Freitag, 19. April 2024

Archiv

Schiiten in Nigeria
Radikal oder unterdrückt?

Schiitische Muslime stellen in Nigeria nur eine kleine Minderheit dar. Eine ihrer Organisationen ist verboten worden, eine Schule wurde zerstört, viele Anhänger sind in Haft oder wurden ermordet. Die Bewegung sei militant und gefährlich, sagt die Regierung. Doch die Schiiten fühlen sich an den Pranger gestellt und unterdrückt.

Von Katrin Gänsler | 09.01.2017
    Die Grund- und weiterführende Schule der Islamischen Bewegung Nigerias ist heute ein Trümmerhaufen
    Die Schule der Islamischen Bewegung Nigerias ist heute ein Trümmerhaufen (Katrin Gänsler / Deutschlandradio)
    Muhammad Abdulhamid kann es nicht fassen: Der 23-jährige Soziologiestudent steht vor den Trümmern seiner ehemaligen Grundschule in der nordnigerianischen Stadt Zaria. Kein Stein ist mehr auf dem anderen geblieben. Nur ein Schild inmitten des Schutts erinnert noch an das Fudiyya Centre, wie die Bildungseinrichtung hieß.
    "Es war so ärgerlich. Wie kann man nur von Menschen erwarten, dass sie hart arbeiten und eine so große Schule errichten", sagt Muhammad Abdulhamid. "Und dann kommen eines Tages die Bulldozer und zerstören alles. Nicht einmal eine Entschädigung gibt es. Dabei haben wir überhaupt keinen Anlass gegeben, um all das zu zerstören."
    Muhammad Abdulhamid ist Mitglied der Islamischen Bewegung Nigerias, einer schiitischen Organisation
    Muhammad Abdulhamid ist Mitglied der Islamischen Bewegung Nigerias, einer schiitischen Organisation (Katrin Gänsler / Deutschlandradio)
    Der Abriss Mitte November ist der jüngste Höhepunkt in einem langen Konflikt zwischen der Landesregierung von Kaduna, einem Bundesstaat im Norden Nigerias, und der Islamischen Bewegung Nigerias – kurz IBN.
    Eine Gefahr für den Staat?
    Die IBN ist eine von drei schiitischen Bewegungen und die einzige, die von Gouverneur Nasir Ahmad El-Rufai mittlerweile verboten wurde. Dieser klagt über die Anhänger:
    "Sie haben weder das nigerianische Recht noch die nigerianische Verfassung akzeptiert. Ihre Loyalität gehört einem anderen Land. Sie verhalten sich, als ob sie ungestraft davonkommen könnten. Deshalb sind sie zur Gefahr für eine friedliche Staatsführung geworden."
    Mit dem anderen Land meint der Gouverneur den schiitischen Iran. In Westafrika stellen Schiiten nur eine kleine Minderheit dar. Die meisten Muslime sind Sunniten und beäugen andere Gruppierungen mitunter argwöhnisch. Auch Gouverneur El-Rufai zweifelt an den Einstellungen und dem Verhalten der schiitischen IBN:
    "Die schiitische Islamische Bewegung Nigerias hat einen militärischen Flügel, der auch ausbildet, und sie hat Waffen. Das waren Signale für uns. Wenn wir das ignorieren, dann wird die Gruppe möglicherweise zum nächsten Problem Nigerias. Wir mussten das im Keim ersticken, damit es sich nicht zu einem Monster entwickelt."
    "Wir greifen nicht zu den Waffen"
    In seinem kleinen Haus in Zaria wird Abdulhamid Bello wütend, wenn er solche Aussagen hört. Er gehört zu den führenden Mitgliedern der verbotenen schiitischen Bewegung. Für Bello klingen die Anschuldigungen mitunter so, als ob die Bewegung eine ähnlich Richtung wie Boko Haram einschlagen könnte. Durch die Anschläge der Terrorgruppe sind in den vergangenen Jahren im Nordosten des Landes mindestens 20.000 Menschen ums Leben gekommen.
