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Schicht im Schacht

Seit die Europäische Union Deutschland aufgefordert hat, seine Bergwerke schon 2014 zu schließen, herrscht Alarmstimmung in den Zechen. Die Kumpel unter Tage fragen sich, welches Spiel hier getrieben wird. Denn nach dem nationalen Kohlekompromiss von 2007 sollte erst 2018 Schluss sein.

Von Barbara Schmidt-Mattern und Volker Finthammer | 10.10.2010
    Noch immer ist das Steigerlied der vertonte Stolz aller Bergleute - kaum ein Kumpel, der die sieben Strophen nicht aus dem Effeff beherrscht. Aber auf Bergwerk Ost haben sie am 30. September aufs Singen verzichtet - keinem der Männer war danach zumute, denn an diesem Tag hat die Steinkohlenzeche im westfälischen Hamm nach über hundert Jahren die Förderung eingestellt. Eine letzte Betriebsversammlung gab es, und einen Teller Suppe:

    "Wir haben auch die letzte Förderschicht nicht als Feierstunde hier geplant. Ist kein Zeitpunkt zum Feiern."

    Sagt Bergmann Ralf Sollmann. Kumpel Udo Schillhammer hat versucht, das Beste draus zu machen, noch einmal ist er am 30. September um 3.30 Uhr in der Früh aufgestanden und um fünf Uhr ins Bergwerk eingefahren. Aber es war kein Tag wie jeder andere. Stattdessen, sagt der 47-Jährige, ist da eine große Leere:

    "Ein ganz bescheidenes Gefühl, wenn nicht gesagt sogar beschissenes. Wenn man 32 Jahre hier auf diesem Bergwerk gearbeitet hat, und es ist Schluss, es ist etwas, was sehr wehtut vom Gefühl her. Man ist niedergeschlagen und deprimiert."

    Früher, in besseren Zeiten, fanden 150.000 Bergleute in Hamm Lohn und Brot. In den letzten Jahren ist die Belegschaft auf 1800 Mann zusammengeschmolzen. Das Ende kam schleichend: 2007 haben der Bergbau-Konzern RAG, der Bund und die betroffenen Länder - Nordrhein-Westfalen und das Saarland - den Ausstieg aus dem deutschen Steinkohle-Bergbau beschlossen. Es war ein mühsam errungener Kompromiss, doch am Ende stand fest: 2018 soll Schluss sein. Das Bergwerk Ost ist die erste von sechs deutschen Zechen, die es trifft. Immer noch gibt es in Hamm viele, die das nur zähneknirschend akzeptieren. Uwe Glissmann hat jahrelang als Abteilungsleiter im Bergwerk gearbeitet:

    "Wir haben mit einer unglaublichen Energie versucht, neue Lagerstätten zu erschließen, haben das auch geschafft, wir haben riesige Kühltechnik da eingebaut. Und nirgendwo in Europa wird eigentlich fett tiefer Kohle abgebaut wie auf diesem Bergwerk."

    Der steigende Energiebedarf, die moderne Technik, die hochwertige Kohle - Uwe Glissmann findet viele Argumente, um die Schließung des Bergwerks Ost in Frage zu stellen. Auch Zahlen hat er parat: Im vergangenen Jahr lag das Bestellvolumen der RAG bei gut 110 Millionen Euro. Eine Schließung sei da kaum sinnvoll, meint Bergmann Martin Schöneberg:

    "Wir haben ein komplettes erschlossenes Kohlefeld, das Donarfeld, das ist auch mit vielen Millionen Euro erschlossen worden, und das lässt man jetzt einfach liegen, und das macht ökologisch, ökonomisch überhaupt keinen Sinn für mich."

    Doch obwohl die in Hamm geförderte Kokskohle deutlich höhere Preise erzielte als herkömmliche Kraftwerks-Kohle, hing das Bergwerk Ost seit Jahrzehnten am Subventions-Tropf, dreistellige Millionenbeträge zahlt allein das Land Nordrhein-Westfalen für seine Zechen jährlich drauf. Geld, das man sinnvoller anlegen könnte, glaubt Gerhard Papke, FDP-Fraktions-Chef im Düsseldorfer Landtag:

    "Das ist mehr als die Hälfte des Wirtschaftshaushalts in Nordrhein-Westfalen, und wenn man sich überlegt, mit 500 Millionen Euro könnte man in Nordrhein-Westfalen schlagartig 10.000 neue Lehrer einstellen."

