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Rimski-Korsakows "Schneeflöckchen" in Paris
Gefährliche Sonnenstrahlen

Die tragische Märchengeschichte vom Schneemädchen Snegurotschka kennt in Russland jedes Kind. In Paris wurde Nikolai Rimski-Korsakovs Oper nun nach 100 Jahren wieder auf die große Bühne der Opera de Bastille geholt.

Von Franziska Stürz | 16.04.2017
    Opera Bastille in Paris
    Opera Bastille in Paris (imago )
    Nein, Märchenfiguren mit Zauberkräften gibt es nicht in Dmitri Tcherniakovs Pariser Version von Rimski-Korsakovs "Snegurotschka", doch auf eines kann er nicht verzichten: Den Wald. Ein herrlich grünes, von dicken Stämmen durchwachsenes Biotop hat er sich auf die Bühne der Bastille-Oper gebaut, das sowohl für Hänsel und Gretel, als auch für Wagner´s Ring gut geeignet wäre und auch eindrucksvoll wabern kann. In La Fille de Neige bevölkert es eine nette Hippie-Kommune in bunten Holzhäuschen. Diese Aussteiger, tragen Blumenkränze und Folkloregewänder und essen am Campingtisch. Ihr Anführer ist ein künstlerisch ambitionierter Guru mit grauem Zopf, und kein wirklicher Zar. So wird die große, Huldigung an Zar Berendey einfach als kollektive Männerchorprobe präsentiert.
    In diese fröhlich alte Riten feiernde Gesellschaft platzt das Mädchen Snegurotschka, nachdem Mutter Frühlingsfee – bei Tcherniakov eine Ballettmeisterin – und ihr alter Vater Frost beschlossen haben, sie vor dem Sonnengott im Wald in Sicherheit zu bringen. Aida Garifullina verkörpert Schneeflöckchen als zerbrechlich - zarte Kindfrau und singt mit strahlend schönem Sopran. Jede ihrer Arien ist betörend, und so zieht sie bei ihrem Debüt das Pariser Publikum wie auch die Waldmenschen von Anfang bis Ende der über dreistündigen Oper in ihren Bann.
    Musik entfaltet ihren ganz eigenen Sog
    Der Hirte Lel wiederum fasziniert das Schneemädchen durch seinen schönen Gesang. Die Altpartie wird in Paris vom Countertenor Yury Mynenko intensiv und überzeugend gestaltet. Tcherniakov hat ihm ein androgynes Äußeres und eine narzistische Persönlichkeit verpasst, weshalb die kindliche Zuneigung des Schneemädchens Lel nicht weiter interessiert. Anders ergeht es dem wohlhabenden, düsteren Mizgir, etwas matt gesungen, aber samt handfester Schlägerei eindrucksvoll gespielt von Thomas Johannes Mayer. Der lässt nämlich beim ersten Anblick Snegurotschkas seine Verlobte Koupava einfach sitzen. Eine großartige Partie für Martina Serafin, die mit dramatischem Furor als zweite weibliche Hauptpartie in dieser Neuproduktion hervorragt.
    Rimski-Korsakovs Musik entfaltet unter Mikhail Tartarovs Dirigat trotz ausgedehnter, wenig variierender folkloristischer Passagen ihren ganz eigenen Sog in Kombination mit Tcherniakovs detailliert erzählender Regie. Der großartig agierende Pariser Chor, wie auch die schauspielerisch allesamt überzeugenden Solisten lassen den Abend voller Frühlingsriten, Feuersprünge und Blumenschmuck trotz Schneeflöckchens Liebestod zu einem russischen Opern-Osterfest werden.