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"Schicke die Fotos in die Welt hinaus"

"Guantánamo hat endlich seine Stimme gefunden", bemerkte der amerikanische Schriftsteller Gore Vidal. Gemeint sind die poetischen Zeugnisse, die aus dem am besten bewachten Hochsicherheitstrakt der Welt stammen - aus dem Gefängnis von Guantánamo. Herausgeber dieser Sammlung von 22 Gedichten ist der amerikanische Rechtsanwalt Mark Falkoff.

Von Klaus Englert | 29.08.2007
    "Todesgedicht", von Jumah al Dossari
    Nimm mein Blut.
    Nimm mein Leichentuch und
    Die Überreste meines Körpers.
    Photographiere meinen Leichnam am Grabstein, einsam.

    Schicke die Fotos in die Welt hinaus,
    Zu den Richtern und
    Zu den Menschen mit Gewissen,
    Schicke sie zu den Ehrenhaften und Gerechten.

    Und laßt sie ertragen die schuldhafte Last vor der Welt,
    Dieser unschuldigen Seele,
    Laßt sie ertragen die Last vor den Kindern und vor der Geschichte,
    Dieser reinen, verwüsteten Seele,
    Dieser Seele, die unter der Obhut der "Friedensbewahrer" gelitten hat.


    Literarische Sensationen bedienen meistens den Massengeschmack. Völlig anders ist eine Publikation in den Vereinigten Staaten zu bewerten, die bereits vor Erscheinen für größeren Medienrummel gesorgt hat. Die angesehene "University of Iowa Press" hat nämlich dieser Tage die "Poems from Guantánamo" herausgegeben - 22 Gedichte von 17 Häftlingen. Herausgeber Marc Falkoff, Assistenzprofessor an der Northern Illinois University und Anwalt von 17 jemenitischen Gefangenen in Guantánamo, nennt die Publikation ein "Wunder". Das ist keineswegs übertrieben, bedenkt man, dass die Inhaftierten vollständig vom Rest der Welt abgeschnitten sind:

    " Es ist schon erstaunlich, wenn man sich vorstellt, dass die angeblich Schlimmsten der Schlimmen, die Terroristen Gedichte schreiben. Einige dieser Gedichte sind ziemlich prosaisch, andere sind tief bewegend, noch andere zeugen vom menschlichen Willen, vom Kampf gegen das Elend dieser schrecklichen Existenz."

    Die 380 Guantánamo-Häftlinge werden auf unbestimmte Zeit festgehalten. Nur zwei von ihnen sind wegen Verbrechen angeklagt. Damit ignorieren die Vereinigten Staaten die Genfer Konvention, die sie selbst unterzeichnet haben. Ein Sprecher des Pentagon erklärte noch kürzlich: "Für die Gefangenen sind die Gedichte eine weitere Waffe im Kampf gegen die westlichen Demokratien." Marc Falkoff kämpfte über zwei Jahre gegen den hartnäckigen Widerstand der Militärs. Die Geschichte begann 2005, als Falkoff von zwei seiner Klienten religiöse Gedichte erhielt. Zwar hält das Pentagon die beiden Gedichte noch heute unter Verschluss, doch der Rechtsanwalt begann, sich für die Guantánamo-Poeten zu interessieren. So erfuhr er von seinen Anwaltskollegen, dass auch andere Häftlinge Verse schreiben. Es stellte sich sogar heraus, dass Guantánamo voll von Amateur-Poeten ist. Dabei galt es im Lager als höchst gefährlich, Gedichte zu verfassen. Das Pentagon befürchtete, sie könnten als Kassiber nach außen geschmuggelt werden und codierte Nachrichten für andere militante Islamisten enthalten. Im ersten Jahr, während der verschärften militärischen Vorschriften, durften die Häftlinge weder Bleistift noch Papier benutzen. Deshalb schrieben zahlreiche Häftlinge mit Zahnpasta, andere kratzten mit Kieselsteinen Wörter auf Schaumstoffbecher. So entstanden die "cup poems", die von Zelle zu Zelle gereicht wurden. Bis sie am folgenden Tag, während der täglichen Müllentsorgung, eingesammelt und vernichtet wurden.

