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Schäfer wirft Kunstfest-Organisatoren "Regiefehler" vor

Der stellvertretende Kulturbeauftragte der Bundesregierung, Hermann Schäfer, hat den Eklat um seine Rede bei der Eröffnung des Weimarer Kunstfestes mit falschen Absprachen erklärt. Es sei ausdrücklich vereinbart worden, dass er nicht über Buchenwald, sondern allgemein über Flucht und Vertreibung sprechen sollte. Das sei ein "Regiefehler", den er nicht zu verantworten habe.

Moderation: Burkhard Müller-Ullrich | 27.08.2006
    Burkhard Müller-Ullrich: Das Kunstfest Weimar hat also mit einem Eklat begonnen. Der stellvertretende Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Hermann Schäfer, konnte sein geplantes Grußwort bei der Eröffnung nicht zu Ende bringen, weil Zuhörer "Aufhören!" riefen. Sie waren darüber entsetzt, dass Schäfer vor dem Eröffnungskonzert mit dem Titel "Gedächtnis Buchenwald"- gespielt wurde Mahlers neunte Sinfonie von der Staatskapelle Weimar unter der Leitung von Michael Gielen -, dass er da eine Rede hielt, die von Flucht und Vertreibung der deutschen während des zweiten Weltkriegs handelte, aber nicht von den Opfern des Nationalsozialismus, die im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar ermordet wurden. Die künstlerische Leiterin des Kunstfestes distanzierte sich sogleich von der Rede und warf Schäfer vor, das Thema - so wörtlich - "auf grausame Weise verfehlt" zu haben. Was, Herr Professor Schäfer, hat Sie denn bewogen, diesen Vortrag, der Ihnen jetzt so viel Ärger einbringt, so zu halten?

    Hermann Schäfer: Ich war eingeladen von Nike Wagner mit einem Brief, in dem ich ausdrücklich als Historiker und Zeithistoriker eingeladen war mit dem Hintergrund der Ausstellung, die diskutiert wird öffentlich, "Flucht, Vertreibung, Integration". Und dann hat sie mich gebeten, wie sie selber schrieb, "das Fest rhetorisch einzuleiten", und sie hat dann weiterhin geschrieben, ich soll bitte Reflexionen von etwa einer halben Stunde da vornehmen. Wir haben einmal telefoniert, aber nicht mit Frau Wagner selbst, sondern ihre Mitarbeiterin hat mich angerufen. Ich habe gesagt, ich bin auch nicht der Spezialist für Buchenwald, ausdrücklich wurde noch mal bestätigt, es ginge um Erinnerungspolitik in allgemeiner Hinsicht und vor allen Dingen den Wunsch, über Flucht und Vertreibung zu sprechen.

    Ein Schwerpunkt meiner Rede war das Thema Flucht und Vertreibung, aber von den acht Seiten Manuskript, die ich habe, waren das nur zweieinhalb. Und die Gäste, die Konzertbesucher wussten eigentlich nur durch einen kleinen Zettel, der auf den Stühlen lag, dass drei Redner hintereinander kommen und dann Musik. Und ich hatte schon mir überlegt, na ja, hoffentlich wissen die Leute, dass ich da eine Rede halte, und niemand hatte mich angekündigt, und habe das dann zurückgeführt in erster Linie, dass da ein Konzertpublikum war und die wollten Mahler, die Neunte, hören, das war ja auch eine wunderbare Musik hinterher, ein großartiges Konzert, und das wissen wir alle aus eigener Erfahrung, Publikum wird unruhig, wenn es nicht weiß, warum solche Reden gehalten werden oder wenn man in erster Linie zum Konzert geht und dann noch mit Reden auf die Folter gespannt wird.

    Müller-Ullrich: Also Sie erklären es einerseits durch die getroffenen Abmachungen mit Nike Wagner und andererseits durch die Erwartungshaltung, die eigentlich auf die Musik gerichtet sei. Jetzt wird Ihnen ja entgegengehalten etwas ganz anderes, nämlich Sie hätten sich in Ton und Thema vergriffen und im Grunde den eigenen Kompass wohl nicht gehabt, der Ihnen hätte sagen müssen, egal welche Abmachungen getroffen sind, dass es so nicht geht.