    Längst sind die Steinkohle-Bergwerke für die Politik zu einer Rechenaufgabe geworden. Doch um nicht alle Zahlenspiele auf dem Rücken der Kumpel auszutragen, soll der Ausstieg sozialverträglich erfolgen, so wurde es 2007 festgeschrieben. Eine arbeitspolitische Maßnahme, die wiederum viel Geld kostet. Für das Bergwerk Ost bedeutet sie immerhin Gutes, nämlich keine betriebsbedingten Kündigungen. Stattdessen bleibt zunächst ein Teil der Belegschaft in Hamm: Mindestens hundert Mann sollen in den nächsten zwölf Monaten den Rückbau abwickeln. Bergmann Ralf Sollmann gehört dazu:

    "Untertage werden sehr viele Arbeiten noch anstehen, um allein die Maschinen herauszuholen, denn die werden bei der RAG weiter benötigt und kosten ein Heidenmoos, danach ist die Phase des Rückzuges bis hinterher zur Schachtverfüllung."

    Für die älteren Mitarbeiter wurde ebenfalls eine Lösung gefunden: Sie gehen in die sogenannte Anpassung, wie die Frührente im Bergbau heißt. Derweil muss der Großteil der alten Belegschaft künftig noch früher aufstehen. Hunderte von Kumpeln wechseln zu den benachbarten Bergwerken nach Bottrop und Marl. Letzte Woche sind sie in drei Bussen schon einmal hingefahren - um ihre Solidarität zu bekunden. Denn in den übrigen Zechen herrscht Alarmstimmung, seitdem die Europäische Union Deutschland aufgefordert hat, die deutschen Bergwerke schon 2014 und damit vier Jahre früher als geplant zu schließen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, SPD, sieht jetzt die Bundesregierung in der Pflicht:

    "In der Tat, das ist so, deswegen sind wir auch in ständigem Kontakt, übrigens auch mit Brüssel direkt, da gibt's natürlich auch Wege und Kontakte, die wir nutzen, auch mit den anderen Regierungen in den anderen Mitgliedsstaaten. Es ist wichtig, dass wir jetzt hier auch den Widerstand organisieren."

    Den 1800 Kumpeln aus dem Bergwerk Ost hilft das nicht mehr. Viele von ihnen wollen jetzt einen Schlussstrich ziehen. Nur Hamms Oberbürgermeister, Thomas Hunsteger-Petermann, der auch um die Kaufkraft in seiner Stadt fürchtet, versucht es mit Zweckoptimismus. Das Bergwerk Ost hüte einen zu großen Schatz, der nicht einfach liegen bleiben dürfe, glaubt der Oberbürgermeister:

    "Ich bin aber zutiefst davon überzeugt, dass die Millionen Tonnen Kokskohle irgendwann gefördert werden, ob das jetzt in zehn Jahren passiert oder vielleicht erst in der nächsten oder übernächsten Generation, das kann ich nicht beurteilen. Denn einen solchen Energieschatz wird Deutschland sicherlich nicht einfach still liegenlassen."

    Als die EU-Kommission im Juli ihre neuen Pläne vorlegte und das Jahr 2014 ins Spiel brachte, da fühlten sich in Deutschland viele überrumpelt. Nicht nur die Kumpel unter und über Tage fragten sich, welches Spiel da getrieben wurde. Schließlich wurde der im Februar 2007 getroffene Kohlekompromiss vom Bund, den Ländern, der Gewerkschaft und dem RAG Konzern als historischer Kompromiss gefeiert, der das Ende einer Industriegeschichte in Deutschland einleiten sollte. Da habe die Bundesregierung seinerzeit die Rechnung ohne den Wirt gemacht, kritisiert der sozialkdemokratische EU-Parlamentarier Bernhard Rapkay:

    "Die hat 2007 geschlafen, weil sie sich schlicht und ergreifend nicht um die europarechtliche Absicherung des Kohlekompromisses gekümmert hat."

    In der EU sind staatliche Beihilfen für Industriezweige oder einzelne Betriebe grundsätzlich verboten. Da gibt es nur wenige Ausnahmen. Eine davon ist die Kohleverordnung aus dem Jahre 2002. Sie gestattet unter bestimmten Voraussetzungen staatliche Beihilfen für neue Investitionen in den Bergbau, für den Betrieb der Bergwerke sowie die Stilllegung unrentabler Betriebe und die Finanzierung von Altlasten. Die Schlussklausel dieser Verordnung in Artikel 14 Absatz 3 lautet unmissverständlich: "Diese Verordnung gilt bis zum 31. Dezember 2010."