    "Wir greifen doch nicht zu Waffen und ermorden Unschuldige", sagt Abdulhamid Bello." Dagegen haben wir immer gekämpft. Wir sind sogar während einer Prozession von sogenannten Boko-Haram-Kämpfern angegriffen worden. Sie haben eine Bombe gezündet und viele von uns getötet. Wir hätten uns Waffen beschaffen können. Das wäre nicht schwer gewesen. Dann hätten wir Vergeltung geübt."
    Immer wieder im Bundesstaat Kaduna zu lesen: Freiheit für Scheich Ibraheem Zakzaky, Gründer einer schiitischen Bewegung in Nigeria
    Immer wieder im Bundesstaat Kaduna zu lesen: Freiheit für Scheich Ibraheem Zakzaky, Gründer einer schiitischen Bewegung in Nigeria (Katrin Gänsler / Deutschlandradio)
    Das hat die schiitische Bewegung jedoch nicht getan. Immer häufiger zu Waffen gegriffen haben stattdessen die Sicherheitskräfte im Bundesstaat Kaduna. Sie haben nicht nur die Schule und andere Gebäude zerstört, mit der Begründung, dass keine Baugenehmigungen vorgelegen hätten. Im Dezember 2015 kam es zu einem Massaker, bei dem fast 350 Schiiten und ein Soldat starben. Der Gründer der Bewegung, Scheich Ibraheem Zakzaky, sitzt seitdem in Untersuchungshaft.
    Kritik an Regierung und Schiiten
    Von Seiten der Streitkräfte hieß es, die Schiiten hätten mit ihrer jährlich stattfindenden Prozession nicht nur Straßen in Zaria blockiert. Sie hätten außerdem einen Anschlag auf hochrangige Armeemitglieder geplant. In der Stadt Kaduna kritisiert Imam Sani Isah das Verhalten der Armee. Er arbeitet für das Interfaith Mediation Centre, ein vielfach ausgezeichnetes Friedenszentrum:
    "Was passiert ist, hätte nie so geschehen dürfen. Die Sicherheitskräfte hätten andere Wege finden müssen, um die Lage in den Griff zu bekommen. Zakzakys schiitische Bewegung hätte andererseits die Straßen nicht blockieren dürfen."
    Imam Sani Isah vom Interfaith Mediation Centre in Kaduna kritisiert das Verhalten von Armee und Islamischer Bewegung
    Imam Sani Isah vom Interfaith Mediation Centre in Kaduna kritisiert das Verhalten von Armee und Islamischer Bewegung (Katrin Gänsler / Deutschlandradio)
    Gouverneur El-Rufai hält die Islamische Bewegung Nigerias für rebellisch - und steht damit nicht alleine da. Sein Kampf richte sich aber nicht gegen die schiitische Religion:
    "Wir haben keine Religion verboten. Das dürfen wir laut der nigerianischen Verfassung gar nicht. Es ist ihre Organisation, die wir verboten haben. Im Bundesstaat Kaduna gibt es zwei weitere schiitische Gruppierungen, die bestehen bleiben. Aber diese blockieren keine Straßen oder besetzen Schulen."
    Registrierte Trümmerhaufen
    Was den Gouverneur besonders ärgert: Die Bewegung agiere im Untergrund. Sie habe sich nie registrieren lassen. Dazu aber sind alle nichtstaatlichen Organisationen im Bundesstaat Kaduna verpflichtet. Befürworter dieser Praxis sagen: Radikale Bewegungen können so früher entdeckt und beobachtet werden. Kritiker empfinden das als zu starke Überwachung. Auch Abdulhamid Bello kann der verpflichtenden Registrierung nichts abgewinnen:
    "Es handelt sich doch um eine Bewegung. Unsere Programme machen die Bewegung aus. Und dennoch haben wir einiges registrieren lassen."
    Etwa die zerstörte Schule und ein Ausbildungszentrum. Aber auch das ist nur noch ein Trümmerhaufen.