dass Du nach Island fährst und siegst über den Russen."

    Nachdem ein britischer Millionär noch das Preisgeld verdoppelte, ging es am 11. Juli endlich los. Doch Fischer verlor die erste Partie durch einen Anfängerfehler, es gab neue Komplikationen. Zur zweiten Partie erschien er nicht, weil die Kameras auf der Bühne seine Konzentration störten. Nur mit Mühe und Not konnte das Turnier in einem Hinterzimmer fortgesetzt werden, aber auch dort fühlte sich der hypersensible Amerikaner nicht wohl. Das Match des Jahrhunderts stand vor dem endgültigen Aus, erinnert sich Schiedsrichter Lothar Schmid:
    "Und irgendwie gelang es, die beiden hochgewachsenen Leute an das Spielbrett zu bringen, und ich drückte auf deren Schultern mit den Händen, sodass ich sagte: um Gottes Willen! Spielt jetzt! Und tatsächlich im Setzen machte Boris Spasski automatisch seinen ersten Zug: d2-d4. Er hatte Weiß."

    Fischer spielt eine grandiose Partie, Spasski gibt auf. Zum ersten Mal in seiner Karriere kann er den Russen schlagen. Das ist der Wendepunkt im WM-Turnier. Die 21. Partie bringt schließlich die Entscheidung. Nach mehr als drei Jahrzehnten verlieren die Sowjets den Titel. Am 1. September 1972 ist Bobby Fischer, dieser eigenartige Mann aus Brooklyn, der sich als Kind das Spiel selbst beibrachte, am Ziel. Er ist Schachweltmeister.

    "Anfangs spielte ich mit meiner Schwester. Aber die war nicht so interessiert. Und dann fing ich an, gegen mich selbst zu spielen. Ich machte also die weißen und die schwarzen Züge. Ich musste den Anderen immer genau beobachten. Aber ich habe immer gewonnen."

    "Das Publikum rastete aus. Fischer lächelte, als Schmid ihm die Hand gab, dann nickte er ein wenig unbeholfen und ging ab."

    So beschrieb Frank Brady, ein enger Freund des Champions, in seinem Buch "Endspiel" den Moment, als Bobby Fischer auf der Bühne des Turniersaals in Reykjavik für seinen Triumph ausgezeichnet wurde.
    "Kurz bevor er die Bühne verließ, hielt er kurz inne und blickte über die Menge, als wolle er kurz winken oder etwas sagen. Doch dann verschwand er rasch hinter der Bühne und verließ das Gebäude."

    Bobby Fischer verschwand komplett von der Bildfläche. Zur Titelverteidigung gegen den Russen Anatoli Karpow trat er 1975 nicht mehr an. Fischer, der sich von FBI und KGB verfolgt fühlte, verließ die USA, lebte eine Zeit lang in Osteuropa, auf den Philippinen und in Japan. Von Zeit zu Zeit fiel er noch durch antisemitische Hetze auf. Schließlich zog er sich nach Island, an den Ort seines größten Triumphs, zurück. Am 17. Januar 2008 starb Bobby Fischer 64-jährig in Reykjavik.