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Scheel warnt vor Substanzbesteuerung im Wahlprogramm der Grünen

Beim geplanten Spitzensteuersatz des Grünen-Wahlprogramms müsse darauf geachtet werden, dass Selbstständige, Gewerbetreibende oder mittelständische Unternehmen nicht benachteiligt werden, sagt Christine Scheel. Die frühere Finanzexpertin der Grünen warnt auch vor einer Substanzbesteuerung.

Christine Scheel im Gespräch mit Peter Kapern | 27.04.2013
    Peter Kapern: Und mitgehört hat Christine Scheel, die lange Jahre für die Grünen im Bundestag war und dort für eine pragmatische Finanzpolitik stand. Guten Tag, Frau Scheel!

    Christine Scheel: Guten Tag, Herr Kapern!

    Kapern: Frau Scheel, lassen Sie mich noch mal kurz aufzählen: Der Spitzensteuersatz soll rauf, die Vermögenssteuer soll wieder eingeführt werden, dazu eine Vermögensabgabe, das Ehegattensplitting soll abgeschmolzen werden, die Abgeltungssteuer soll abgeschafft und erhöht werden, die Erbschaftssteuer soll erhöht werden, die Beitragsbemessungsgrenze bei den Sozialversicherungen soll abgeschafft werden. Sind die Grünen da von einem fiskalischen Blutrausch übermannt worden?

    Scheel: Es ist schon so, dass die Aussage, dass man ja keine neuen Schulden machen will, eine richtige ist, und dass man dem gegenüberstellen muss, was haben wir an Einnahmen. Und ich muss sagen, ich bin ein Stück beruhigt, dass es nicht noch schlimmer gekommen ist, um das mal ganz ehrlich zu sagen.

    Denn das begehren einige, dass man wieder auf die 53 Prozent Spitzensteuersatz geht und die Vermögenssteuer parallel zu einer Vermögensabgabe noch einführt und das Ehegattensplitting völlig abschafft. Das wäre natürlich für die mittelständischen und für die mittleren Einkommen eine Katastrophe gewesen, und jetzt wird man klug schauen müssen, wie denn in der Steuer, wenn das jetzt einen Spitzensteuersatz von 49 Prozent ab 80.000 geben soll, wie dann dieser Tarif denn am Ende aussieht. Denn es ist ja nicht nur eine Frage, wie hoch ist der Spitzensteuersatz, sondern die spannende Frage ist ja auch, ist es zu versteuerndes Einkommen, wie ist der Tarifverlauf bis 49 Prozent, wie ist die Bemessungsgrundlage der Besteuerungsgrundlage überhaupt, die ja viel wichtiger ist letztendlich für die tatsächliche Besteuerung als dieser symbolische Spitzensteuersatz, über den immer diskutiert wird.

    Kapern: Aber das hat mein Kollege NAME DES BEITRAGS(MP3-Audio) Korbinian Frenzel ja eben deutlich gemacht: Belastet werden sollen alle, die mehr als 60.000 zu versteuern haben. Da müsste doch die Bohème auf dem Prenzlauer Berg schon das Gemüt eines Franz von Assisi haben, um jetzt noch Grün zu wählen.

    Scheel: Ich bin da mal gespannt, wie das weitergeht, wenn man dann im Detail diskutiert. Denn die Belastungen, die gesamt auftreten, also Thema Beitragsbemessungsgrundlage in der Sozialversicherung, Wegfall der Abgeltungssteuer, kombiniert auch mit einer höheren Besteuerung bei der Einkommensteuer, kann natürlich im Einzelfall auch in diesen Größenordnungen zu Mehrbelastungen führen, denn zu sagen, bis 60.000 passiert gar nichts, wird niemand höher belastet, das kommt ja ganz drauf an, wie sich die Einkünfte Einzelner zusammensetzen. Und hier wird von klassischen Arbeitnehmereinkünften in der Regel bisher gedacht, und nicht von der Situation selbstständiger oder Gewerbetreibender, wo man dann sagt, na ja, kleine mittelständische Unternehmen, die Personengesellschaften sind, sprich, der Einkommensteuer unterliegen, die können ja, wenn sie höhere Einkünfte haben, können ja optieren und können sich behandeln lassen wie Körperschaften, also wie GmbHs und andere, die dem Körperschaftssteuerrecht unterliegen.

    Das kann man so fordern und kann man auch sagen, ja, diese Möglichkeit gibt es im Steuerrecht, aber man muss natürlich auch sehen, dass es hoch kompliziert ist, und dass sehr viele aufgrund dieser Komplexität, die damit verbunden ist.

