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Schavans Arbeit hätte nicht "angenommen werden dürfen"

Die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf entscheidet heute, ob ein Verfahren zur Aberkennung des Doktortitels von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) eröffnet wird. Der Ausgang ist offen, meint der Jurist Gerhard Dannemann. Doch sieht er in der Arbeit grobe Verstöße gegen wissenschaftliche Praxis.

Gerhard Dannemann im Gespräch mit Christiane Kaess | 22.01.2013
    Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) hat ihre Doktorarbeit vor 30 Jahren verfasst.
    Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) hat ihre Doktorarbeit vor 30 Jahren verfasst. (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    Christiane Kaess: Vor einem Jahr veröffentlichten Plagiatsjäger ihre Vorwürfe gegen Bundesbildungsministerin Annette Schavan von der CDU erstmals im Internet. Auf Dutzenden Seiten ihrer vor mehr als 30 Jahren verfassten Dissertation "Person und Gewissen" wollen sie falsche Zitierweisen entdeckt haben. Höchst pikant waren diese Enthüllungen für eine Ministerin, die zu dem wegen Plagiaten in seiner Doktorarbeit zurückgetretenen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg von der CSU öffentlich bemerkt hatte, sie schäme sich und, so wörtlich, nicht nur heimlich. Der Fakultätsrat der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf entscheidet heute, ob ein Verfahren zur Entziehung des Doktorgrades im Fall von Annette Schavan eröffnet wird.
    Am Telefon ist jetzt Gerhard Dannemann, er ist Juraprofessor an der Humboldt-Universität Berlin, arbeitet beim Plagiateportal VroniPlag mit und er kennt Annette Schavans Doktorarbeit. Guten Morgen!

    Gerhard Dannemann: Guten Morgen!

    Kaess: Herr Dannemann, die Uni Düsseldorf soll den Vorwurf der absichtlichen Täuschung abgeschwächt haben. Gehen Sie auch dennoch davon aus, dass der Fakultätsrat heute ein Verfahren zur Aberkennung des Doktortitels von Annette Schavan einleiten wird?

    Dannemann: Ich würde davon ausgehen. Diese Diskussion um Absicht oder Vorsatz ist etwas, was schon im Fall Guttenberg irgendwann aufgetaucht ist, hat eigentlich fast keine Bedeutung für den Ausgang dieses Verfahrens. Das sind Elemente, die im Strafrecht eine Rolle spielen, ob jemand absichtlich oder direkt vorsätzlich gehandelt hat, aber nicht im Verwaltungsrecht.

    Kaess: Falls die Wissenschaftler dieses Aberkennungsverfahren einleiten, ist Annette Schavan den Titel damit fast schon automatisch los?

    Dannemann: Nein! – Nein, denn die Universität hat durchaus ein Ermessen dabei. Der Promotionsausschuss hat ja die Arbeit eingehend untersucht und eben empfohlen, ein Verfahren auf die Wege zu bringen, in dem überprüft wird, ob als Konsequenz von dessen, was festgestellt wurde, der Doktorgrad zu entziehen ist. Die Einleitung eines Verfahrens nimmt das Ergebnis ja nicht vorweg. Es ist nur eine der Möglichkeiten, eine nicht fernliegende, aber immerhin es gibt auch noch andere Möglichkeiten, mit diesem Fall umzugehen.

    Kaess: Mit welcher Entscheidung rechnen Sie denn?

    Dannemann: Ich habe im Mai, als das öffentlich wurde, gesagt, der Ausgang des Verfahrens ist für mich völlig offen. Das ist er im Prinzip immer noch. Wir wissen nur, dass der Promotionsausschuss sehr detailliert sich mit dieser Arbeit befasst hat und einstimmig der Ansicht war, dass ein Verfahren einzuleiten ist. Also denke ich, ist die Wahrscheinlichkeit im Moment etwas höher, dass es mit der Entziehung des Doktorgrades endet, aber das ist immer noch offen.

