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Schäuble-Kritik an Pegida
"Zuwanderung nützt allen"

Angesichts der islamfeindlichen Demonstrationen in Deutschland hat Finanzminister Schäuble dafür plädiert, den Nutzen von Zuwanderern besser zu erklären. Durch sie werde der Alltag "meistens verbessert", sagte Schäuble der "Bild". Vertreter von Wirtschaft und Kirche fordern mehr Zugeständnisse für Flüchtlinge.

27.12.2014
    Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) spricht auf dem Frankfurt European Banking Congress.
    Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bemängelt angesichts der islamfeindlichen Pegida-Demonstrationen, dass der Nutzen von Zuwanderung nicht gut genug erklärt wurde. (imago)
    "Wovor sich die Menschen zu Recht fürchten, ist nicht der Islam, sondern der islamistische Terror", sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in einem "Bild"-Interview. Politik und Medien müssten besser werden "beim Erklären der vielen Veränderungen im Alltag und in der Welt". Schäuble sagte: "So wie uns nach dem Zweiten Weltkrieg Millionen Flüchtlinge und Vertriebene beim Aufbau unseres Land genützt haben und später die Gastarbeiter, so brauchen wir auch heute Zuwanderung. Aber natürlich müssen wir mit Zuwanderern auch zusammenleben. Das wird unseren Alltag verändern, aber nicht verschlechtern, sondern meistens verbessern."
    Die Deutschen "lebten in einer besseren Welt als alle Generationen vor uns", sagte Schäuble weiter. "Die Welt ist offener und Zuwanderung nützt allen." Daher müsse die Botschaft an die Anhänger der sogenannten Patrioten Europas gegen Islamisierung des Abendlandes (Pegida) dieselbe sein wie in der Weihnachtsgeschichte: "Fürchtet Euch nicht".
    Türkische Gemeinde gegen Dialog mit Pegida
    Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Safter Cinar, lehnt Dialogangebote der Politik an die Pegida-Anhänger entschieden ab. "Wer hier für Verständnis plädiert, bestärkt diese Leute - und womöglich weitere - in dem Glauben, es gebe etwas zu verstehen", sagte Cinar dem "Tagesspiegel am Sonntag". Erforderlich sei vielmehr "ein Tabu gegen Fremdenfeindschaft und Rassismus". Das Tabu, mit dem in Deutschland Antisemitismus belegt sei, zeige, dass dies möglich und wirksam sei. Cinar fragte: "Was für ein Dialog ist gemeint: Sollen wir den Demonstranten sagen, dass Muslime auch Menschen sind? Und wofür soll man Verständnis haben? Dass in der Hauptstadt Sachsens, wo es ein Prozent Muslime gibt, angeblich das Abendland untergeht?"
    Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Safter Cinar
    Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Safter Cinar (dpa / Christoph Schmidt)
    Bleiberecht für Ausbildungswillige
    Der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer, fordert ein Bleiberecht für ausbildungswillige Flüchtlinge etwa aus dem Irak oder Syrien. Unter ihnen seien viele mit guter Schulbildung und großem praktischem Geschick, sagte er der "Rheinischen Post". Viele Betriebe könnten schon jetzt Lehrlingsplätze nicht besetzen und würden gerne junge Flüchtlinge ausbilden.
    Der neu gewählte Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Hans Peter Wollseifer, gibt auf der Vollversammlung seines Verbandes Interviews.
    Der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer (picture alliance / dpa)
    Um den Unternehmen Planungssicherheit zu geben, sind laut Wollseifer rechtliche Reformen nötig. "Wenn wir einen jungen Flüchtling ausbilden, muss aber auch klar sein, dass er über die gesamte Lehrzeit in Deutschland bleiben darf." Die Flüchtlinge müssten zudem "rasch Deutschkurse besuchen, um in Betrieb und Berufsschule mithalten zu können".
    Bildungsabschlüsse anerkennen
    Deutschland muss nach Ansicht des Braunschweiger Landesbischofs Christoph Meyns bei der Anerkennung der Bildungs- und Berufsabschlüsse von Zuwanderern flexibler werden. Wenn ein Ingenieur aus Kasachstan in Deutschland nur als Bauarbeiter Arbeit findet, sei das "eine Verschwendung von Ressourcen", sagte der evangelische Theologe dem Evangelischen Pressedienst. Migranten müssten die Möglichkeit erhalten, Fehlendes nachzuarbeiten.
    Flüchtlinge müssten in Deutschland umfassender integriert werden, sagte Meyns. "Mit einer Unterkunft allein ist es nicht getan." Deutschland werde zukünftig noch viel mehr zum Einwanderungsland. "Der Sog, der durch den Wohlstand und Frieden entsteht, ist enorm."
    (sdö/tj)