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Schiffe versenken mit Einstein

Physik. - Nach Einsteins Spezieller Relativitätstheorie wird ein Körper bei sehr hohen Geschwindigkeiten immer mehr zusammengestaucht. Ob diese Voraussage auch für ein U-Boot gilt, das mit großer Geschwindigkeit durchs Wasser jagt, ist unter Wissenschaftlern jedoch umstritten. Denn hier lauert ein Paradoxon, dass erst jetzt von einem brasilianischen Physiker aufgelöst werden konnte.

Jan Lublinski | 22.10.2003
    Angenommen ein U-Boot rauscht beinahe mit Lichtgeschwindigkeit durchs Meer. Die mechanischen Bewegungsgesetze nach Isaac Newton, die man in der Schule so lernt, sind bei so hohen Geschwindigkeiten außer Kraft gesetzt. Es greift die Spezielle Relativitätstheorie, und die unterscheidet zwei verschiedene Perspektiven: Die Perspektive eines Tauchers, der sich selbst nicht bewegt und der das U-Boot vorbeifahren sieht, sowie die Perspektive der Besatzung auf dem U-Boot.

    Aus der Perspektive des Tauchers ergeben Einsteins Formeln, dass das U-Boot mit zunehmender Geschwindigkeit kürzer wird. Ein zusammengestauchtes U-Boot hat nun aber weniger Volumen bei gleicher Masse. Sein Material ist dichter als zuvor, das heißt: es sinkt bei zunehmender Geschwindigkeit im Wasser ab.

    Aus der Perspektive der Besatzung dagegen bewegt sich das U-Boot gar nicht. Die Matrosen sehen vielmehr das Wasser mit nahezu Lichtgeschwindigkeit vorbeirauschen, was zur Folge hat, dass - wiederum nach Einsteins Formeln - das Wasser zusammengedrückt wird. Weil sich also die Dichte des Wassers erhöht, müsste das U-Boot mehr Auftrieb erfahren und an die Oberfläche steigen.

    Nun gut, alles ist relativ, könnte man meinen. Aber so einfach ist die Sache nicht: Im ersten Fall wird das U-Boot dichter und sinkt ab; im zweiten Fall wird das Wasser dichter und das U-Boot steigt auf. Ein Paradoxon, mit dem sich der Physiker George Matsas von der Universität Sao Paolo jahrelang nicht abfinden konnte.

    Es gibt nur eine Natur, und wir brauchen hier eine eindeutige Antwort, die aus allen Perspektiven gleich ist. Entweder sinkt das U-Boot ab und die Besatzung kommt um - oder eben nicht. Das ist etwas Absolutes, über das man nicht verschiedener Meinung sein kann.

    Matsas hat sich also der Sache angenommen und nun eine Schwachstelle in der bisherigen Argumentation entdeckt: den Auftrieb. Genauer: das Archimedische Prinzip, nach dem die Auftriebskraft eines Körpers genau so groß ist, wie die Masse der Flüssigkeit, die er verdrängt. Dieses Prinzip basiert auf Newtonscher Mechanik und ist bei den großen Geschwindigkeiten des U-Boots nicht mehr gültig. Matsas zog also auch die Allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein hinzu. Mit diesem sehr anspruchsvollen Kalkül lässt sich auch die Gravitationskraft neu berechnen, die auf das U-Boot wirkt. Und wieder ergeben sich zwei verschiedene Perspektiven: Aus der Perspektive des Tauchers, der das U-Boot vorbeifahren sieht, bleibt alles beim alten: Das U-Boot verdichtet sich und sinkt ab. Aus der Perspektive der Besatzung des U-Bootes aber ändert sich etwas: Die Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie ergeben einen zusätzlichen Term bei der Formel für die Gravitationskraft. Was zur Folge hat, dass eine vergrößerte Gravitationskraft das Boot nach unten zieht. Auch aus Sicht der Besatzung.

    Die Besatzung erfährt insgesamt eine Gravitationskraft, die größer wird, als die Auftriebskraft durch die höhere Wasserdichte. Das U-Boot wird also sinken.

    Was so einfach klingt war für Matsas harte Arbeit. Zum ersten Mal nachgedacht hat er über dieses Problem vor fast 15 Jahren, während seiner Doktorarbeit. Damals sah er zunächst keine Möglichkeit, das Paradoxon aufzulösen. Aber die Sache hat ihn nicht losgelassen und Jahre später fand er dann doch eine Weg zur Lösung dieses mathematisch sehr anspruchsvollen Problems. Aber wie anspruchsvoll dieses Problem wirklich ist - auch das ist natürlich relativ.

    Die Schwierigkeitsgrad eines Problems ist ein Quotient aus der tatsächlichen Schwierigkeit des Problems und der Kompetenz, die man mitbringt. Ich habe ziemlich lange für die Lösung gebraucht, aber vielleicht liegt das daran, dass ich nicht schnell genug bin. Ein anderer Relativitätstheoretiker hätte das vielleicht schneller geschafft.