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"Scheinheilig und auch ein bisschen übertrieben"

Anlässlich der Messe Gamescom in Köln wird wieder vor vielen Computer- und Videospielen gewarnt. Professor Peter Vorderer, Medienpsychologe an der Universität Amsterdam, hält die Debatte für scheinheilig.

Peter Vorderer im Gespräch mit Christoph Heinemann | 21.08.2009
    Christoph Heinemann: Verglichen mit früheren Formen der Unterhaltung (Stichwort Brot und Spiele) sind Computer- und Videospiele harmlos. Gladiatoren und wilde Tiere treten, wenn überhaupt, virtuell auf und auch das reichlich fließende Blut hinterlässt keine Flecken, jedenfalls keine, die man wegreiben müsste. Dennoch wird auch jetzt anlässlich der Messe Gamescom in Köln wieder vor vielen Spielen gewarnt. Der Hirnforscher Professor Gerhard Huether, einer der Unterzeichner des Kölner Aufrufs gegen Computerspiele, in denen es um Gewalt geht, meint:

    O-Ton Gerhard Huether: Die meisten Jugendlichen, die wir befragen, sagen, dass sie eben aus Frust nach der Schule immer erst mal an die Maschine gehen und da wird sozusagen der Computer nicht als Arbeitsgerät zur Lösung einer Aufgabe eingesetzt, sondern als Instrument zur Affektregulation, und das ist bedenklich, weil es abhängig macht.

    Heinemann: Computerspiele als Instrumente zur Affektregulation. – Norbert Schneider, der Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen, hält die Debatte über Computerspiele für nichts als schnöden Populismus. Die Debatte sei dadurch geprägt, dass immer nur das Elend thematisiert werde. Also: himmlisches Geschenk, oder Teufelswerk? – Am Telefon ist der Medienpsychologe Professor Peter Vorderer von der Freien Universität Amsterdam. Guten Morgen!

    Peter Vorderer: Schönen guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Vorderer, wie beurteilen Sie die deutsche Debatte über die Computerspiele?

    Vorderer: Die ist ein bisschen scheinheilig und auch ein bisschen übertrieben und hat jedes Maß an Gelassenheit und Sachlichkeit für meine Begriffe verlassen. Auch das Zitat, was Sie gerade zitiert haben, dass das Problematische an Computerspielen die Affektkontrolle, die damit erzielt wird, sei, kann ich nicht nachvollziehen, weil Mediennutzung war schon immer Affektkontrolle und ist eine Form, mit Affekten umzugehen, und hat darin auch eine ganz bestimmte und auch wichtige Funktion. Warum daraus unbedingt Abhängigkeit entstehen soll, will mir nicht einleuchten.

    Heinemann: Sie lehren in den Niederlanden. Wird dort anders über die Spiele diskutiert?

    Vorderer: Es ist, muss man ehrlich sagen, offen gestanden nicht viel anders. Ich habe vorher in den USA gelehrt, dort ist es wesentlich sachlicher, dort gibt es auch wesentlich mehr Forschung. In Europa generell ist das ganze erst im kommen. In den Niederlanden so auch wie in Deutschland gibt es noch bei weitem viel zu wenig Forschung und auch sachlich diskutierte Forschung. Aber noch schwieriger und noch bedauernswerter als die Forschung ist die öffentliche Auseinandersetzung darüber. Die findet meines Erachtens überhaupt noch nicht statt.

    Heinemann: Woran liegt das?

    Vorderer: Das liegt ein bisschen daran, dass wir in Deutschland ganz gerne zunächst mal ein ganz grundsätzlich kritisches Verhältnis zu Medien haben, dass wir auch sehr kritisch sind, wenn es darum geht, dass Leute einen gewissen Genuss empfinden im Umgang mit Medien, und auch im positiven Sinne gesprochen, dass wir eine hohe Sensibilität haben für möglichst negative Medienwirkungen. Das grenzt uns etwa von den US-Amerikanern ab, die damit ein bisschen argloser umgehen. Letzteres finde ich ja gar nicht schlimm, aber es sollte nicht verhindern, dass wir uns wirklich sachlich auseinandersetzen und dass wir die Forschung zur Kenntnis nehmen und Urteile bilden aufgrund der vorhandenen Forschungsergebnisse.

    Heinemann: Reden vielleicht zu viele Nichtnutzer über die Gefahren, die von diesen Spielen ausgehen?

    Vorderer: Ganz bestimmt. Es reden viele Nichtnutzer darüber, es reden aber auf der anderen Seite auch viele darüber, die jegliche Probleme verharmlosen und verleugnen, denen es nicht in das Konzept passt. Die Diskussion in Deutschland wird ja geführt einerseits von Vertretern der Industrie, die diese Spiele sozusagen gerne ganz unbedenklich bezeichnen, und denjenigen, die schon grundsätzlich kritisch und skeptisch sind und die erwarten, dass auch in solchen Spielen vor allem ein negatives Potenzial liegt. Ich würde ja gar nicht bestreiten, dass es dieses negative Potenzial gibt; was mir fehlt ist diese umfassendere Betrachtungsweise, bei der man sieht, dass sowohl Chancen wie auch Risiken vorhanden sind.

