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Schatzkiste bedroht

Botanik. - Seit 1926 findet sich bei Sankt Petersburg die landwirtschaftliche Versuchsstation Pawlowsk. Auf 70 Hektar Land wachsen hier 5000 verschiedene Obststräucher und Obstbäume. Es ist Europas größte Sammlung von Beerenobstsorten. Gestern nun hat das oberste russische Schiedsgericht entschieden, dass diese Pflanzensammlung einem Häuserbauprojekt weichen soll. Magda-Viola Hanke, Leiterin des Julius-Kühn-Instituts für Züchtungsforschung an gartenbaulichen Kulturen und Obst in Dresden-Pillnitz nimmt im Gespräch mit Monika Seynsche Stellung.

13.08.2010
    Seynsche: Frau Hanke, welche Bedeutung hat diese Sammlung für die Forschung?

    Hanke: Das ist eine der weltweit größten Sammlungen an genetischer Ressourcen bei Baum-und Beerenobstarten und insbesondere auch Wildobstarten, wie zum Beispiel aus kälteren Regionen in Asien stammen, zum Beispiel von Kamtschatka. Die Sammlung ist praktisch eine lebende Schatzkiste für Züchter, die sich mit der Selektion von neuen Sorten befassen, weil sie insbesondere Eigenschaften enthält, die eine Anpassung der Pflanzer an den Klimawandel garantieren, oder wo besondere Resistenzeigenschaften gegenüber Krankheiten und Schädlingen in dem Material vorhanden sind. Und wenn man also eine Resistenzzüchtung heute beim Kulturapfel aufbauen will, dann greift man auch auf solches Material zurück, was also aus Genzentren stammt, nämlich aus den Zentren, wo ursprünglich der Kulturapfel entstanden ist.

    Seynsche: Aber könnte man diese Pflanzen nicht auch einfach in Form von Samen sammeln und viel einfacher lagern, anstatt sie als Obstbäume einzupflanzen?

    Hanke: Bei Obstbäumen geht das leider nicht, weil das Obst vegetativ vermehrbar ist. Das heißt, wenn wir einen Baum als Sorte vermehren wollen, schneiden wir Reiser und veredeln sie auf einer Unterlage. Und nur auf diese Art und Weise kann die Sorteneigenschaft vermehrt werden und erhalten bleiben. Wenn man Samen einlagern würde, würde man die Eigenschaften der eigentlichen Sorte nicht mehr finden in dem Sämling, der daraus entsteht. Aus diesen Gründen muss man beim Obst eine lebende Sammlung auf dem Feld halten, oder man wendet weitaus modernere Methoden an, indem man beispielsweise Gewebestücke bei -196 Grad Celsius, also in flüssigem Stickstoff eingelagert. Mit Samen kann man die Obstarten nicht erhalten.

    Seynsche: Könnte man sie denn umziehen, diese Pflanzen, einfach sie dort ausgraben und woanders anpflanzen? Wäre das eine Möglichkeit, um diese Pflanzen zu erhalten?

    Hanke: Man könnte sie umsiedeln, was allerdings einen großen Zeitaufwand bedeutet, da ja diese Flächen demnächst auch gerodet werden sollen, würde man das zum heutigen Zeitpunkt auch nicht mehr schaffen. Man müsste praktisch Reiser schneiden von dem gesamten Material, und das an einem anderen Standort dann wieder zu Bäumen heranziehen. Allerdings, als die Sammlung damals in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden ist, hat Marilow insbesondere als hervorragender Genetiker dieser Zeit Standorte gesucht, wo das Material besonders gut wächst. Und dieses Material, was in Pawlowsk gesammelt worden ist, ist besonders winterhart und ist angepasst an die nördlichen Gebiete Russlands beispielsweise. Man kann also nicht einfach jetzt das Material zum Beispiel jetzt in südliche Regionen anpflanzen, weil es dort einfach nicht überleben würde.

    Seynsche: Aber könnte man nicht einfach sagen: Diese 5000 Pflanzen sind zwar schade, wenn es sie nicht mehr gibt, diese 5000 verschiedenen Arten, die dort wachsen. Aber die Sorten, die wir bislang haben, sind ja auch schon gut. Die bringen gute Erträge, das reicht uns doch eigentlich schon?

    Hanke: Es geht eigentlich nicht um Erträge bei Obst, sondern was wir machen und was wir auch selbst in unserem Hause hier tun, in der Züchtung, ist Resistenzeigenschaften in die Kultursorten hineinzubringen, die leider im Zeitraum der Evolution von der Wildart zur Kulturform verloren gegangen sind. Bedeutet: Resistenzeigenschaften gegenüber zum Beispiel beim Apfel Schorf, Mehltau, Feuerbrand. Und wir tun das, um letztlich auch den Verbraucher irgendwo zu schützen, weniger Pflanzenschutzmittel anzuwenden, um eine ökologischere Produktion gewährleisten zu können. Leider sind die Obstsorten, die wir im Handel angeboten bekommen, sehr anfällig gegenüber Krankheiten.