    "Grundsätzlich hätte ja die Kommission durch Nichtstun jetzt diesen deutschen Steinkohlekompromiss ad absurdum führen können. Ein Nichtbeschluss hätte dafür gesorgt, dass es 2010 Ende dieses Jahres zu einem kompletten Ende der Steinkohleförderung gekommen wäre. Das aber ist jetzt geändert, weil die Kommission die Debatte wieder aufgemacht hat."

    Sagt der FDP Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis. Aus Brüsseler Sicht gilt selbst das Jahr 2014 schon als weitreichendes Angebot. Zwar wird in elf Ländern der EU noch Kohle gefördert. Doch auf die umstrittenen Betriebsbeihilfen, mit deren Hilfe die Kohle überhaupt erst konkurrenzfähig wird, greifen neben Deutschland nur noch vier weitere Länder zurück: Spanien, Rumänien, Ungarn und Bulgarien, wobei Ungarn bereits frühzeitig angekündigt hat, im Jahr 2014 die Betriebsbeihilfen einzustellen. So verwundert es nicht, dass in der EU-Kommission nur noch der spanische Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia für eine deutliche Verlängerung der Fristen geworben hat. Auch Spanien möchte die Kohleförderung über das Jahr 2014 hinaus unterstützten. Allein die EU-Kommission ist dem Wunsch der Deutschen, Spanier und Rumänen nicht gefolgt, sagt der deutsche EU-Kommissar Günter Oettinger:

    "Wir haben in der Kommission zur Zeit eine klare Mehrheit aus Umweltpolitikern und aus Ordnungspolitikern, die dies nicht wollen. Wir kämpfen darum. Das Ganze ist nicht entschieden. Aber 2014 war vor einigen Wochen die längste Frist, die in der Kommission erreichbar war."

    Den Vorwurf, er habe sich austricksen lassen, weil er bei den entscheidenden Abstimmung im Kollegium gar nicht dabei war, weist Oettinger zurück.

    "Im Vorfeld haben wir auf allen Ebenen für 2018 geworben. Meine Meinung war bekannt. Und in der Kommissionssitzung war dann auch keine förmliche Abstimmung, sondern es war eine klare Tendenz, möglichst wenige Jahre das Ganze zu verlängern."

    Nichtsdestotrotz wurde diese Frage auch im politischen Streit der schwarz-gelben Regierungskoalition in Berlin ausgetragen. Wirtschaftsminister Brüderle nutzte die Gelegenheit, den Christdemokraten, deren Mann da in Brüssel sitzt, eins auszuwischen:

    "Ich verhehle nicht, dass es in Berlin eine Überraschung war, dass die Kommission einstimmig und von dem Energiekommissar aus Deutschland, der abwesend war, dass der noch einmal nachhinein unterstrichen hat, dass es diese Beschlussfassung ausdrücklich teilt, die Entscheidung getroffen wurde, 2014 es zu beenden."

    Der Seitenhieb auf den politischen Partner ist das eine. Aber für den Ordnungspolitiker Brüderle sprechen auf der anderen Seite auch gute Gründe dafür, die Förderung früher zu beenden. Das Geld ließe sich für die Sanierung des Bundeshaushalts gut gebrauchen, zumal der Bericht der EU Kommission zeigt, dass die Beihilfen das Grundproblem der unrentablen Produktion nicht lösen, sondern lediglich verzögern. Der Wirtschaftsminister, der spätestens im Dezember einen neuen Kompromiss aushandeln muss, zählt damit zu den größten Skeptikern einer Verlängerung.

    "Es gibt Äußerungen der Ruhrkohlestiftung und der IGBCE, die sagen, eine frühere Beendigung wäre teurer als bis 2018. Ich warte noch auf die Zahlen und die Belege und die Rechenbeispiele, um das nachvollziehen zu können."

    Bundeskanzlerin Angela Merkel hat derweil erkennen lassen, dass Sie in Brüssel für den deutschen Kohlekompromiss kämpfen will. Dafür zeichnen sich bislang weder in der EU-Kommission noch im Ministerrat Mehrheiten ab. Um das Jahr 2018 festschreiben zu können, müsste der Vorschlag der EU-Kommission geändert werden.

