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Scheinrepublik "Liberland"
Der Traum vom perfekten Staat

Freiwillige Steuern, ein weitgehend unsichtbarer Staat und maximale persönliche Freiheit - das ist Vit Jedlickas Vorstellung vom perfekten Staat. Und die ist bereits in der Umsetzung: Im April rief der Tscheche die Republik "Liberland" aus. Mit Erfolg: Über 300.000 Menschen haben eine Staatsbürgerschaft beantragt.

Von Kilian Kirchgessner | 18.05.2015
    Präsident seiner eigenen Republik: Staatsgründer Vit Jedlicka vor der Flagge von Liberland
    Präsident seiner eigenen Republik: Staatsgründer Vit Jedlicka vor der Flagge von Liberland (dpa/picture alliance/Michael Heitmann)
    Der Präsident wirft sich in Pose: Für das Fotoshooting hat ein großes Magazin eine Fotografin mitsamt Assistenten geschickt, Vit Jedlicka reckt routiniert seine Faust in den Himmel und hält die Fahne seines Landes in die Luft.
    Jedlicka ist Anfang 30, von seiner Prager Dachterrasse hat er einen Panorama-Blick auf die Stadt. Hier oben drängeln sich die Besucher: Während des Fotoshootings gibt Jedlicka schnell per Internet ein Interview für einen türkischen Fernsehsender und auf ein paar Stühlen warten die Mitarbeiter einer Stiftung aus Argentinien auf ein Gespräch. Sie seien eigens dafür nach Prag geflogen, erklärt ihr Leiter, ein junger Mann.
    "Ich denke, ich kann hier lernen, wie sich Menschen auch im 21. Jahrhundert noch für etwas bislang Undenkbares einsetzen können und wie es immer noch möglich ist, Änderungen am System vorzunehmen."
    Nach einer Stunde schließlich hat Vit Jedlicka Zeit. Liberland heißt der Staat, den er von Prag aus gegründet hat. Jedlicka gehört in Tschechien zur Führungsmannschaft einer radikal-liberalen Partei; das Projekt Liberland sieht er als libertäres Versuchsfeld.
    "In Diskussionen ist mir so häufig empfohlen worden, ich solle doch mit meinen politischen Ideen einen eigenen Staat gründen. Das mache ich jetzt eben. Auf Wikipedia habe ich geschaut, wo es noch ein freies Stück Land gibt, das war's. Mehr braucht man nicht dazu."
    330.000 Menschen wollen in Liberland leben
    An der Donau zwischen Kroatien und Serbien liegt sein Liberland, und obwohl es natürlich von den großen Staaten nicht anerkannt wird, gibt es schon eine Verfassung. Juristen aus aller Welt, sagt Vit Jedlicka, hätten daran mitgearbeitet; die Verfassungen aus den USA, der Schweiz und Estland hätten Modell gestanden.
    "Wir haben die Aspekte übernommen, die sich bewährt haben, und viele neue Punkte hinzugefügt. Vor allem haben wir der Regierung vorgeschrieben, was sie alles nicht tun darf. Sie darf keine Gesetze zur Ehe erlassen, nicht zum Gesundheitswesen und nicht zum Bildungswesen - da soll sie sich einfach raushalten. Ich finde, da sollen sich die Leute selbst drum kümmern und eigene Entscheidungen treffen können."
    Freiwillige Steuern, ein weitgehend unsichtbarer Staat und maximale persönliche Freiheit - das sind die Grundwerte, um die es den Liberland-Anhängern geht. Das Projekt, versichert Jedlicka, sei völlig ernst gemeint. Und: Nein, es habe nichts mit dem typisch tschechischen Humor zu tun.
    "Es sieht vielleicht aus wie Spaß, aber ich habe eine riesige Verantwortung. Es gibt 330.000 Menschen, die da leben wollen. Meine Mission ist es jetzt, den Staat aufzubauen und anerkennen zu lassen in der internationalen Gemeinschaft. Ich tue alles dafür, dass es gut ausgeht."
    "Ich habe viele Vollmachten - das korrumpiert"
    Tatsächlich hat die Idee um Liberland inzwischen eine rasante Eigendynamik bekommen: 330.000 Menschen haben nach Angaben der selbst ernannten Staatsgründer in den ersten paar Wochen die - rein fiktive - Staatsangehörigkeit beantragt, die meisten kommen aus Europa und den USA. Einige haben sogar schon Boote gekauft, um über die Donau nach Liberland zu kommen. Vit Jedlicka gibt in seiner Prager Wohnung, die er als "Botschaft von Liberland" bezeichnet, ein Interview nach dem anderen, und Weltverbesserer aller Couleur wollen mit ihm gemeinsame Sache machen.
    "Ich bin dann zufrieden, wenn wir in Liberland die ersten Wahlen abgehalten und es keinen Präsidenten mehr gibt. Mein Amt ist nur für die Übergangszeit, denn ich habe viele Vollmachten und das korrumpiert. Je mehr Macht jemand hat, desto mehr läuft er Gefahr, korrumpiert zu werden."
    So ein Modell, das räumt Jedlicka ein, könne allenfalls in einem Kleinstaat funktionieren. Aber wenn ein anderes Land an der libertären Verfassung Interesse habe, könne er sich gern daraus bedienen - sie sei eigens ohne Urheberrechte veröffentlicht worden.