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Schäuble fordert Rohstoff- und Lebensmittelhandelkontrolle

Der heute beginnende G-20-Gipfel will über Weltwährungsfragen und Ungleichgewichte in der Rohstoff- und Lebensmittelverteilung beraten. Beides will Wolfgang Schäuble in den G-20-Ländern koordiniert und kontrolliert sehen.

18.02.2011
    Christoph Heinemann: Die Tagesordnung der Finanzminister und der Notenbankchefs der unter dem Kürzel G-20 zusammengefassten Industrie- und Schwellenländer ist gewaltig. Ein neues Weltwährungssystem soll angedacht werden, weitere Stichworte sind Rohstoff-Spekulationen, Leistungsbilanz-Überschüsse und, und, und.
    Am Treffen in Paris nimmt für unser Land Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble teil. Guten Morgen.

    Wolfgang Schäuble: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Schäuble, wieso beschäftigen sich die Finanzminister mit den Preisen für Rohstoffe und Nahrungsmittel?

    Schäuble: Ja, gut, die Preise für Rohstoffe und Nahrungsmittel, auch Energie, sind ja eines der Hauptelemente, die die wirtschaftliche Entwicklung, auch die finanzpolitische, die Finanzmärkte, beeinflussen. Und deswegen gehört es natürlich zu dem Bemühen im Rahmen des G-20-Prozesses, stabilere Entwicklungen in der Weltwirtschaft zu erreichen, dass wir uns damit beschäftigen. Im Übrigen geht es vor allen Dingen auch um die Frage, werden die Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise durch spekulative Tendenzen getrieben, sind die Schwankungen, die ja starke Auswirkungen gerade auch auf unterentwickelte, auf ärmere Länder haben, aber natürlich auch auf unsere Verbrauchspreise, durch Finanzgeschäfte veranlasst, und was kann man dagegen tun. Deswegen ist es gut, dass die französische Präsidentschaft dieses Thema prominent auf die Tagesordnung der G-20-Agenda in diesem Jahr gesetzt hat.

    Heinemann: Und was kann man dagegen tun?

    Schäuble: Zunächst einmal ist es so: Das ist ja ein mühsamer Weg, es ist ja gerade beschrieben worden. Weltweit ist es noch komplizierter als in Europa. Aber wenn wir uns einfach einmal austauschen, wenn wir versuchen, gemeinsame Kriterien zu entwickeln, wie man das bemisst, wenn wir etwa gemeinsam feststellen könnten, was wir tun, um spekulative Tendenzen zu bekämpfen, dass wir etwa sagen wie in den Finanzgeschäften, es darf nicht außerhalb von transparenten Märkten gehandelt werden und Ähnliches mehr, dann könnte das schon ein Stück weit mehr Stabilität in die Märkte bringen. Aber wir müssen uns darüber in einem sehr komplizierten Prozess verständigen, und das geht nur in Schritten, wo wir uns annähern. Aber wenn es ein langer Weg ist, muss man damit anfangen, und die französische Präsidentschaft hat gesagt, sie will damit in diesem Jahr anfangen, und wir unterstützen Frankreich dabei sehr, weil das eines der großen Themen der Weltwirtschaft ist, gerade auch wenn wir mehr politische Stabilität in die Verhältnisse zwischen reichen, entwickelten Industrieländern, Schwellenländern wie China, Brasilien, Indien oder auch den Entwicklungsländern bringen wollen.

    Heinemann: Herr Schäuble, Börse. Solange Rohstoffe und Nahrungsmittel an der Börse gehandelt werden, wird auch darüber spekuliert werden. Börse heißt Spekulieren. Das gilt für Kleinaktionäre wie für Hedgefonds. Wo fängt das Regulieren an und wo hört es auf?

    Schäuble: Das ist wahr. Natürlich ist alles Wirtschaften ein Stück weit spekulativ, weil man ja immer auf unbekannte Preisentwicklungen in die Zukunft wettet und daraus entstehen auch Gewinne und Verluste und das ist ja Grundlage allen Handels. Aber wenn nicht mehr zum Zwecke des Handelns spekuliert wird, sondern nur noch zum Zwecke, Finanzgeschäfte zu machen, so wie wir das an den Finanzmärkten in den letzten Jahren zunehmend erlebt haben, weswegen wir ja auch dort für mehr Transparenz sorgen und auch Regeln schaffen, dass die Finanzmärkte sich nicht durch Übertreibung selbst zerstören, wie es vor zweieinhalb Jahren der Fall gewesen ist, dann ist das schon richtig und wir müssen schon darauf achten, dass die Nahrungsmittelpreise, von denen ja gerade die Ärmsten der Armen abhängig sind, die sonst verhungern, wenn sie die Nahrungsmittel nicht mehr bezahlen können, oder Hunger leiden müssen, dass die nicht dadurch hochgetrieben werden, dass zu Zwecken von Finanzgeschäften Nahrungsmittel gehortet oder spekulativ die Preise durch spekulative Verknappungen hochgetrieben werden.

