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Schauspielhaus Zürich
Kornél Mundruczo inszeniert "Hotel Lucky Hole"

Von Christian Gampert | 17.11.2014
    Damit man weiß, was eine Prostituierte so tut, wird gleich zu Beginn ein Geschlechtsakt vorgeturnt und vorgehechelt. Danke! Im wahren Milieu dürfte so viel Hingabe eher selten sein. Es handelt sich bei Anna, gespielt von Annamaria Láng, allerdings auch um eine besondere Art von Dienstleisterin: ihr Kunde, ein Banker, hat ihr seit Jahren eine eigene Wohnung gemietet. Jetzt schmeißt er sie raus, und sie muss zurück auf die Straße, in den Container.
    In Zürich werden Liebesdienste seit neuestem im Container angeboten, sogenannten Verrichtungsboxen. Elfriede Jelinek hat darüber geschrieben, und der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó zieht nun nach. Die überraschende Botschaft: Männer sind Schweine. Und Frauen sind Opfer. Allerdings sind auch Frauen manchmal Schweine: Anna, die ehemalige Luxusnutte, betreibt mit ihrem Bruder fortan ein Low-Level-Bordell und drangsaliert die von Schleppern aus der Ukraine eingeführte Elena. Aber auch Anna ist nun furchtbar einsam, kein Banker mehr da. Es entwickelt sich eine zarte Romanze zwischen den beiden Frauen, die aber leider wenig Perspektive hat.
    Dieser gequirlte Kitsch wird von Mundruczó als Hardcore-Theater dargeboten. Das hat mehrere Vorteile: man bedient den Voyeur im Publikum, und es lässt sich immer behaupten, man habe ja im Milieu recherchiert. Recherche allein aber erzeugt weder Charaktere noch Dramaturgie, und an solcher gebricht es diesem simplen theatralischen Dampfmaschinchen, das mit rumpfhaften Dialogen eine ganze Reihe männlicher Perversionen zur Aufführung bringt. Dass auch perverse Männer arm dran sind, darauf kommt in Zürich niemand – die entsprechenden Praktiken werden zum Lachen freigegeben. Dazu Melodien aus dem „Zigeunerbaron", unsägliche Popliedchen und Selbstarrangiertes...
    Das Stück, wenn es denn überhaupt eines ist, tappt mit brutalistischer Naivität in die Realismusfalle, um sich gleich darauf im Sozialkitsch zu suhlen. Also: hier eine Abtreibung mit Stricknadel, dort lesbisches Schmachten, untermalt von Jennifer Rushs „Power of Love". Jenseits der Frauen-Liebe sind Schauspielerinnen aber nur Vorführ-Models für sexuellen Missbrauch, sie werden von Männern beschmiert und gedemütigt, und man fragt sich diverse Male, ob die Regie nicht auch die Schauspielerinnen missbraucht. Psychologie: null. Einzig der in seiner kaputten Ehe gefangene Banker, gespielt von Fritz Fenne, hat etwas Gehetztes und Verlorenes – aber er muß dann gleich wieder „Tom und Jerry" gucken; ergo: ein Kleinkind, das Geld hat.
    Der Banker bringt das Stück zum Stillstand, indem er Anna und Elena zu einem hoch bezahlten Liebesdienst engagiert, diesen dann aber mit einem – übrigens pathetisch abgefilmten – Suizid krönt. Parallelen zum wahren Bankerleben offenbar nicht ausgeschlossen. Nun geht Mundruczó nochmals in die Vollen: die früheren Freier treten als Richter, Rechts- und Staatsanwalt auf – Achtung, Sozialkritik! – und bringen Anna und Elena in den Knast, wo Anna leider länger verweilen muß. Die junge Elena dagegen angelt sich einen reichen Mann. So können die liebenden Frauen zueinander nicht kommen. Ja, das Leben ist hart: Bauer sucht Frau, und Nutte sucht sich einen Schweizer Millionär. Ein Groschenheft-Drama fürs Züricher Gutbürgertum. Helau.
    Der Regisseur, der leider an diversen Theatern hoch gehandelt wird, möchte am Ende aber noch ein Bewerbungsschreiben abgeben: Der gesamte letzte Teil besteht aus einem Film, der von den Schauspielern als Geräuschemachern live synchronisiert wird. Kornél Mundruczó hat also schon mal etwas von Katie Mitchell gehört. Auch Castorf, Pollesch, Jelinek sind ihm geläufig. Er kann's dann aber doch nicht so gut. Er ist einfach ein stinknormaler Theater-Zampano, der beeindrucken möchte. So wie der Betrieb derzeit tickt, steht ihm eine große Karriere bevor.