    "Deutschland kämpft um weitere Partner, und ich könnte mir denken, dann, wenn Deutschland glaubwürdig versichert, in acht Jahren auszusteigen und das Ganze keine Salamitaktik ist, dann haben wir eine Chance, dass die Kommission und der entsprechende Rat der Wirtschaftsminister das Ganze auch akzeptiert."

    Sagt EU-Energiekommissar Günter Oettinger und zielt damit auch auf die Revisionsklausel Deutschland, wonach der Kohlekompromiss im Blick auf die Laufzeiten im Jahr 2012 noch einmal geprüft werden sollte. Eine schwierige Konstellation. Denn derzeit gibt es noch nicht einmal Mehrheiten, um die Kohleförderung bis zum Jahr 2014 zu verlängern. Das könnte am Ende teuer werden für Deutschland, sagt der liberale Abgeordnete Jorgo Chatzimarkakis.

    "Denn man muss Mitgliedsstaaten gewinnen, die sich dieser Position anschließen, und das heißt, wenn noch weitere Dinge aus dem Deutschen Kohlekompromiss aufrechterhalten werden sollen, könnte es mehr kosten."

    Und diese Rechnung wird die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Sparzwänge aufmachen müssen. Im Bundestag hat die Regierungskoalition am vergangenen Donnerstag bereits ein klares Bekenntnis zur Förderung des deutschen Steinkohle-Bergbaus vermieden und stimmte gegen zwei Oppositionsanträge, in denen SPD und die Linke ein Festhalten an der Kohle-Subventionierung bis zum Jahr 2018 verlangt hatten.

    Auf dem saarländischen Bergwerk Ensdorf, am Standort Duhamel, fährt die Mittagsschicht aus. Lange wird das vertraute "Glück auf" nicht mehr ertönen. 2012 schließt im Saarland das letzte Bergwerk. 1.700, das sind etwa die Hälfte der heute noch 3500 saarländischen Bergbau-Beschäftigten, werden dann verlegt. Die meisten davon ins 450 Kilometer entfernte Ibbenbüren. Es ist ein Prozess, der bereits vor einem Jahr begonnen hat. Mal sind es 100, mal sind es 80 Bergleute, die sich mit dem Ziel Westfalen auf den Weg machen.
    Einer davon ist Uwe Schimanski. Ende September hat der gelernte Schlosser auf Ensdorf seine letzte Schicht gefahren. Ein Wechsel des Einsatzortes ist für ihn nichts Neues.

    "Also, Ensdorf ist meine dritte und Ibbenbüren meine vierte Anlage, nach Luisenthal, Warndt, Ensdorf und jetzt Ibbenbüren."

    Die Aufgabe, die ihn am neuen Ort erwartet, ist ihm vertraut. Schimanskis Arbeitsplatz ist auch in Ibbenbüren die Kohlenwäsche. Es ist ein lauter Platz, an dem computergesteuerte Maschinen dafür sorgen, dass die Kohle von nicht brauchbarem Gestein getrennt wird, bevor sie im Kraftwerk verstromt wird. Ein Arbeitsplatz über Tage. Das ist von Bedeutung. Denn ob ein Bergmann sich mit 50 oder erst mit 57 Jahren in den Vorruhestand verabschieden darf, hängt davon ab, ob er über oder unter Tage beschäftigt war. Uwe Schimanski ist 48 Jahre alt, und war immer über Tage im Einsatz. Das heißt, er muss bis 2018, bis zum prognostizierten Ende dabei bleiben. Trotzdem will er wie viele seiner Kollegen allein nach Ibbenbüren.

    "Geplant ist es vorerst ohne Familie. Ich werde hoch gehen, die Frau und die Kinder bleiben hier. Für mich sind es noch knapp zwei Jahre, und die muss man dann irgendwie überbrücken. Meine Frau arbeitet halbtags, meine Kinder gehen zur Schule, meine Mutter ist über 80, wohnt im Haus und braucht Hilfe, von daher ist es unmöglich, die Familie mitzunehmen."

    Alle dreieinhalbtausend, die noch im saarländischen Bergbau beschäftigt sind, wissen, was auf sie zukommt. Die Brüsseler Ankündigung, Deutschland dazu zu bewegen, bereits 2014 aus dem subventionierten Steinkohlenbergbau auszusteigen, brächte ein ausgeklügeltes System ins Wanken. Die Bergleute berichten:

    "Also ich denke, dass wir in der Regierung keinen Rückhalt haben. Das größte Problem ist ja, man findet gar keine Lösung, dann sind wir nächstes Jahr schon am Ende, das wäre natürlich der Supergau. Es gibt gar kein anderes Gespräch mehr, weder auf der Arbeit noch in der Familie."

