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Schiedsgerichte im Freihandelsabkommen CETA
"Es muss nachverhandelt werden"

Während man im Streit um Schiedsgerichte im Freihandelsabkommen TTIP mit den USA zu einer vertretbaren Lösung komme, müsse im europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen CETA noch eine entsprechende Regelung gefunden werden, sagte der SPD-Europapolitiker Bernd Lange im DLF. Er sei sich sicher, dass das EU-Parlament das Abkommen andernfalls stoppen werde.

Bernd Lange im Gespräch mit Jule Reimer | 19.10.2015
    Der SPD-Europapolitiker Bernd Lange.
    Der SPD-Europapolitiker Bernd Lange. (Imago / IPON)
    Jule Reimer: Über 150.000 Menschen, die Veranstalter sagen sogar rund 250.000, demonstrierten vor wenigen Tagen in Berlin gegen die Freihandelsabkommen der EU mit Kanada und den USA, CETA und TTIP. Heute startet in Miami eine weitere TTIP-Verhandlungsrunde. Diesmal hat EU-Kommissarin Malmström einen Vorschlag für die Festschreibung von hohen Umwelt- und Sozialstandards im Gepäck. Außerdem will die EU-Kommission im TTIP-Abkommen eine neue Form von internationalen Schiedsgerichtshöfen durchsetzen, die schlichten sollen, falls ein ausländischer Investor sich durch Gesetze und Verbote in seinen Rechten diskriminiert und benachteiligt sieht und dagegen klagt. Diese Schiedsgerichte sind hoch umstritten. Warum braucht man sie überhaupt, sagen viele, wo doch EU und USA über voll funktionstüchtige Rechtssysteme verfügen. Auch das EU-Parlament, ursprünglich sehr kritisch eingestellt, hat sich dann doch für ein Schiedsgericht in TTIP entschieden. Warum, wo sich doch alle viel Ärger ohne dieses Investorstaat-Klageverfahren sparen könnten? Das fragte ich Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses des Europaparlaments, kurz vor dieser Sendung.
    Bernd Lange: Wir haben ja nicht beschlossen, die alten privaten Schiedsstellen weiter fortzuführen. Im Gegenteil: Wir haben explizit gesagt, dass das alte System durch ein neues System, basierend auf öffentlichen Gerichten, ersetzt werden muss, also eine 180-Grad-Drehung. Und ich bin auch froh, dass die EU-Kommission das inzwischen realisiert hat und auch dieses alte ISDS-System, wie es so schön Fachchinesisch heißt, auf den Müllhaufen der Geschichte geschmissen hat, weil das in der Tat ein Instrument für große Konzerne gewesen ist, Klagen gegen Staaten zu organisieren. Nein, das wollen wir gerade nicht. Allerdings gibt es natürlich auch andere Bereiche global, wo diese entwickelten Rechtssysteme nicht zu finden sind, und wenn wir da jetzt den Grundstein für einen internationalen Investitions-Gerichtshof mit öffentlichen Richterinnen und Richtern, mit transparenten Verfahren, mit Revisionsmöglichkeiten und auch einem ganz engen Zuständigkeitsbereich, der das Recht der Gesetzgeber, Gesetze zu erlassen und auch Gesetze zu ändern und das nicht als Angriff auf Investitionsrechte zu definieren, wenn wir das hinkriegen, dann kann das auch ein positives Element für die globalisierte Wirtschaft sein.
    Reimer: In dem bereits unterschriftsfertigen Abkommen zwischen EU und Kanada gibt es aber genau diese Investoren-Schiedsgerichte nicht ganz nach altem Muster, aber in einer reformierten Form, die nicht diesem entspricht, was jetzt für die USA angestrebt wird. Das heißt, ein US-Unternehmen geht einfach nach Kanada, macht dort eine Dependance auf, wenn es die nicht eh schon hat, und klagt dann eben über den Umweg Kanada?