    Heinemann: Künftig, Herr Schäuble, sollen Ungleichgewichte zwischen Wirtschaftsregionen gemessen werden. Warum ist das überhaupt nötig, wenn es nicht dem Ziel einer Angleichung dient?

    Schäuble: Es soll ja dem Ziel dienen, dass wir uns rechtzeitig, so früh wie möglich gegenseitig klar machen, wie wir durch das Verhalten der einen die Entwicklung bei den anderen beeinflussen. Aber man muss dort in der Tat darauf achten, dass man Ungleiches nicht gleich behandelt. Wir wollen alle – darüber sind wir uns weitgehend einig -, dass der Austausch von Währungen nicht durch Manipulation von Regierungen beeinflusst wird. Aber wir wollen natürlich auf der anderen Seite den Wettbewerb nicht behindern, denn der Wettbewerb treibt ja die wirtschaftliche Entwicklung in allen Teilen der Welt voran und deswegen kann man natürlich nicht einfach einen deutschen Exportüberschuss vergleichen mit dem Exportüberschuss eines Landes, das durch die Manipulation seiner Währung sich Vorteile auf den Weltmärkten verschafft. Deutschland hat ja seine starke Stellung auf den Weltmärkten nicht durch irgendwelche Manipulation der Währung, sondern ausschließlich durch die Leistungsfähigkeit, die Innovationskraft der deutschen Arbeitnehmer und der deutschen Unternehmer.

    Heinemann: War das gerade Kritik an China?

    Schäuble: Nein, sondern das war eine klare Darlegung dessen, worauf man sich konzentrieren muss, wenn man in der Welt mehr nachhaltige Entwicklung für alle Teile der Welt erreichen will.

    Heinemann: Herr Schäuble, Christine Lagarde, die französische Finanzministerin, denkt laut darüber nach, die Wechselkurse der wichtigen Währungen nicht mehr durch Angebot und Nachfrage auf den Devisenmärkten bestimmen zu lassen, sondern zum Teil staatlichen Vorgaben folgen zu lassen. Warum überhaupt? Doktert die G-20 da nicht nur an Symptomen herum, denn wenn der Euro- und der Dollar-Raum nicht so überschuldet wären, wäre das doch gar nicht nötig?

    Schäuble: Ja, gut, wir arbeiten ja auch daran – dazu hat man sich schon auf dem G-20-Gipfel in Toronto im vergangenen Jahr verpflichtet -, dass alle Länder, die hohe Defizite haben, insbesondere die Industrieländer, ihre Defizite in den nächsten Jahren halbieren müssen. Das ist das, was wir in Deutschland mit einer sehr ehrgeizigen Reduzierung unserer zu hohen Verschuldung leisten, was ja auch innenpolitisch auf Widerstände gelegentlich stößt, aber wir sind ganz erfolgreich. Und dazu haben sich alle anderen Länder auch verpflichtet, die Europäer, die Vereinigten Staaten von Amerika und andere Länder auch. Das ist die eine Ursache, die man bekämpfen muss.
    Auf der anderen Seite haben wir nun in der Tat auf den Währungsmärkten auch starke Ausschläge, die wiederum nicht durch reale Entwicklungen allein, sondern auch durch überzogene Spekulationen begründet sind, und deswegen ist der französische Ansatz, nicht zu sagen, wir wollen keine freie Wechselkursbildung mehr, aber wir wollen doch dafür sorgen, dass die spekulativen Ausschläge begrenzt werden, dass Kapitalzuströme in Entwicklungsländer und in Schwellenländer, die die Stabilität dieser Länder stark beeinträchtigen und dann zwingen, Kapitalverkehrskontrollen einzuführen, also wiederum die Freiheit des Welthandels einzuschränken, dass wir das durch eine bessere Absprache, auch durch ein breiteres System der Ermittlung der Wechselkurse besser kontrollieren und dem entgegenwirken, das ist ein guter Ansatz. Wir haben Frankreich zugesagt, eine Arbeitsgruppe – Frankreich hat uns darum gebeten – zusammen mit Mexico zu leiten. Das Ziel ist ja, Ende des Jahres beim Treffen der Staats- und Regierungschefs im G-20-Rahmen in Cannes zu Absprachen zu kommen. Das werden wir das Ganze Jahr über intensiv vorbereiten.

