WDR Rundfunkchor: Antrittskonzert von Nicolas Fink

Messe gegen die Angst

Der Chor steht in zwei geschwungenen Schlangen in einem großen weißen Raum.
Der WDR Rundfunkchor Köln freut sich auf seinen neuen Chefdirigenten Nicolas Fink. © WDR / Andreas Möltgen
Moderation: Ruth Jarre · 17.11.2020
43 Sängerinnen und Sänger freuten sich auf das Antrittskonzert des neuen Chefdirigenten Nicolas Fink. 16 konnten beim Hauptwerk des Abends dabei sein, bei einer Messe, die inmitten einer Pestwelle in Rom uraufgeführt wurde. Das Ziel der Musik: Angst lindern.
In großen Abständen von drei Metern zur Seite und sechs Metern noch vorn waren die Sängerinnen und Sänger um Nicolas Fink und die kleine Continuogruppe herum gruppiert - im klettblattförmig angelegten Chorraum der dreischiffigen romanischen Kirche St. Aposteln in Köln.

Ruf aus der Not heraus

Das zentrale Werk des Abends war die 16-stimmige "Missa in angustia pestilentiae" von Orazio Benevoli. Im Jahr 1656 war die Pest nach Rom zurückgekehrt, die Menschen lebten in Angst, die Seuche forderte eine Million Opfer, Papst Alexander der Siebte verhängte eine strikte Quarantäne über die Stadt und ließ Lazarette einrichten.
Und er gab bei Orazio Benevoli eine Messe in Auftrag, die die Seelenqualen, die Angst, lindern, die Barmherzigkeit Gottes beschwören und möglichst ein baldiges Ende der Epidemie herbeiführen sollte. "Missa in angustia pestilentiae" – Messe in der Pest-Not – oder eben auch Messe im Angesicht bzw. gegen die Not der Pest.

Messe im "Lockdown"

Da alles öffentliche Leben in Rom zum Erliegen gekommen war, fand die Uraufführung dieser Messe, komponiert im alten Stil, hinter verschlossenen Türen im Petersdom statt. Orazio Benevoli, der bereits zehn Jahre zuvor zum Leiter der ehrwürdigen Cappella Giulia, des Hauptchors am Petersdom, berufen worden war, dürften hier mindestens 16 fähige Sänger zur Verfügung gestanden haben.
Denn 16-stimmig ist die Messe angelegt in vier Chören. Mit Sicherheit hat diese Musik auf alle Beteiligten heute, wo wir ebenfalls mit einer Epidemie, einer Pandemie gar zu tun haben, eine besonders tiefgehende und intensivere Wirkung. Ohne unsere heutige Situation wirklich mit der in Rom im Jahr 1656 vergleichen zu wollen.
Ein Mann stützt sich in dunkelblauem Hemd auf einen geschlossenen Flügel und schaut in die Kamera.
Der Schweizer Dirigent Nicolas Fink, Jahrgang 1978, ist bereits seit 2011 ein geschätzter Gastdirigent des WDR Rundfunkchores.© WDR / Karco Kitzinger
Dieser "Missa in angustia pestilentiae" hat Nicolas Fink ein barockes 10-stimmiges Werk von Domenico Scarlatti an die Seite gestellt, was die Flexibilität und Wandlungsfähigkeit seines Chores eindrucksvoll unter Beweis stellt.
Scarlatti komponierte sein "Stabat Mater" ebenfalls für die Cappella Giulia, ebenfalls in seiner Funktion als Leiter des Chores am Petersdom, die er knapp 70 Jahre nach Benevoli, 1713 angetreten hatte. Also vor seiner Zeit in Portugal und Spanien. Wenig ist aus diesen Jahren bis 1719 von seinen geistlichen Werken überliefert – das "Stabat Mater" ist ein Beweis dafür, dass groß gedachte musikalische Architektur, angelegt auf eindrucksvollen Raumklang, und Anmut sich nicht ausschließen müssen.
Aufzeichnung des Konzertes vom 25. September 2020 in St. Aposteln Köln
Antonio Lotti
"Crucifixus" zu acht Stimmen
Orazio Benevoli
"Missa in angustia pestilentiae" für 16 Sänger und Basso continuo
Domenico Scarlatti
"Stabat Mater" zu zehn Stimmen

Hartwig Groth, Violine
Roderick Shaw, Truhenorgel
WDR Rundfunkchor
Leitung: Nicolas Fink

Im Anschluss ca. 21.10 Uhr:
"Wir sind Teil der Chorszene in Deutschland"
Nicolas Fink im Gespräch mit Ruth Jarre
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