    Heinemann: Der Medienpsychologe Professor Peter Vorderer von der Freien Universität Amsterdam heute Früh im Deutschlandfunk. – Herr Vorderer, wir wollen uns eben etwas anhören. – Das waren jetzt gefühlte Minuten, tatsächlich eine halbe Minute aus der Welt der virtuellen Spiele. Herr Professor Vorderer, was lösen diese Geräusche und die dazu gehörenden Bilder in den Gehirnen der zumeist jungen Menschen aus, die täglich stundenlang vor den Bildschirmen und den Lautsprechern verbringen?

    Vorderer: Ganz unterschiedliche Dinge, sicherlich ein erhöhtes Maß an Erregung, ein erhöhtes Maß an Kampfbereitschaft, Reaktionsbereitschaft, vielfältige Assoziationen. Sie lernen, bestimmte Verbindungen im Kopf herzustellen zwischen dem, was sie hören, dem, was sie sich vorstellen, auch dem, was sie sehen, und dem, was sie sich dabei emotional vorstellen. Ganz sicherlich gibt es solche Wirkungen, das würde auch niemand bestreiten. Was wir untersuchen müssen ist, wozu führt es in der Dauer, und da sind wir noch viel zu schlecht. Wir wissen mittlerweile relativ gut, was kurzfristig passiert, was auch während der Nutzung dieser Spiele passiert. Was wir nicht wissen und was aber viel wichtiger wäre ist zu schauen, was passiert langfristig – etwa in der Sozialisation von Jugendlichen, etwa im Verlauf der kommenden Jahre, wenn jemand so etwas systematisch sehr häufig und sehr lange nutzt.

    Heinemann: Und was passiert dann?

    Vorderer: Das wissen wir eben noch nicht. Wir vermuten, wir befürchten, dass es eine bestimmte Anpassung an bestimmte Einstellungsmuster gibt, dass bestimmte Dinge für normal oder ungewöhnlich empfunden werden, dass es eine Desensibilisierung gibt, dass es eine Gewöhnung an solche Dinge gibt, dass ein durchaus intuitiv vorhandener Ekel, Abscheu, eine bestimmte Ablehnung sozusagen wegtrainiert wird, weil man sich zu sehr daran gewöhnt. All diese Dinge passieren nicht bei allen gleich, aber möglicherweise bei vielen aufgrund von bestimmten Spielen anders als von anderen Spielen und in bestimmten Situationen wiederum anders als in anderen Situationen. Das ist hoch komplex. Da gibt es sozusagen viele Variablen, die eine Rolle spielen, und dieses systematisch auseinanderzutreufeln, das wäre die Aufgabe und nicht pauschal zu sagen, die Spiele sind alle hoch problematisch, weil damit im gleichen Atemzug auch die Chance verpasst wird, sogenannte "serious games", also Lernspiele in ihrem Potenzial zu nutzen.

    Heinemann: Was sind Lernspiele?

    Vorderer: Das sind Spiele, die in erster Linie gespielt werden, auch weil sie Spaß machen, aber deren Effekt nicht eine negative Anpassung an Gewalt und Aggressivität bedeutet, sondern durch die bestimmte Inhalte vermittelt werden können, und zwar wesentlich besser als auf traditionelle Art und Weise, also Spiele, die, wenn Sie so wollen, die Zukunft der Vermittlung und des Lernens und des Lehrens bedeuten.

    Heinemann: Nun sind aber Jugendliche, wenn sie sich treffen, weniger an pädagogisch wertvollen Dingen interessiert als an dem wilden Geballer.

    Vorderer: Ja, das ist richtig und diese beiden Sachen fallen auch noch weit auseinander, weil dieses Geballer natürlich ein hohes Maß an Attraktivität hat. Das ist auch das Problem bei den Lernspielen, dass sie häufig nicht attraktiv genug sind. Aber die Zukunft besteht meines Erachtens ganz eindeutig darin, diese Lernspiele so zu gestalten, dass sie ähnlich attraktiv sind und von Jugendlichen dann eben auch gerne und freiwillig genutzt werden. Diese Entwicklung sehen wir, die ist in Amerika ganz stark am kommen, die wird auch in Deutschland kommen und die wird diese Diskussion sozusagen weiterführen und nach Integrationsmöglichkeiten suchen zwischen dem, was ist interessant für Jugendliche, und dem, was ist sinnvoll für sie, und weg von dieser Dichotomie zwischen einerseits reinen Gewaltspielen und andererseits langweiligen Lernspielen.

    Heinemann: Herr Vorderer, Kinder beherrschen die Technik perfekt, aber sie kommen oft mit den Inhalten nicht zurecht, und bei vielen Eltern verhält es sich genau umgekehrt. Bayern bietet einen Elternkurs an, "Wege durch den Mediendschungel". Sollten Eltern nachsitzen, um mit ihren Kindern digital auf Augenhöhe zu gelangen?

    Vorderer: Absolut. Dieses Phänomen kennen wir schon lange. Die Mediennutzung war schon immer von den Jugendlichen sozusagen sehr viel kompetenter erlebt und ausgeführt als von Erwachsenen und von älteren Menschen. Aber gerade in diesem Bereich, wo Erwachsene ja auch eine gewisse Kontrollfunktion und -aufgabe haben und Urteile abgeben über die Nutzung der Kinder und Jugendlichen, sollten sie zumindest wissen, worum es dabei eigentlich geht.

    Heinemann: Der Medienpsychologe Professor Peter Vorderer von der Freien Universität Amsterdam. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Vorderer: Danke auch, Herr Heinemann.