    Kaess: Annette Schavan könnte ja dagegen klagen, sollte es so weit kommen. Wann könnte denn der Fall überhaupt definitiv klar sein?

    Dannemann: Man bräuchte erst mal eine endgültige Entscheidung der Universität, und dann könnte, fall sie dann auf Entziehung lauten würde, Frau Schavan vor das Verwaltungsgericht ziehen, und das könnte dann auch noch eine Instanz höher gehen. Und ja, das würde dann wahrscheinlich noch mal ein gutes Jahr in Anspruch nehmen, vielleicht auch ein bisschen mehr.

    Kaess: Herr Dannemann, für Sie ist die Arbeit von Annette Schavan ein Grenzfall. Warum?

    Dannemann: Es ist kein Grenzfall dazu, was zulässig ist. Diese Arbeit hätte nicht als Doktorarbeit angenommen werden dürfen. Da sind zu viele grobe Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis drin, wie Arbeiten zitiert sind, oder noch schlimmer, wie sie eben nicht zitiert worden sind. In einem Fall wurde über eine Seite ein Werk abgeschrieben, was in der ganzen Arbeit nirgendwo vorkommt, nicht zitiert worden ist, und so was darf nicht passieren. Ein Grenzfall war das für mich für die Frage, soll das auf VroniPlag dokumentiert werden, weil die meisten dort dokumentierten Arbeiten, alle dort dokumentierten Arbeiten in viel größerem Umfang Verstöße gegen Zitiergebote belegen und auch einfach krassere Fälle sind. Das war für uns ein Grenzfall.

    Kaess: Aber man muss doch eindeutig sagen können, hier geht es um ein Plagiat oder nicht?

    Dannemann: Ja. Also dass da Plagiate drin sind, ist zweifelsfrei. Da kommt man gar nicht herum. Die Frage ist halt nur, muss man deswegen einen Doktortitel entziehen. Ich denke, wenn irgendwo ein Doktorand an einer Stelle mal zwei Sätze irgendwo herhat, die nirgendwo in der ganzen Arbeit ausgewiesen sind, das ist nicht schön, aber dafür entzieht man keinen Doktortitel.

    Kaess: Sie sagen aber, das Ganze ist eindeutig. Nun gibt es aber andere Experten, die sagen, es gebe außerhalb der ausgewiesenen Zitate Paraphrasen, und die waren durchaus üblich damals. Welche Rolle spielt es denn, dass der Fall oder die Arbeit mehr als 30 Jahre zurückliegt?

    Dannemann: Frau Schavan ist ein paar Jahre älter als ich, aber nicht sehr viele. Ich war also auch im Wissenschaftsbetrieb damals, und so was hätten wir uns nicht leisten dürfen. Das war vollkommen klar. Für solche Vorgänge sind bei mir, habe ich miterlebt, wie Leute aus dem Seminar rausgeflogen sind.

    Kaess: Wie erklären Sie sich dann, dass sie damit durchgekommen ist?

    Dannemann: Ja nun, das hat der nicht gemerkt, ihr Betreuer. Da muss man schon genauer hingucken, das ist ja nicht offensichtlich. Es steht ja eben nicht dran, von wem es ist. Insofern muss man da erst mal nicht nur einen Verdacht haben, man muss sich hinsetzen und sehr gründlich diese Quellen vergleichen. Das kann ich mir schon vorstellen.

    Kaess: Welche Schuld trifft denn dann den Betreuer?

    Dannemann: Das ist schwer zu sagen, muss ich sagen. Ich habe mir die Arbeit angeschaut: Die offensichtlichen Elemente, an denen man es erkennt, Stilbrüche, schnelle Wechsel, die nicht erklärlich sind, findet man dort nicht. Also das war nicht so offensichtlich, dass man am Wesen schon merkt, das Ding ist plagiiert.

