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Zukunft der CDU
Politologe: Mit Merz Kompetenz zurückgewinnen

Die Friedrich-Merz-Anhänger in der CDU kritisieren Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Dabei gehe es zwar eher um Altmaiers Rolle als Merkel-Vertrauter als um dessen Industriestrategie, sagte der Politologe Gero Neugebauer im Dlf. Doch die CDU müsse wieder Kompetenz gewinnen, und das könne sie mit Merz.

Gero Neugebauer im Gespräch mit Mario Dobovisek | 13.04.2019
    CDU Europawahlkampf in Eslohe: CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer (l) und ihr Ex-Kontrahent Friedrich Merz nehmen an einer Europawahlkampf-Veranstaltung der CDU am 12.04.2019 teil
    Mit der Wirtschaftskompetenz eines Friedrich Merz könnte die CDU bei möglicherweise vorgezogenen Neuwahlen besser abschneiden, sagte Politologe Neugebauer im Dlf (dpa / Ina Fassbender)
    Mario Dobovisek: Treuer Parteisoldat ist er, Peter Altmaier, Abgeordneter, Staatssekretär, Umweltminister, Kanzleramtschef, immer im Gefolge von Angela Merkel. Jetzt ist er ihr Wirtschaftsminister, der erste aus der CDU seit einer Ewigkeit, doch aus den eigenen Reihen kommt Kritik an ihm, an seinem Kurs. Es ist eine Mischung dabei aus Enttäuschung, Fundamentalkritik und politischen Machtkämpfen, denn die Kritik kommt aus dem Lager derer, die lieber Friedrich Merz als CDU-Chef gesehen hätten und sich noch immer mehr für Merz wünschen. In dieser Gemengelage ein interessanter Wahlkampftermin gestern Abend im Sauerland: ein gemeinsamer Auftritt von Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz, ihr erster gemeinsamer seit der Vorsitzwahl.
    Am Telefon begrüße ich Gero Neugebauer, Politikwissenschaftler an der Freien Universität in Berlin. Guten Tag, Herr Neugebauer!
    Gero Neugebauer: Guten Tag, Herr Dobovisek!
    Dobovisek: Wir haben einen Wirtschaftsminister, stellt die neue CDU-Chefin fest. Und sie sei auch froh darüber, sagt sie. Wir haben gerade Carsten Linnemann gehört, die Frage stelle sich nicht, sagt er. Aber immer dann, wenn ein Politiker sagt, die Frage stellt sich nicht, stellt sie sich wahrscheinlich sehr wohl. Ist das also schon das Ende der Debatte oder erst deren Anfang in der CDU?
    Neugebauer: Es ist eine Etappe einer Debatte, die schon vor einiger Zeit begonnen hat, als nämlich die Frage gestellt wurde, inwiefern die Union einmal als Partei sich den Wählerinnen und Wählern so geschlossen darstellen kann, dass sie auch für handlungsfähig gehalten wird und welche Kompetenzen sie denn wieder in den Vordergrund stellen möchte. Wenn der Bericht von der Veranstaltung jetzt darauf hinweist, Frau Kramp-Karrenbauer spricht über Sicherheit in Europa und Herr Merz spricht über Wirtschaft, dann zeigt das schon, dass eine alte Idee, nämlich doch Merz in eine neue Regierung zu integrieren auf einen bestimmten Posten, weiterhin so lebendig und so stark ist, dass sie weitere Diskussionen produziert.
    Dobovisek: Hat die CDU längst eine Art Doppelspitze?