    Die IGBCE, die Industrie-Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie ist erbost darüber, dass wegen politischer Schlafmützigkeit der von ihr mit ausgehandelte Kohlekompromiss von 2007 nun in Brüssel zur Disposition steht. Denn die Gewerkschaft hat gegen ihre Überzeugung ein Enddatum, 2018, für den deutschen Steinkohlenbergbau akzeptieren müssen, inklusive der Tatsache, dass es nicht für alle Beschäftigten einen sanften Ausstieg geben kann. Ulrich Freese, der stellvertretende Bundesvorsitzende der IGBCE, pocht auf Vertragstreue:

    "Abgemacht ist abgemacht. Wir bestehen darauf, dass die Kohlevereinbarungen von 2007 eingehalten werden."

    Und zwar in Gänze. Die IGBCE hält überhaupt nichts davon, die Revisionsklausel aufzugeben, um die EU Kommission zu besänftigen. Die Klausel besagt, dass der Bundestag 2012 im Lichte der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und einer sicheren Energieversorgung noch einmal darüber befindet, ob es beim Ausstieg aus der Steinkohlenförderung 2018 bleibt oder nicht. Die Gewerkschaft hofft, dass sich die Abgeordneten für eine Fortführung des Bergbaues aussprechen und plädiert für einen Sockelbergbau.

    Doch selbst der Gesamtverband Steinkohle, der die weltweiten Energiemärkte seit Jahrzehnten beobachtet, möchte die These, die deutsche Steinkohle werde gebraucht, um die Versorgungssicherheit des Landes zu sichern, nicht mehr bemühen. Professor Franz-Josef Wodopia, Hauptgeschäftsführer des Verbandes:

    "Wenn wir nur noch ein Viertel des Kohlebedarfs selbst decken, da wird man sagen, sicherlich geht das auch auf andere Weise."

    Angesichts von Weltmarktpreisen, die zwei Drittel unter den deutschen Förderkosten liegen und einer breiten Basis außereuropäischer Lieferländer, sind es in erster Linie die sozialen Folgen, die bei einem früheren Ausstieg aus der deutschen Steinkohle gelöst werden müssten. Wenn jedoch - wie von der EU angestrebt- das Jahr 2014 das Ende für den deutschen Steinkohlenbergbau markiert, sei das politische Versprechen, im Bergbau werde es nicht zu betriebsbedingten Kündigungen kommen, nicht zu halten, sagt IGBCE-Vorstand Freese.

    "Massenentlassungen samt der sozialen Folgekosten wären unvermeidlich."

    Das RWI, das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung, hält dem entgegen, dass es durchaus wünschenswert sei, den Strukturwandel zu beschleunigen. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass die im Steinkohlenfinanzierungsgesetz bis 2019 vorgesehenen Subventionen auch dann zur Verfügung gestellt würden, wenn keine Kohle mehr gefördert wird. Sie sollten umgewidmet werden und für Qualifizierung- und Umschulungsmaßnahmen von Bergleuten ausgegeben werden.

    Auch die RAG-Stiftung hätte mit einem solchen Konzept Zeit gewonnen, argumentiert der RWI-Experte. Die Stiftung wurde 2007 gegründet. Sie hat die Aufgabe, mit Hilfe der ihr anvertrauten Unternehmen bis zur Beendigung des Steinkohlenbergbaus genug Geld zu erwirtschaften, um die sogenannten Ewigkeitslasten abzudecken. Dazu zählt zum Beispiel die auch nach der Stilllegung notwendige Wasserhaltung. Geplant ist ein gewinnbringender Verkauf oder ein Börsengang der Unternehmenssparten Chemie, Energie und Immobilien. Allerdings hat die Idee von der Umwidmung der Absatzbeihilfen einen gravierenden Nachteil: Das Steinkohlenfinanzierungsgesetz müsste geändert werden.

    Die Neigung dazu ist gering. Lediglich der liberale Bundeswirtschaftsminister hat sich in der Kohlefrage noch nicht eindeutig positioniert. Für alle anderen politisch Verantwortlichen aber gilt, was der saarländische Ministerpräsident, Peter Müller, so zusammengefasst hat:

    "Dazu hat niemand so recht Lust, und deshalb wollen wir vermeiden, dass es notwendig ist."

    Das heißt, in Brüssel muss Versäumtes nachgeholt und Überzeugungsarbeit geleistet werden.