    Lange: In der Tat, und deswegen sagen wir auch sehr deutlich gegenüber der Kommission, ab heute muss mit Kanada verhandelt werden. Ich sage ab heute, weil die Wahlen in Kanada jetzt ja kurz vor dem Abschluss sind und damit der Wahlkampf beendet ist. Und da muss klargestellt werden, dass dieses neue System auch in das Kanada-Abkommen hinein muss. Ansonsten werden wir diesem Abkommen nicht zustimmen.
    "Es können nur Standards gegenseitig anerkannt werden, die wirklich äquivalent sind"
    Reimer: Werden wir mal konkret. Hohe Umweltstandards, in der Europäischen Union gilt das Vorsorgeprinzip. In der Chemiepolitik heißt das, im Zweifelsfall eine Chemikalie nicht zulassen. In den USA wird die Nachsorge hochgehalten. Will heißen, eine Chemikalie kommt erst auf den Markt, und falls sie sich dann als schädlich erweist, sind saftige Schadensersatzzahlungen für das handelnde Unternehmen fällig. Jetzt geht es in TTIP ja auch um die Anerkennung gegenseitiger Standards. Wenn das passiert, könnte mit TTIP ein in den USA zugelassenes Chemieprodukt sowohl auf dem EU- und auf dem US-Markt verkauft werden, obwohl es gar nicht den Vorgaben der EU-Chemikalienrichtlinie REACH genügt?
    Lange: Nein, natürlich nicht.
    Reimer: Aber anerkannt ist anerkannt!
    Lange: Es können nur Standards gegenseitig anerkannt werden, die auch wirklich äquivalent sind. Und gerade beim Chemikalienrecht - da haben Sie völlig Recht - sind die Strukturen so unterschiedlich, da kann man nichts gegenseitig anerkennen, und das ist in den Verhandlungen auch völlig klar geworden. Im Chemikalienbereich wird es vielleicht ein gemeinsames Projekt über zukünftige Risikobewertungen geben und über Kennzeichnung, aber eine gegenseitige Anerkennung von Standards wird es absolut null geben.
    Reimer: Das Europäische Parlament ist in vielen Punkten auf Kritik eingegangen mit seinen Vorgaben an die EU-Kommission. Die verhandelt aber letztendlich und ganz zum Schluss kriegen Sie nur ein Paket präsentiert mit den Verhandlungsergebnissen und Sie müssen sagen, ja oder nein. Änderungen sind nicht mehr möglich. Das heißt, da werden doch möglicherweise eine ganze Menge bittere Pillen drin sein, auch wenn auf Ihre Kritik eingegangen wird?
    Lange: Zum einen begleiten wir natürlich auch die Verhandlungen sehr intensiv und geben auch während der Verhandlungen schon mal ein Signal, was geht und was nicht geht. Sie haben ganz am Anfang darauf hingewiesen, dass jetzt ein neues Kapitel für die Nachhaltigkeit für Arbeitnehmerrechte und Umweltstandards von der europäischen Seite entwickelt worden ist, und das haben wir sehr intensiv begleitet in der Entstehung. Und zum Zweiten: Nein, es ist nicht so, dass ein Abkommen, wenn es auf dem Tisch liegt, nur noch genommen oder abgelehnt werden kann. Wir können natürlich auch sagen, wie wir es jetzt auch bei Kanada machen, es muss nachverhandelt werden, das reicht uns nicht. Und dass die Kommission dieses Risiko genau weiß, dass ein schlechtes Abkommen auch abgelehnt werden kann - und da sind wir, glaube ich, etwas konsequenter mitunter als nationale Parlamente -, hat sich in der letzten Legislatur ja auch gezeigt, indem wir zwei Abkommen auch abgelehnt haben: eines mit Marokko, weil die Interessen der Bevölkerung der Westsahara nicht berücksichtigt waren, und das andere war dieses ACTA-Abkommen - da sollte es um den Schutz geistigen Eigentums im Internet gehen - mit ganz, ganz vielen Webfehlern. Das haben wir gegen die Kommission, gegen 28 Regierungen und gegen 13 Partner weltweit abgelehnt, übrigens die USA waren auch dabei, und das macht klar, dass wir hier zu unseren Prinzipien und zu der Messlatte deutlich stehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.