    Als Falkoff vor etwa einem Jahr begann, die "poems from Guantánamo" zu sammeln, hatte er das Glück, dass die Sicherheitsvorschriften etwas gelockert wurden. Dennoch waren die Hürden für eine Publikation extrem hoch. Vom Pentagon erhielt er zahlreiche Vorschriften: Zunächst galt das absolute Verbot, die Gedichte in der Originalsprache zu veröffentlichen. Zudem musste jede Übersetzung die staatliche Zensurbehörde passieren. Und es durften ausschließlich Übersetzer herangezogen werden, die sozusagen ein regierungsamtliches Unbedenklichkeitszertifikat besitzen. Über tausend Gedichte wurden aussortiert, und sogar die meisten der bereits übersetzten Strophen wurden vom Militär zurückgehalten. Beispielsweise wurden mehrere hundert Gedichte von Scheich Abduraheem Muslim Dost vom Pentagon konfisziert. Nach der langwierigen Prüfung blieben insgesamt 22 übrig und konnten für die Publikation der "University of Iowa Press" freigegeben werden. Naturgemäß finden sich darunter nicht nur hochwertige poetische Zeugnisse, aber das war, gemessen an den geschilderten Umständen, auch nicht anders zu erwarten. In der Sammlung befindet sich etwa das Gedicht von Sami al Haj, Kameramann des arabischen Senders Al Dschazira, der sich nach dem Gurren der Tauben und dem Zwitschern der Lerche sehnt. Oder das Gedicht "Ode ans Meer" von Ibrahim al Rubaish:

    Meer, beleidigen Dich unsere Ketten?
    Nur unter Zwang gehen wir hier auf und ab.

    Kennst Du unsere Sünden?
    Begreifst Du, dass wir in die Dunkelheit geworfen wurden?

    Meer, Du verspottest uns in unserer Gefangenschaft.
    Du hast Dich mit unseren Feinden zusammengetan und bewachst uns grausam.

    Erzählen die Felsen Dir nicht von den Verbrechen, die neben ihnen begangen wurden?
    (...)

    Seit drei Jahren bist Du an unserer Seite, und was hast Du dabei gewonnen?
    Boote voller Gedichte auf See; eine vergessene Flamme im brennenden Herz.

    Die Worte des Dichters sind die Quelle unserer Kraft;
    Seine Strophen sind Balsam für unsere gepeinigten Herzen.


    Die Häftlinge vertrauten Marc Falkoff an, wenn sie Gedichte schrieben, könnten sie besser mit Wut und Frustration fertig werden. Sie seien - wie es im Nachwort der Sammlung heißt - ihr einziges Mittel gegen die Hoffnungslosigkeit, und das einzige Mittel, um sich zu ihrer verwundeten Menschlichkeit zu bekennen:

    " Für mich ist das klar: Für diese Männer in Guantánamo bleibt kaum etwas zu tun. Sie sind fast jeglichen Lesestoffs beraubt. Deswegen sind viele Gefangene dazu übergegangen, ihre geistige Tätigkeit irgendwie aufrecht zu erhalten, die Leere ihres Gefängnis-Daseins zu füllen, irgend etwas Kreatives zu tun, an ihrer Menschlichkeit festzuhalten."

    "Poems from Guantánamo" erzählt von den Qualen, Hoffnungen und Träumen der Häftlinge. Wäre es nicht der schönste Traum im Land der unbegrenzten Haftmöglichkeiten, "Poems from Guantánamo" könnte ein lyrischer Bestseller werden?

    "Poems from Guantánamo. The Detainees speak"
    University of Iowa Press
    84 Seiten, 13,95 US-Dollar