    Und der Folgewirkungen, auch, was die Altersvorsorge anbelangt – denn selbstständige Unternehmer müssen natürlich auch sehen, dass sie Rücklagen für ihre Altersversorgung bilden, und hier gibt es zwar für die Möglichkeit, bei dem Grünen-Programm Sparbeträge fürs Alter auch steuerfrei zu stellen, aber wer definiert dann, was ist ein Altersvorsorgevermögen, Vorsorgevermögen? Ist es nur die Rentenversicherung und die Pensionen, oder ist es auch eine Rückstellung im Unternehmen, also dann wird es hoch kompliziert. Deswegen steht der Praxistest erst an, wenn die Gesetze vorgelegt werden, und da muss man dann natürlich schauen, dass das, was versprochen ist, keine Substanzbesteuerung, keine Benachteiligung von Selbstständigen oder auch gewerbetreibenden kleinmittelständischen Unternehmen, die etwas tun für die Zukunft, das heißt, auch Rücklagen bilden, um mehr investieren zu können in schwierigen Zeiten, und Arbeitsplätze zu halten oder auch neue aufzubauen.


    Kapern: Da kann man doch grünen Wahlkämpfern im kommenden Wahlkampf nur gutes Gelingen wünschen, wenn die all diese komplizierten Dinge erklären sollen, wie Tarifverläufe beim Einkommensteuertarif, Bemessungsgrundlagen oder Freistellung für die Altersvorsorge. Wie soll man das in einem Wahlkampf machen, da müssen doch die Menschen jetzt erst mal mit Angst den Grünen gegenüberstehen, oder?

    Scheel: Nein, es geht jetzt erst mal darum, was sind die Ziele. Und die Ziele sind, keine Substanzbesteuerung und ein vernünftiger Umgang mit der Gesamtbelastung – das wurde ja zugesagt. Das bedeutet, dass man dann nach der Wahl, wenn es eben darum geht, das umzusetzen, diese Ziele auch dementsprechend im Blick haben muss und auf das eine oder andere eventuell dann zeitnah verzichten muss, sondern es streckt.
    Und hier habe ich zumindest auch wahrgenommen, dass es schon auch Überlegungen gibt, dass man bestimmte Einschränkungen vornimmt, wie die denn dann aussehen, ist ja offengeblieben. Und ein ganz wichtiger Punkt, der ja auch immer wieder Unmut in der Bevölkerung, gerade bei den kleinen, mittleren Einkommen, die besteuert und steuerpflichtig sind und auch zahlend sind, auslöst, ist ja diese heimliche Steuererhöhung.
    Das heißt, auch hier wird man in der Umsetzung schauen müssen, ob das Thema kalte Progression, was auf dem Parteitag ja überhaupt kein Thema gewesen ist, ob man hier diese heimliche Besteuerung nicht auch angeht parallel dazu, um eine wirkliche Mehrbelastung, die ja nicht gewünscht ist – zumindest bis 60.000 zu versteuerndes Einkommen –, dass die nicht mehr stattfindet.
    Das heißt, man muss auch dieses Thema kalte Progression mitüberlegen, und da, finde ich, brauchen wir noch ein bisschen Energie, dass man das auch dementsprechend vernünftig händelt.

    Kapern: Aber das heißt doch, wer grün wählt, kauft die Katze im Sack, weil sich erst nach der Wahl bei den einzelnen Gesetzen herausstellt, ob abkassiert wird oder nicht.

    Scheel: Ja, aber es muss hier darauf vertraut werden, dass die Aussage der Grünen, ab welchen Größenordnungen man wirklich belasten will, also beispielsweise jetzt auch bei der Vermögensabgabe, dass da klar gesagt wird, es geht ab einer Million Nettovermögen – also Nettovermögen heißt abzüglich aller Belastungen, die vorgegeben sind, und das bei Betrieben, das auf 35 Prozent des Gewinns begrenzt wird. Da wird man auch beispielsweise schauen müssen, wie ist es denn in einem Zeitraum von zehn Jahren, wo sich eventuell auch die Gewinnsituation nach Feststellung der aktuellen Situation im Jahr Eins verändern kann.
    Das heißt, es kann ja durchaus passieren, dass im Jahr vier oder fünf, die Belastung des Unternehmens zunimmt, weil man vielleicht weniger Aufträge hat, weil man eine Situation hat, dass man dann eben, auf die Hochrechnung geguckt, mit der Realität nicht mehr mit der Bewertung zusammenkommt.

    Und marktgerechte Bewertung muss ja dann jedes Jahr stattfinden. Also das wird auch noch ein Kraftakt für die Finanzbehörden werden, und die Steuerberaterkammern haben ja gesagt, dass etwa 5000 Steuerbeamte oder Steuerbeamtinnen beschäftigt sein werden, um überhaupt eine marktgerechte Bewertung der Immobilien alleine vornehmen zu können. Also das wird noch eine spannende Angelegenheit werden, wie die Länder reagieren, die ja dann auch die Beamten zur Verfügung stellen müssen, wo wir gleichzeitig in der aktuellen Situation uns ja auch um Steuerhinterziehung und der Bekämpfung von Steuersünde quasi – also mal ein aktuelles Beispiel haben wir ja in Bayern –, dass wir uns damit auseinandersetzen müssten. Und dazu braucht es ja auch genug Beamte, um hier Kontrollen vorzunehmen.

    Kapern: Die frühere Finanzexpertin der Grünen im Bundestag, Christine Scheel, heute Mittag im Deutschlandfunk. Frau Scheel, danke für das Gespräch, Wiederhören!

    Scheel: Bitte schon, Wiederhören!


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