    Heinemann: Herr Schäuble, zum letzten Mal wird Axel Weber als Präsident der Bundesbank mit nach Paris reisen. Wird Berlin einen Deutschen für die Spitze der EZB vorschlagen? Da galt ja Weber bisher als Kandidat.

    Schäuble: Das ist nun überhaupt kein Thema, das uns im Rahmen des G-20-Prozesses beschäftigt. Wir haben frühzeitig gesagt, das war auch mit Axel Weber so besprochen, es war auch seine Empfehlung gewesen, dass wir jetzt zunächst einmal in Europa uns um die Reform dessen kümmern, was bis Ende März im Europäischen Rat geleistet werden muss, ein dauerhafter Krisenstabilisierungsmechanismus, die Verstärkung der Wettbewerbsfähigkeit, eine bessere Verpflichtung aller Mitgliedsstaaten zur Einhaltung der Stabilitätskriterien, und wenn alle diese wichtigen und schwierigen Fragen gelöst sind, dann beschäftigen wir uns mit der Nachfolge des EZB-Präsidenten Trichet, der Ende Oktober aus seinem Amt ausscheidet.

    Heinemann: Und gibt es einen deutschen Kandidaten?

    Schäuble: Das werden wir dann sehen. Wichtig ist, dass wir einen guten Kandidaten finden, und da bin ich ganz sicher, dass wir das auch tun werden. Aber das ist ein Thema für nach Ende März und nicht für heute.

    Heinemann: Für heute ist vielleicht noch ein anderes Thema wichtig. Sie sind, Herr Schäuble, promovierter Jurist und Sie wissen, wie mühevoll eine rechtswissenschaftliche Doktorarbeit ist. Karl Theodor zu Guttenberg hat da offenbar eine Abkürzung gewählt. Kann er Minister bleiben?

    Schäuble: Also es wird in den Medien behauptet und es soll ja untersucht werden, dass er einige Zitate in einer sehr umfassenden Arbeit – ich habe sie auch einmal gelesen und ich finde, es ist eine eindrucksvolle wissenschaftliche Arbeit – nicht richtig angegeben hat. Das wäre dann ein Fehler, damit müssen sich diejenigen, insbesondere er selber auseinandersetzen, ob das so gewesen ist. Aber ihm ernst zu unterstellen, die ganze Arbeit sei nun irgendwo abgeschrieben oder so, das hat ja auch niemand behauptet, das wird ja dem Charakter dieser Arbeit, wie auch sein Doktorvater – das ist ein renommierter Verfassungsrechtler – gesagt hat, überhaupt nicht gerecht.

    Heinemann: Kann er Minister bleiben?

    Schäuble: Ich glaube, das wird jetzt alles aufgeklärt werden, und dann sehe ich nicht - - Jedem passiert doch mal vielleicht ein Fehler. Ich weiß gar nicht, ob es ein Fehler gewesen ist. Jetzt wird das aufgeklärt und all die anderen Fragen. Das ist so eine der typischen Übertreibungen, die wir in unserem Medienbetrieb haben.

    Heinemann: Was raten Sie Herrn zu Guttenberg?

    Schäuble: So rasch wie möglich Klarheit zu schaffen.

    Heinemann: Auch sich zu entschuldigen eventuell?

    Schäuble: Das ist doch eine Frage, die sich darauf bezieht, ob nun tatsächlich diese Vorwürfe begründet sind, wie es tatsächlich entstanden ist. Wenn das aufgeklärt ist, wenn er Fehler gemacht hat, ist er derjenige – so haben wir ihn alle kennen gelernt -, der auch dazu steht einzuräumen, dass man Fehler gemacht hat. Im Übrigen: den Menschen möchte ich sehen, der nie einen Fehler gemacht hat. Das wäre der erste in der Menschheitsgeschichte. Und wer es von sich behauptet, der würde jedenfalls bei mir auf großes Misstrauen stoßen.

    Heinemann: Ist er als Minister noch glaubwürdig?

    Schäuble: Ich glaube, dass das eine mit dem anderen wenig zu tun hat. Er ist ein außergewöhnlich erfolgreicher Verteidigungsminister. Er ist im Übrigen ein außergewöhnlich führungsstarker Politiker der jüngeren Generation und ich glaube, wir sollten da wirklich die Frage, ob ihm bei der Angabe von Zitaten in seiner umfangreichen Doktorarbeit ein Fehler passiert ist, zunächst einmal warten. Jetzt lassen Sie ihn doch mal und die Zuständigen der Universität den Sachverhalt aufklären, dann können wir darüber reden. Beim G-20-Treffen der Finanzminister wird das nicht auf der Tagesordnung stehen.

    Heinemann: Gut! Das halten wir fest. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Schäuble: Bitte sehr! Auf Wiederhören, Herr Heinemann.

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