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Schatten auf dem Eis

Eiskunstlaufen war in der DDR ein ziemlich erfolgreicher Sport. Zentren des Kufensports waren Ost-Berlin, Dresden und vor allem Karl-Marx-Stadt, das heutige Chemnitz. Aber es gab viele dunkle Schatten auf dem hellen Eis.

Von Thomas Purschke | 06.03.2011
    Zum Beispiel war ein perfides Überwachungssystem durch den DDR-Staatssicherheitsdienst im Eislaufzentrum in Karl-Marx-Stadt eingerichtet worden. Selbst Kinder, bevor sie von der dortigen Kinder- und Jugendsportschule aufgenommen wurden, und deren Eltern wurden von der DDR-Staatssicherheit auf ihren "politisch-ideologischen Reifegrad" überprüft und, wenn die Prüfung nicht eindeutig im DDR-Sinne ausfiel, aussortiert.

    Bei den geheimen Dopingpraktiken wurden auch im DDR-Eiskunstlauf männliche Sexualhormone, also Anabolika, aber auch Psychopharmaka eingesetzt. Dabei wurde in Kauf genommen, dass die Gesundheit der Sportler und Sportlerinnen nicht nur gefährdet, sondern erheblich geschädigt wurde. Für die Geheimhaltung dieser Dopingpraktiken sorgte die Stasi.
    In der Sportmedizinischen Hauptberatungsstelle sowie im Sportclub SC Karl-Marx-Stadt, Bereich Eiskunstlauf, waren es mehrere Ärzte und Trainer, medizinisches Hilfspersonal, Physiotherapeuten ebenso wie Athleten, die als Inoffizielle Mitarbeiter für die Stasi gearbeitet haben.

    Zum Beispiel der langjährige Eiskunstlauf-Verbandsarzt der DDR Ralph Nicolai. Der Chefarzt der Sportmediziner in Chemnitz, dort 1937 geboren, wurde von der Stasi seit 1975 als Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit unter dem Decknamen GMS "Neptun" geführt. Nicolai war in das Dopingprogramm eingebunden. Er berichtete laut Stasi-Akte seinem Führungsoffizier über eine angehende Assistenzärztin, die Vorbehalte hatte, Anabolika einzusetzen. Später verlangt er: "Unbedingt müssten die Personen, die mit 'Unterstützenden Mitteln' umgehen, für 'Geheime Verschlusssachen' verpflichtet werden."

    Zu den Sportarten, in denen die DDR vor den Olympischen Winterspielen 1976 in Innsbruck Dopingmittel einsetzte, gehört auch der Eiskunstlauf, wie Stasi-Akten belegen. Darin ist belegt, dass der Berliner Paarläufer Rolf Österreich, der mit Romy Kermer in Innsbruck die olympische Silbermedaille gewann, bei der DDR-Ausreisekontrolle positiv auf anabole Steroide getestet worden war und erst anreiste, als der Doping-Missbrauch nicht mehr feststellbar war.

    Die Politik, auch das sagen die Akten, sonnte sich im trügerischen Glanz der Medaillen. Der erste Sekretär der Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt, Siegfried Lorenz, unterstützte den Eiskunstlauf nach Kräften mit seinem Apparat und mit Geld. Auch der Chef der Stasi-Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt, Generalleutnant Siegfried Gehlert, war dem Glamoursport zugetan. Olympiasiegerin Katarina Witt erhielt unter Mithilfe des SED-und Stasi-Apparates Autos, ein Ferienhaus und sogar vergoldete Hirschzähne. Die Witt wird von der Stasi-Unterlagenbehörde zwar als Überwachungsopfer eingestuft, sie war aber auch Begünstigte der Stasi.

    Zu den bereits bekannten Stasi-Spitzeln des einstigen Eiskunstlauf-Zentrums Karl-Marx-Stadt gehören der heutige Trainer Ingo Steuer, der hatte unter dem Decknamen IM "Torsten" von 1985 bis 1989 in besonders übler Form Sportkameraden und Angestellte angeschwärzt. Dazu der Paarlauf-Weltmeister von 1982, Tassilo Thierbach, der als IM "Gehrhard" spitzelte. Als "IM Harro" flog 2007 Johannes Wehr auf. Da hatte er es schon zum Vizepräsidenten und Schatzmeister der Deutschen Eislauf-Union gebracht. Wehr, der sich auch zum Präsidenten des Sächsischen Eissportverbandes wählen ließ, hatte sich zwischen 1985 und 1989 mehr als 50mal mit seinen Stasi-Führungsoffizieren getroffen und über Personen aus seinem Arbeitsumfeld Eissportkomplex Karl-Marx-Stadt berichtet.

    Am Stützpunkt Chemnitz arbeitet die bekannte Trainerin Monika Scheibe. Sie informierte den DDR-Geheimdienst unter ihrem Pseudonym IM "Anna Rose". Im Jahr 2006 sagte sie gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Erstaunliches: Um den Sport in der DDR voranzubringen, - "hätte ich auch für den BND oder den Teufel gearbeitet".

    Die DDR-Eiskunstlauf-Weltmeisterin Gabriele Seyfert, Tochter der als unerbittlich und besonders streng bekannten Erfolgstrainerin Jutta Müller, wurde nach Ende ihrer Karriere als IM "Perle" geführt. Seyfert erhielt vom Mielke-Ministerium unter anderem erhebliche Geldzuwendungen. Der "Focus" schrieb 1999 : "Voller Sorge, westliche Eisrevuen könnten die DDR-Vorzeigesportlerin abwerben, betreute die Stasi Seyfert seit Anfang der 70er Jahre rund um die Uhr."

    Demgegenüber steht die einstige Karl-Marx-Städter Eiskunstläuferin Constanze Gensel, heute Bauer. Auf sie waren 27 Stasi-Spitzel angesetzt, wie sie in ihrer Überwachungsakte gefunden hat.

    Für die Opfer von Bespitzelung und Verfolgung interessieren sich die heutigen Verantwortlichen im Chemnitzer Eiskunstlauf kaum. Eine Aufarbeitung zu den Schattenseiten des Karl-Marx-Städter Kufensports, die diesen Namen verdient, hat bisher nicht stattgefunden. Wie sollte auch - Der 1. Vorsitzende des Chemnitzer Eislauf-Clubs ist Klaus Steffan. Bei einer Informationsveranstaltung der Stasi-Unterlagenbehörde in Chemnitz neulich fragte er, wie das gehe, wie man Einsicht in die Akten von Stasi-Tätern nehmen könne. Geschehen im 21. Jahr der deutschen Einheit - der Mann ist beruflich Staatsanwalt in Chemnitz. Dem Vorstand des Juristen Steffan, der anfangs der 90er Jahre als Aufbauhelfer aus den alten Bundesländern nach Chemnitz kam, gehört übrigens nach Vereinsangaben auch Ex-Stasi-Helfer Ingo Steuer an.