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Schauspiel
Die Klimakatastrophe als Theaterstück

"Wie finden wir wieder Fragen auf Antworten, die wir schon gegeben haben?", heißt es in dem neuen Stück "Unser Dorf soll schöner werden" von Johan Simons. Es ist das globale Dorf, um das es in dieser Uraufführung des niederländischen Schauspielkollektivs Wunderbaum geht. Ein spannender, nachdenklich machender Abend.

Von Rosemarie Bölts | 28.02.2015
    "Als ich zu diesem Abend eingeladen wurde, hab ich gedacht, Transition, Veränderung. Und für mich hängt Transition mit Radikalität zusammen. Ohne Radikalität gibt es keine Transition. Durch Noten. Diese schwarzen Punkte in einer Partitur. Mit radikalen Noten kann man die große Transition immer weiterführen."
    Es ist schon toll. In diesem kargen Ambiente des Werkraums der Münchner Kammerspiele mit nur einem langen Holztisch, ein paar simplen Holzstühlen - ohne Armlehne! - und gerade mal einem raumhohen Vorhang aus Goldfäden, der das unaufgeräumte Backstage vom ausgeräumten, spartanischen Vorne trennt, wird intellektuell-apokalyptischer Realismus serviert. Angereichert, wir sind schließlich in einem subventionierten Stadttheater, mit Dantes "Inferno" auf Italienisch, biblischen Zitaten auf Holländisch, oder der dann doch fiktiven Begegnung mit der Umweltrettungsmissionarin Naomi Klein auf englisch. Das ist tragisch bis saukomisch: "Make up your mind, Frau Klein! Ich meine, Ihre Gedanken sind radikal. Und Radikalisierung gibt's schon genug!"
    Die Elite der Gesellschaft schwafelt sich durch die gesellschaftspoltische Klimakatastrophe, ohne auch nur einmal der vorgegebenen "Hauptfrage" des Tischgesprächs näher zu kommen, nämlich der Frage, "welche gesellschaftliche Kursänderung wir brauchen", um zu retten, was vielleicht noch zu retten ist. Der eine, "BMW-Entwickler", dreht selbstverliebt verbale Zöpfchen, indem er kuriose Begriffe für verkopfte Spielchen erfindet. Ein "Soziologieprofessor", seziert verbal überspannt das entscheidungsunfähige Ich, bevor er mit der Managerin einen Show-Tango hinlegt, als Peep-Show. Der dritte Mann, Verleger und Aktivist, ist total Öko. Ein grüner Kapitalist, der voll guten Gewissens mit der Bahn fährt und den hintersinnigen Kabarettisten Gerhard Polt lustvoll mit dessen Wortschöpfung des Verbs "sinnlosen" zitiert. Das wirkte wie ein Kommentar zu dem ganzen Gequatsche, bei dem man sich als aufgeklärtes, kulturell belecktes Publikum spiegelbildlich ertappt fühlen konnte, was die hohe Kunst dieser Performance ausmachte. Die Schauspieler sprechen nicht miteinander, sondern ins Publikum, in lauter Monologen, die dennoch, manchmal nur durch eine leichte Körperdrehung, verdrehte Augen oder zuckende Mundwinkel inszenatorisch wieder in die Tischrunde zurückgeholt werden. So wie bei der "Klimaexpertin", die in Erinnerung an das ergebnislose Ergebnis von "Kopenhagen 2009" in eine ewig lange, fulminante Weinarie ausbricht:
    Wie drohte die aufgedrehte Gastgeberin von "Wunderbaum" zu Beginn? "Sechs Stunden ohne Humor" habe das wirkliche Dinner mit den wahren Gästen gedauert, die diese Vorlage zu dem Skript gaben. Für die Zurschaustellung von deren intellektueller Qualität reichten indes knappe zwei Stunden. Das war: Apokalypse now. Trefflich getaktet, richtig gut gespielt, erschreckend entlarvend, und dabei ziemlich melodramatisch bis sarkastisch. Und als man dachte, nun weiß man aber genug, kam der Nachtisch. Und: Überraschung, man hatte die Wahl. In diesem Fall die Wahl zwischen Evolution und Revolution. Abwarten oder gleich schießen. Beides hat Folgen, die man, wie bei dieser Performance auch, analysieren, problematisieren und so richtig mit allen Ingredienzien des Brains und des schauspielerischen Talents ausschmücken könnte. Wenn's so gut läuft, sollte "Wunderbaum" unbedingt wieder zum Essen einladen.