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Schicksal des nassen Elements

Der französische Autor Erik Orsenna hat sich für seine neue literarische Reportage auf die Spur des Wassers begeben. Zwei Jahre lang war er unterwegs auf Flüssen, Seen und Meeren und stellte fest, dass das kostbare Gut Wasser auf der Welt äußerst unterschiedlich gehandhabt wird.

Von Georg Ehring | 01.03.2010
    Tückisch, gewalttätig, unbeständig. Aus den bisher erwähnten Eigenschaften könnten Sie schließen, ich hasste das Wasser. Nichts liegt mir ferner! Fasziniert von dieser Persönlichkeit, habe ich mich bemüht, mir meinen Scharfblick zu bewahren. So, wie man sich bei einer zu schönen Frau auf gewisse Fehler konzentriert, wohl wissend, dass man ihr erliegen wird.
    Kann man eine Liebesgeschichte über eine geschmacksneutrale, durchsichtige Flüssigkeit schreiben? Wer daran zweifelt, sollte sich "Die Zukunft des Wassers" von Erik Orsenna vornehmen. Es ist ein Buch der großen Gefühle: Faszination, Sehnsucht und Begehren haben ihren Platz, aber auch Verlustangst und Schrecken, Zweifel und Gewissheit. Der Autor begibt sich auf eine Weltreise, um die Natur des Wassers in all ihren Facetten zu ergründen. Den Anfang macht er in Australien, also da, wo das Wasser besonders knapp ist. Die beiden Flüsse Darling und Murray bewässern die auch im internationalen Vergleich sehr produktive Landwirtschaft Australiens. Der Autor stellt sie als launische Schwestern vor, die ihre Dienstleistung mit schwer erträglicher Unregelmäßigkeit verrichten. Die Wassermenge, die durch den Darling fließt, schwankt von Jahr zu Jahr um das 4700fache.

    Armer Fluss Murray! Man könnte meinen, das Röntgenbild eines Schwerverletzten vor sich zu haben mit Schienen, langen Schrauben in den Knochen und Eisenplatten, allen jenen so kunstvollen Basteleien, die die Beine oder das Leben retten, schreibt Orsenna über den Anblick einer Landkarte zur Wasser-Regulierung im Einzugsgebiet des Schwesterflusses des Darling. Die Australier versuchen, mit Dämmen und Deichen, mit Entsalzungsanlagen und Pumpen trotzdem eine regelmäßige und ausreichende Wasserversorgung zustande zu bekommen - gerade in den vergangenen Jahren ist dies durch extreme Trockenheit häufig schief gegangen. Wie sie dies genau machen, erfährt der Leser allerdings nicht. Stattdessen Einzelheiten über das Berufs- und auch Privatleben der Beteiligten, über Schicksale von Bauern in der Einöde des fünften Kontinents und über den Pioniergeist vieler Bewohner, die eine lebensfeindliche Umgebung lebens- und liebenswert machen wollen.

    Wasser ist elementar für das Leben in der ganzen Welt, doch der Umgang damit könnte unterschiedlicher kaum sein: Penible Reinheit und exakte Planung von Angebot und Verbrauch prägen das Bild in Singapur. Angst und Schrecken vor den Fluten, denen der Mensch allzu oft machtlos gegenübersteht, erlebt der Leser in Indien und Bangladesch. Orsenna führt Machbarkeitswahn angesichts des Dreischluchtenstaudamms in China vor und Erfindergeist sowie Technikfaszination bei der Entsalzung von Meerwasser in Israel. Immer wieder mit überraschenden Einblicken und Sichtweisen:

    Es gibt nichts indiskreteres als eine Entsalzungsanlage. Die verschiedenen Behandlungen des Meerwassers und die Stapelung der Membranenröhren nehmen riesige Räume ein, das bedeutet imposante Gebäude, die schwer zu verbergen sind, weil sie notwendigerweise in unmittelbarer Nähe des Meeres liegen. Es gibt kaum bessere Zielscheiben für Terroristen.
    Am Ende hat der Leser jede Menge Details aus der Welt des Wassers erfahren und hat viele Menschen kennengelernt, deren Schicksal mit dem Nassen Element innig verwoben ist. Die Erzählungen aus fünf Kontinenten stehen jedoch in ihrer Unterschiedlichkeit für sich, Schlussfolgerungen zieht der Autor nur sehr vage und unverbindlich. Zum Beispiel in der wichtigen Frage, ob Wasserwerke besser privat oder staatlich geführt werden sollten:

    Wer die Meinung vertritt, die öffentliche Regie sei entschieden besser als private Konzessionen, vergisst die Krankheiten, die alle Verwaltungen auf der Welt haben: Die Überbesetzung, das Fehlen von Sanktionen, die Gefügigkeit gegenüber Interventionen der Abgeordneten, die Rücksichtnahme auf Wahlen. Wer die Meinung vertritt, man müsse dringend überall privatisieren, schenkt den Machenschaften der Unternehmen wenig Beachtung, deren Motor und Pflicht darin besteht, Profite zu erzielen, mit der Konsequenz eines ständigen Druckes auf die Preise.
    Eine Wunderlösung gebe es nicht, schlussfolgert der Autor und lässt den Leser etwas ratlos zurück. Immerhin hat er auf seiner Weltreise so viel gesehen, dass er der Versuchung widersteht, in der Verfügbarkeit von Wasser die alles entscheidende Frage und die Ursache für künftige Kriege und Konflikte schlechthin zu sehen. Umweltverschmutzung, Erosion, Knappheit von Anbauflächen, der Klimawandel und das Wachstum der Weltbevölkerung sorgen auch für Herausforderungen auf anderen Gebieten. In jeder Weltregion sieht die Zukunft wie auch die Gegenwart des Wassers unterschiedlich aus, Gemeinsamkeiten kann Orsenna kaum herausarbeiten. Sein Werk bietet also keine Analyse, geschweige denn Empfehlungen, sondern Denkanstöße und Erfahrungen der Menschen von fünf Kontinenten. Wer sich für die Zukunft des Wassers interessiert, und das ist immerhin der Titel von Orsennas Buch, dessen Neugier wird zu wenig befriedigt. "Eine Reise um die Welt" verspricht dagegen der Untertitel und diese Erwartung wird voll erfüllt. Freunde der Reiseliteratur werden das Buch mit Genuss lesen, denn zu den Erlebnissen kommen immer wieder Einsichten und Aha-Effekte, die bei eher touristischer Lektüre fehlen.

    Georg Ehring war das über Erik Orsenna: Die Zukunft des Wassers. Eine Reise um unsere Welt. Erschienen bei C.H. Beck, 319 Seiten kosten 21 Euro 95 (ISBN: 978-3-406-59898-2).