    Neugebauer: Also in den Medien hat sie sie ja ohnehin, weil man sowohl von Frau Merkel als auch von Frau Kramp-Karrenbauer redet. Aber innerhalb der Union, dass jetzt sozusagen Merz eine Rolle spielt als kombinierter Wirtschafts- und Finanzminister, das sehe ich noch nicht. Aber das hängt auch ein bisschen davon ab, inwiefern die Union es abwartet, ob am Ende des Jahres die sogenannte Revisionskonferenz oder Bilanzkonferenz dazu führen wird, dass die Union sagt, wir erreichen nicht genug mit der SPD und wir fordern Neuwahlen. Oder andererseits auch in der Union gesagt wird, Leute, bei einem Wahlergebnis, Frau Kramp-Karrenbauer mit knapp über 50, Merz so viel, wir haben die Wahlen in Ostdeutschland, dort genießt Merz größere Kompetenz und einen größeren Zuspruch als beispielsweise Merkel oder als Kramp-Karrenbauer auf jeden Fall, dann ist das doch schon wichtig, zu sagen, den brauchen wir im Wahlkampf, und das können wir nicht machen, indem wir ihn wie eine Luftnummer vorführen. Wir lassen den Ballon aufsteigen, und dann, wenn er sich gezeigt hat, dann ziehen wir wieder die Luft raus.
    "Eine Diskussion, die auf die Person Altmaier gerichtet ist"
    Dobovisek: Dann schauen wir uns doch mal die andere Luft an, die da möglicherweise noch mit drin ist, nämlich die inhaltliche Kritik an Altmaier und seinem Wirtschaftskurs, den Kritik am Masterplan, Industrie, den nationalen Champions, viele Schlagworte, die da immer wieder zu hören waren. Sehen Sie da tatsächlich eine inhaltliche Kritik oder eher die Kritik an der Person, die Kritik am Amt?
    Neugebauer: Man kann in solcher Funktion beides nicht trennen, aber ich würde hier sagen, wenn Herr Linnemann zum Beispiel redet, Altmaier hat es geschafft, ein bestimmtes Thema zur Diskussion zu bringen, in die Öffentlichkeit zu bringen, zugespitzt zu diskutieren, dann lobt er die Leistung der Person, und er lobt nicht die Inhalte, die stellt er ja zur Diskussion. Wenn Herr Altmaier sagt, ich habe mit meinem Industrieplan 2030 hier ein bestimmtes Thema angestoßen, dann ist das eigentlich auch seine Pflicht als Politiker, ein bisschen perspektivisch zu denken, auch in der Rolle des Wirtschaftsministers. Ich denke mir, es ist doch eine Diskussion, wo man in der Union noch nicht ausreichend vorbereitet ist, wo man dann sagt, oh, dann helfen wir uns lieber mit so einer Person wie Merz mit Wirtschaftskompetenz, und geben dem Altmaier, der aus ganz anderen Gründen möglicherweise in einem Kabinett Kramp-Karrenbauer keine Chance hat, zum Beispiel weil Landesverbände auf angemessene Verteilung achten, der hat doch keine Chance mehr. Also ich sehe da eher eine Diskussion, die zurzeit noch auf die Person gerichtet ist, weil die Inhalte dieses Industrieplans zwar bekannt geworden, aber noch nicht ausreichend diskutiert worden sind.
    Merkel und die "Schar der Knappen"
    Dobovisek: Zielt die Kritik an Altmaier also, die Merkel-Vertrauten, in Wirklichkeit auf die Kanzlerin?
    Neugebauer: Nun, es heißt ja immer, man schlägt den Sack und meint den Esel, aber es zielt darauf, dass Frau Merkel eigentlich signalisiert wird, wichtige Menschen in deinem Umfeld, insbesondere Herr Altmaier, der sie ja schon lange begleitet, genießt nicht mehr so ein Vertrauen, dass wir sagen können, der hat auch Bestand. Frau Merkel wird, glaube ich, schon merken, dass sozusagen die Schar der Knappen, die sich um sie scharen und die sie verteidigen, nicht auf Dauer da etabliert sein werden. Insofern ist das bereits eine Einleitung von Diskussionen über Veränderungen, die möglicherweise eher eintreten. Das beziehe ich jetzt auf den Termin einer Wahl. Union und Kanzlerin sagen ja immer, nein, wir machen die volle Legislaturperiode. Aber möglicherweise ist auch vielleicht die Schwäche der SPD ein Grund für die CDU zu sagen, nein, warum ziehen wir denn die Wahlen nicht vor und kommen stärker raus, insbesondere weil wir dann noch eine Möglichkeit haben, mit den Grünen eine Koalition zu bilden. Denn momentan muss die Union, die ja zurzeit nicht so stark aufsteigt wie sie möchte oder eigentlich gar nicht aufsteigt, darauf sehen, dass sie wieder Geschlossenheit und Kompetenz gewinnt, und das kann sie mit einer Person wie Merz, wenn gerade Wirtschaftskompetenz ja von Herrn Linnemann auch gefordert wird, wieder nach vorne gebracht wird.
