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Schimpfwörter im politischen US-Fernsehen

Fernsehmoderator Bill Maher nimmt in seiner Politikshow "Real Time mit Bill Maher" kein Blatt vor den Mund und seine Studiogäste in die Mangel. Dadurch vertritt er eine machtvolle Position im US-Wahlkampf - und erreicht für die Demokraten vor allem die jungen Wähler.

Von Kerstin Zilm | 18.09.2012
    Jeden Freitagabend um 7 Uhr startet Bill Maher seine Show mit einem Eröffnungsmonolog zur aktuellen Politik. An diesem Freitag nahm er sich Präsidentschaftskandidat Mitt Romney vor. Dessen Kommentare zu den Angriffen gegen US-Botschaften im Nahen Osten und angeblichen Entschuldigungen Präsident Obamas gegenüber Muslimen waren ein gefundenes Fressen für den Moderator. Mahers Bilanz am Ende des Monologs: Die Reaktion Romneys hat jegliche Chance des Republikaners, ins Weiße Haus einzuziehen, ruiniert.

    Typisch Bill Maher: Er nimmt kein Blatt vor den Mund, sagt offen seine Meinung und steht auf Seiten der Demokraten. Im Februar hat er eine Million Dollar für Barack Obamas Super PAC 'Priority USA Action' gespendet. Argumente und Politik der Republikaner nimmt er schonungslos auseinander. Was nicht bedeutet, dass der Moderator den Präsidenten vor Kritik verschont:

    "Wie könnt ihr Republikaner so unzufrieden mit Obama sein, wo ich so unzufrieden mit Obama bin? Nicht nur ihr wurdet vom Weihnachtsmann betrogen. Ich habe mir eine umfassendere Gesundheitsreform gewünscht, ein Gesetz zu niedrigeren Treibhausgaswerten, Waffenkontrollen und legalisiertes Marihuana."
    Rund 1,2 Millionen Zuschauer schalten jede Woche Mahers Show ein. Fast alle sind schon vor Beginn der Sendung seiner Meinung. Der Einfluss des politischen Komikers auf die Präsidentschaftswahl im November ist dennoch nicht zu unterschätzen. Seine Sendung ist für Demokraten aus Sicht des Medienwissenschaftlers Marc Cooper von der University of Southern California wertvoller als die Spende von einer Million Dollar:

    "Die Million ist deshalb nicht so bedeutend, weil die kostenlose Sendezeit, die er Obama und den Demokraten gibt, viel mehr wert ist. Die würde pro Sendung mindestens zehn Millionen kosten. Die Sendezeit ist deshalb extrem wichtig. Das Geld ist irrelevant."

    Irrelevant in einem Wahlkampf, der Hunderte von Millionen Dollar kosten wird. Wahlkampffinanzierung ist eines der komplexen Themen, die Maher in seiner Sendung thematisiert, auch Gesundheits-, Kriegs- und Drogenpolitik, Homoehe und Terrorismusbekämpfung. Im Mittelpunkt seiner Show ist eine Podiumsdiskussion mit drei Studiogästen, meistens von beiden Seiten des politischen Spektrums, auch Prominente und Wissenschaftler. Egal, welcher politischen Richtung Mahers Studiogäste angehören: Sie müssen sich auf Unterbrechungen einstellen, mit dem Appell, Fakten zu präsentieren, mit Gegenargumenten oder mit einem schlichten: "Haltet alle den Mund". Die, die nicht seiner Meinung sind, unterbricht Maher schneller.

    Seine beliebteste Waffe: der Ausruf "Alles Bullshit - Quatsch".

    Ein Wort, das im politisch korrekten US-Fernsehen normalerweise mit einem "Bleep" übertönt wird, bei Bill Maher aber mehrmals in jeder Sendung fällt - neben Schimpfworten, Obszönitäten am Rand der Geschmacklosigkeit und Beleidigungen. Kritiker verurteilen das als Verfall guter Sitten und unlautere Vermischung von Fakten, Unterhaltung und Kommentar.

    Tatsache ist: Maher und andere politische Satiriker wie Jon Stewart und Stephen Colbert sind für junge Wähler Hauptinformationsquelle für politische Information und Einschätzung geworden. Medienwissenschaftler Marc Cooper:

    "Der Einfluss auf junge Leute ist nicht zu unterschätzen. Bei vielen wecken diese Sendungen ihr politisches Bewusstsein. Maher liefert keine intellektuellen politischen Analysen - aber das tun die Hauptfernsehsender auch nicht, sein wir mal ehrlich! Er ist kein politisches Genie, aber Bill Maher spricht eine Sprache, die alle verstehen und er sagt: "Hey, dieser Typ redet Unsinn." Alle wissen es und warten drauf, dass einer es ausspricht und er tut es. "
    Was ebenfalls in einem knappen Wahlkampf nicht zu unterschätzen ist: Die Republikaner haben keine Alternative zu Maher und Co. Ihre Meinungsmacher von Rush Limbaugh bis Glenn Beck sind populistisch, auch provokativ und pointiert - aber nur höchst selten witzig. Sie erreichen mit täglichen Radioshows weit mehr Publikum als Maher - das ist zu 75 Prozent männlich, weiß und älter als 50 Jahre: eine noch sehr einflussreiche Gruppe, doch weder die Zukunft der USA noch der Bevölkerungsanteil, der in Zukunft Wahlen entscheiden wird.