    Kaess: Jetzt gibt es nach wie vor Kritik an dem Verfahren der Uni Düsseldorf, zum Beispiel – das haben wir gerade im Beitrag gehört – von der Allianz der Wissenschaftsorganisationen. Indirekt zielt die Kritik darauf, dass der Düsseldorfer Gutachter Stefan Rohrbacher fachfremd ist und dass er den Bericht alleine erstellt hat. Teilen Sie die Kritik?

    Dannemann: Ich teile sie nicht, nein. Es gibt ja eine Fakultät. Das Verfahren wird, denke ich, wohl eingeleitet und da gibt es noch sehr, sehr viele Leute, die sich damit befassen werden. Es hat ja auch im Promotionsausschuss nicht an Fachkollegen gefehlt, die sich damit auch inhaltlich stärker noch hätten auseinandersetzen können. Zudem ist das eine Arbeit, die zwischen drei Disziplinen geschrieben wurde. Da kann man eigentlich jedem ankreiden, dass er nicht exakt genau dieses Feld vertritt, weil es mehrere sind. Der fehlende Fachverstand, wenn er dann da sein sollte, wo ich mir gar nicht mal so sicher bin, der wird ja im laufenden Verfahren der Universität noch beigesteuert werden. Aber man braucht nicht sehr viel Fachverstand, um ein Plagiat zu erkennen.

    Kaess: Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen – das haben wir auch gerade im Beitrag gehört – wird finanziell unterstützt vom Wissenschaftsministerium. Macht das diese Einrichtungen parteiisch?

    Dannemann: Ich fürchte ja! Ich denke, wenn das irgendjemand anders gewesen wäre, hätten sie diesen Brief nicht bekommen, diese Stellungnahme, und es hätten sich auch nicht andere Granden der deutschen Wissenschaft so weit vorgewagt. Was ich jetzt gehört habe so in dem letzten halben Jahr, da hat man heftig rückgerudert darüber, was ein Plagiat sein soll, wie man sauber wissenschaftlich arbeitet, was alles zulässig und nicht ist. Ein ehemaliger Präsident der DFG, unter dessen Vorsitz eben die DFG die Maßstäbe guter wissenschaftlicher Praxis erarbeitet hat, hat plötzlich eine Ansicht vertreten, die konträr zu dem steht, was die DFG damals beschlossen hat. Der hat gesagt, man darf nur Kernthesen und Kernaussagen einer Arbeit nicht unausgewiesen übernehmen.

    Kaess: Herr Dannemann, wenn wir noch mal auf den Streit um das Verfahren blicken: Warum hat denn das deutsche Wissenschaftssystem keine einheitlichen Vorgaben für solche Verfahren?

    Dannemann: Jede Universität kann das selber regeln im Rahmen der jeweiligen Universitätsgesetze des jeweiligen Bundeslandes.

    Kaess: Aber das führt ja offensichtlich zu Problemen.

    Dannemann: Ja, das kann es im Einzelfall. Aber im Fall Schavan erkenne ich eigentlich kein Problem dabei. Es kann mal Kompetenzkonflikte geben zwischen den verschiedensten Gremien, die da irgendwas zu sagen haben könnten, Ombudsleute, Ethikkommission, Fakultäten. Hier war es ja von Anfang an in der Fakultät.

    Kaess: Kurz zum Schluss noch: Sollte es zu einer Aberkennung des Doktortitels kommen, kann Frau Schavan Ihrer Meinung nach als Bundesbildungsministerin im Amt bleiben?

    Dannemann: Ich war immer der Ansicht, dass sie im Amt bleiben kann, solange sie ganz klar sagt, dass das, was sie da gemacht hat, nicht den Maßstäben guter wissenschaftlicher Praxis entspricht, und das hat sie bis heute nicht gesagt. Und das, muss ich sagen, halte ich für das Schlimmste an dieser Angelegenheit.

    Kaess: …, sagt Gerhard Dannemann, er ist Juraprofessor an der Humboldt-Universität Berlin. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dannemann.

    Dannemann: Gerne.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.