"Auf, auf zum Kampf! Zum Kampf sind wir geboren! Auf, auf zum Kampf! Zum Kampf sind wir bereit! Dem Karlo, dem haben wir’s geschworen. Dem Moritz Spiegelberg reichen wir die Hand!"
Die Räuber stimmen ihre rebellischen Gesänge auf offener Bühne schon an, als die Zuschauer noch ihre Plätze suchen. Viel Testosteron liegt in der Luft, jugendliches Ungestüm, Geltungsdruck, Freiheitsdrang, ja, auch: viel späte Pubertät, wenn die jungen Männer in ihren schicken Anzügen martialisch auf Stühle und Tische trommeln. Deutsches Liedgut, Pop-Songs, Rock, Blues, Country, später auch Klassik – wie die musikalischen Stile mischt Leander Haußmann, unterstützt vom Bühnenbildner Achim Freyer, auch die optischen Signale wild durcheinander: Piratenflaggen sind zu sehen, Engelskizzen, Polaroids von romantischen Wäldern und vieles, vieles mehr...
Anders als der gute politische Ton in deutschen Theatern
Was Haußmann da macht, ist vollkommen anders als das, was an deutschen Theatern gerade zum guten politischen Ton gehört. Bringt ein Regisseur heute Schillers "Räuber" auf die Bühne, dann darf bei der Geschichte der zwei ungleichen Brüder, die um die Liebe des Vaters buhlen, üblicherweise nicht die aktuelle Folie fehlen. Alles gab es schon: "Die Räuber" als RAF-Bande, als Occupy-Bewegung, als Neonazis – und die beiden Brüder als Amokläufer. Fehlte also nur noch die Inszenierung, die die Moors zu IS-Selbstmordattentätern macht – aber gerade dafür wollte sich Haußmann nicht hergeben. In einem Interview sagte er vorab, er sei kein Musterschüler, der immer laut ins Publikum rufe, dass das Stück jetzt wieder so wahnsinnig aktuell sei. Nein, Haußmann versenkt sich lieber in die romantische Fantasie einer Räuberbande, von der jeder kleine Junge schon mal geträumt hat – und die bei Haußmann dann auch rasch zum Sehnsuchtsbild von den Südstaaten-Cowboys mutieren kann, die die Knarre stets im Anschlag halten.
Haußmann feuert alles ab, was der Theaterzauberkasten zu bieten hat: Er legt Feuer auf der Bühne, lässt Schauspieler an Seilen hereinschweben, viel Kunstblut fließen und wirft Worte wie Leuchtreklame an die Wand. Wälder werden per Video projiziert, das Licht wechselt von rot nach gelb nach blau nach violett, als wandere man durch alle Illusionen und Schrecknisse eines romantischen Märchens. Als sei alles nur der Traum und Albtraum dieser Brüder, deren Ringen um die Vaterliebe das Zentrum der Inszenierung ausmacht. Felix Tittel spielt den Karl dabei so wenig als bloßen Moralapostel wie Matthias Mosbach seinen Franz als reinen Schurken. Durch Mark und Bein geht Franz’ Verzweiflung, wenn er schreit:
"Warum? Warum? Warum bin ich denn nicht der Erste aus Mutterleib gekrochen?"
Stärke des Abends liegt in einzelnen Bildern
Es ist nicht der große, radikale Zugriff aufs Ganze des Schiller-Stücks. Die Stärke des Abends liegt in einzelnen Bildern, Szenen, in Situationen und Stimmungen. Man spürt den Schmerz von Abschied, Einsamkeit, Todessehnsucht. Auch großes, fürchterliches Pathos traut sich Haußmann, etwa, wenn die Räuber Karl zum Hauptmann küren:
Karl: "Weg von mir, weg, menschliche Schonung, Sympathie. Ich habe keinen Vater mehr!"
Räuber: "Wir haben keinen Vater mehr!"
Karl: "Ich habe keine Liebe mehr!"
Räuber: "Wir haben keine Liebe mehr!"
Karl: "Blut und Tod sollen mich vergessen lehren, dass mir jemals etwas teuer war! Ich bin euer Hauptmann. Und Glück zu dem unter euch, der am wildesten sengt und am grässlichsten mordet, denn er soll königlich belohnt werden."
Aber alle Fantasie und aller Schwung reichen am Ende doch nicht aus, um den Abend über volle drei Stunden zu tragen. Im zweiten Teil versucht sich Haußmann an Parallelmontagen, er schneidet Szenen übereinander und verliert dabei die Geschichte stellenweise aus den Augen. Hier schwächelt die Inszenierung. Trotzdem gab es zum Schluss – verdientermaßen – für Haußmann und sein Ensemble großen, begeisterten Applaus.