    Schäfer: Also dass ich mich im Ton vergriffen habe, das glaube ich nicht, das ist nicht meine Art. Das war eine ruhige Rede von mir, sie war sachlich, hat immer wieder das Thema Verbrechen des Nationalsozialismus, Erinnerungskultur und unsere Aufgabe, uns diesen Fragen zu stellen, hervorgehoben, und ich habe das an einigen Beispielen und kulturpolitischen Debatten versucht zu erläutern. Also insofern denke ich nicht, dass ich mich im Ton vergriffen habe.

    Müller-Ullrich: Aber wie erklären Sie sich dann die Heftigkeit der Reaktion? Es ist ja von Eklat und Skandal die Rede.

    Schäfer: Der Eklat ist für mich die Tatsache erstens, das Publikum war nicht vorbereitet und war ungeduldig. Und es ist sicher ungewöhnlich, dass, wer auch immer redet, nach der Hälfte seiner Rede durch anhaltenden Applaus und sonstige Zwischenrufe dazu gezwungen wird, die Rede zu verkürzen.

    Müller-Ullrich: Jetzt sind Sie ja als langjähriger Leiter des Hauses der Geschichte bekannt dafür, dass Sie auch mit heiklen Themen sehr wohl sensibel umzugehen wissen. Andere aber werfen Ihnen vor, dass Sie sich doch auf Buchenwald einfach nicht eingestellt hätten.

    Schäfer: Ich hatte nicht den Auftrag, mich auf Buchenwald einzustellen. Ich habe immer gesagt, Buchenwald ist nicht mein Spezialgebiet und bei Buchenwald wüsste ich bessere Redner. Und da wurde mir entgegengehalten, wir wollen das Thema Erinnerungskultur allgemein besprechen, und es ist ja durchaus legitim, deswegen habe ich das nicht zu hinterfragen, wenn die Festspielleitung sagt, wir wollen Erinnerungskultur allgemeiner darstellen, um vielleicht auch auf weitere Themen außerhalb von Buchenwald eine Diskussion zu lenken. Und ich hatte auch verstanden, dass Frau Wagner ein politisches, eher politisches Festival will, und habe angenommen, dass auch diese Rede in der Hinsicht einen Beitrag dazu leisten sollte, dass das Thema Buchenwald etwas erweitert wird.

    Müller-Ullrich: Also für Sie ist das alles ein Riesenmissverständnis?

    Schäfer: Das ist ein Stück weit ein Missverständnis, ein Stück weit sind handwerkliche Fehler passiert, für die ich jedenfalls nicht die Verantwortung trage.

    Müller-Ullrich: Welche?

    Schäfer: Ja, ich glaube, das Publikum muss einfach besser wissen, dass Grußworte und Reden zu bestimmten Themen gehalten werden, die eine halbe Stunde insgesamt in Anspruch nehmen, und dann erst ein Konzert stattfindet.

    Müller-Ullrich: Gleichwohl gehören zum Missverstehen ja immer zwei, wenn man den Akt der Kommunikation betrachtet, kann man das nicht nur aufs Publikum abwälzen, sicher auch nicht nur auf den Redner. Es gibt einen berühmten Präzedenzfall, der sicher nur sehr mit Vorsicht heranzuziehen wäre, vor 18 Jahren nämlich die Rede von Phillip Jenninger, die ja als solche auch nicht angreifbar war.

    Schäfer: Also ich würde den Vergleich jetzt nicht so ziehen, aber ich muss einfach eines sagen: Hier ist an mich die Bitte herangetragen worden, ausdrücklich zu einem bestimmten Thema zu sprechen, und wenn man mir dann anschließend vorwirft, ich hätte zum falschen Thema gesprochen, dann kann ich nur sagen, da ist ein Regiefehler, für den ich nicht Verantwortung trage.

    Müller-Ullrich: Haben Sie das Gefühl, irgendwie reingelegt worden zu sein?

    Schäfer: Ach nein, das ist nicht meine Art, in den Kategorien denke ich nicht, und mir liegt alles andere fern, das will ich sehr betonen, als eine Publikumsbeschimpfung. Ich will also überhaupt keine Publikumsbeschimpfung machen, sondern habe Verständnis für die Situation dort, bedaure, dass es sich so eskalierte, ganz klar, aber ein Stück weit muss ich mit so was leben, das gehört immer wieder dazu, aber ich gebe zu, etwas derartiges ist mir noch nie passiert.