    Dobovisek: Jetzt sagt Carsten Linnemann von der Mittelstandsvereinigung der CDU ja heute Morgen auch, ob Merz Wirtschaftsminister werde, werde die neue Kanzlerin entscheiden. Wann werden wir denn die neue Kanzlerin im Amt sehen?
    Neugebauer: Na ja, diese Aussage von Herrn Linnemann ist ein bisschen, na ja, hochgestochen, sagen wir es mal so, weil die Union achtet schon sehr darauf, dass Ministerinnen und Minister ins Amt berufen werden, die auch von den Landesverbänden getragen werden. Dass die Bildungsministerin Frau Karliczek eher eine Repräsentantin des Landesverbandes NRW ist als eine Auswahlentscheidung von Frau Merkel, darauf kann man auch einiges setzen. Insofern muss man wirklich abwarten, wie die Landesverbände unter anderem jetzt bei den Wahlen, aber auch wie die Landesverbände ihre Vorlieben diskutieren oder sagen, nein, wir möchten diese oder jene Position haben, und ich denke nicht, dass Frau Kramp-Karrenbauer eine Absprache mit Frau Merkel treffen wird, wer aus diesem Kabinett übernommen wird. Da halte ich für jeden, wenn die Wahl vorzeitig durchgeführt wird, für jeden auf einem Posten, wo er sagen muss, na ja, ich bin was geworden durch die Union, aber die Union wird möglicherweise auch was werden ohne mich.
    "Langsamer, bedächtiger, aber steter Zuwachs von Merz-Einfluss"
    Dobovisek: Aber kann sich Annegret Kramp-Karrenbauer leisten, die Merz-Getreuen, die Wirtschaftsflügel noch lange zu vertrösten?
    Neugebauer: Wenn dieser Wirtschaftsflügel, wenn die Merz-Getreuen merken, dass er jetzt von sich aus auf sie zukommt, wenn er als stellvertretender Vorsitzende des Wirtschaftsrates seine Stimme stärker hebt, wenn er in den Wahlen in Ostdeutschland oder wie jetzt schon im Europawahlkampf stärker hervortritt, dann geht das nicht mehr zurück. Insofern können Sie sicher sein, dass da ein langsamer, bedächtiger, aber steter Zuwachs von Merz-Einfluss passieren wird. Die Union weiß genau, sie kann nichts tun, was ihre Macht gefährdet, dann hört auch alles Streiten und Zanken auf, und insofern ist ein bestimmter Punkt erreicht, manche nennen ihn schon no return, und vielleicht sind wir tatsächlich schon da angelangt.
    Dobovisek: Aber reicht dieses Beteiligen auf der, ich sage es mal, Metaebene aus oder muss es tatsächlich in absehbarer Zeit einen wichtigen Posten im Kabinett geben?
    Neugebauer: Nein, in diesem Kabinett Merkel muss es keinen wichtigen Posten geben. Es muss die Zusage von Kramp-Karrenbauer geben, dass Herr Merz einen wichtigen Posten haben wird, wenn sie Kanzlerin wird, aber es muss auch mit der Zustimmung von Merz erfolgen. Beide zusammen wird dazu führen, dass man sagen kann, jetzt hat die Kanzlerin-Dämmerung endgültig begonnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.