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Schauspielhaus Düsseldorf
"3D" zeigt Stephan Kaluza als Künstler und Autor

In Düsseldorf konnte man den Künstler Stephan Kaluza auf zwei Ebenen erleben: Kaluzas "3D", auf den ersten Blick ein schlichtes Konversationsstück über ein getrenntes Ehepaar, kam dort in der Regie von Kurth Josef Schildknecht auf die ebenfalls von Kaluza gestaltete Bühne.

Von Dorothea Marcus | 28.01.2015
    Das Düsseldorfer Schauspielhaus, aufgenommen am 26.02.2014
    Stephan Kaluzas neues Stück wird im Schauspielhaus Düsseldorf gespielt. (picture alliance / dpa / Jan-Philipp Strobel)
    Auf den ersten Blick ist "3D" ein Ehedrama in konventioneller Well-Made-Play-Manier. Nur das Bühnenbild, ein steril weißer Museumswürfel, weist darauf hin, dass es hier um Exemplarisches gehen soll. Auch die Figuren in dem Stück sind zunächst lediglich als A, B und C bezeichnet. Dann aber werden sie doch zu Albert und Bette.
    Ein Neuanfang
    Ein längst getrenntes Paar trifft sich nach zwanzig Jahren wieder und verstrickt sich in seiner Vergangenheit. Vorwürfe über den Tod der Tochter Clara fallen, Geheimnisse – und immer neue, unwahrscheinliche Wendungen ziehen die Handlung voran. Erst denkt man, Bette habe Albert willkürlich verlassen und ihm das Kind entzogen. Er, der Arme, sehnt sich nach der Rückkehr seiner Frau. Tanja Schleiff versteht es in der Rolle, der vermutlich gescheiterten Galeristin aus Amerika meisterhaft, sich immer wieder glaubwürdig zwischen begründeter Wut, übergriffiger Hysterie und leichtem Wahnsinn zu bewegen. Michael Abendroth dagegen ist zunächst ganz der reuige Karrieremensch.
    Albert: "Das war also mein Zimmer. Und das dort war Claras Zimmer." Bette: "Willst du es sehen?" Albert: "Nein ich möchte es nicht sehen!!! Ja, ja, mir fällt es auch schwer. Bette, lass uns das alles vergessen. Lass uns wieder im Hier und Jetzt leben. Ich hab es nur gut gemeint. Schade, dass unsere Wiederbegegnung so abläuft. Ich hatte gehofft, ... nur eine Hoffnung. War wohl nicht so. Ich war neugierig auf dich. Weißt du, mit der Erinnerung ist es nicht ganz leicht. Eine nach der Anderen kommt aus der Erde gekrochen. Auf einer Schleimspur auf deinem Mund."
    Die überraschende Wende
    Bald stellt sich heraus, dass alles ganz anders ist. Clara ist doch nicht gestorben. Sondern: Ihre Mutter hat sie vom Vater entfernt, weil er sie jahrelang sexuell missbraucht hat. Oder ist das auch nur eine psychotische Behauptung? Noch ein paar abstruse Minuten später wird klar, dass nicht Bette hier das Wort führt, sondern Clara. Gerade noch tot geglaubt, ist die Tochter in Wirklichkeit die verkleidete Ex-Ehefrau – was der Ex-Mann nicht erkannt hat. Doch was auf einmal wirkt wie ein höchst konstruierter, finaler Racheakt am omnipotenten Vater, erhält dann noch eine letzte abstoßende Wendung: "Ich liebe dich", sagt die Tochter und will fortan mit ihrem Vergewaltiger zusammenleben. Sie unterwirft sich erneut seiner Macht, denn Liebe findet sie ohnehin keine andere mehr. In ihrer seelischen Qual kann sie sich dem einzigen Konzept von Liebe, das sie kennt, nicht entziehen. Währenddessen durchläuft das zunächst so schlichte Bühnenbild von Stephan Kaluza mithilfe von Licht, Videoprojektionen und Boden-Absenkungen alptraumhafte Metamorphosen. Mal kriecht Albert wie ein unheimliches Insekt geifernd die Wand hoch, mal vervielfältigt sich der rote Schemen der Tochter, mal erscheint das Wohnungsinventar wie eine verblasste Erinnerung als grauer Schatten an der Wand: Hier ist kein realer Raum geschaffen worden, sondern eine Projektionsfläche für finsterste, geistige Gefängnisse.
    Ein Machtsystem
    Psychologisch deuten sollte man das Stück nicht, es wäre ein Hohn für jedes Missbrauchsopfer – und dazu ärgerlich absurd und unwahrscheinlich. Doch Regisseur und Bühne machen es deutlich: Es geht hier um etwas anderes. Der Zuschauer ist nur scheinbar Zeuge eines Missbrauchs. Die Figuren repräsentieren ein Machtsystem, aus dem man strukturell nicht ausbrechen kann.
    Bette: "Wer selbst das Maß der Dinge besitzt, kann sicher maßlos sein. Das ist einfach. Deine Macht ist die, dass andere machtlos sind. Vor deiner Größe, vor deinem Besitz. Dein Haben ist nichts anderes, als dass sehr viele nichts haben." Albert: "Ja Ja, was willst du denn hören? Solche Leute sind wir eben! Immer mehr haben wollen... ist sehr anstrengend... du kriegst ja alles, was du willst, du kriegst es ja... Ficken... Frauen... Kinder gibt's dann obendrein obenzu. Vielleicht war es deshalb so schwer es nicht zu tun... mein Ding da rein... ja maßlos... maßlos...
    Und so wird der Abend, der als solides Schauspielertheater in Boulevardmanier begann, zu einer alptraumartigen Untersuchung darüber, dass Gewalt nicht nur körperlich verändert, sondern tief in die Köpfe eindringt und zu eigen gemacht werden kann. Und ist dann doch deutlich komplexer und aufwühlender als ein konventionelles Ehedrama.