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Schlafmittel Virus

Medizin. - Das chronische Erschöpfungssyndrom verwirrt Patienten und Mediziner, die Patienten sind stark eingeschränkt, ohne dass eine klare Ursache zu finden ist. In der aktuellen Ausgabe von Science berichten jetzt Forscher aus den USA jetzt von einem ganz neuen Virus als Ursache.

Von Volkart Wildermuth | 09.10.2009
    Chronisches Erschöpfungssyndrom, Englisch Chronic Fatigue Syndrom oder kurz CFS. Unter Ärzten ist noch immer umstritten, ob es sich hier um ein eigenständiges Krankheitsbild handelt. Für Professor Carmen Scheibenbogen ist das keine Frage. Sie leitet die Imundefektsprechstunde der Charité, schon seit DDR Zeiten eine Anlaufstelle für Berliner CFS-Patienten.

    "Leitsymptom ist sicher eine ganz schwere Erschöpfung, die so schwer ist, dass die meisten Leute ihre normalen Tätigkeiten gar nicht mehr ausführen können, aus dem Leben geworfen sind, wie es so schön heißt. Die Patienten haben Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, Gliederschmerzen, können sich oft nicht mehr gut konzentrieren. Das tritt typischerweise auch ziemlich akut auf, beginnt also wie ein Virusinfekt und im Unterschied zu einem Virusinfekt, den wir alle ab und an haben, werden diese Patienten aber nicht mehr gesund."

    Klingt wie eine Virusinfektion, aber die Forscher fanden nur vage Hinweise, auf Epstein-Barr-, Cytomegalie- oder Herpesviren. Diese Erreger sind aber auch in der breiten Bevölkerung häufig zu finden. Am Whittemore-Peterson-Institute im amerikanischen Reno konnte nun Professor Judy Mikovits eine spezifische Verbindung zwischen einem Virus und dem chronischen Erschöpfungssyndrom nachweisen.

    "In der normalen Bevölkerung finden wir dieses Virus bei vier Prozent aller Personen. Unter CFS-Patienten sind dagegen mindestens neun von zehn infiziert. Bei zwei Dritteln konnten wir das Virus im Blut isolieren, die anderen haben Antikörper, hatten also einmal Kontakt zu dem Virus."

    Das Virus nennt sich XMRV und wurde vor drei Jahren bei einem Teil der Prostatatumoren entdeckt. Nahe Verwandte dieses sogenannten Retrovirus befallen Mäuse und andere Nager. Die menschliche Variante ist wohl erst vor 30, 40 Jahren entstanden. Judy Mikovits ist davon überzeugt, dass XMRV die Symptome des chronischen Erschöpfungssyndroms verursacht. Das Virus vermehrt sich in verschiedenen Zellen des menschlichen Immunsystems. So schwächt es die Abwehrkräfte und ermöglicht es dadurch anderen Viren, den Körper zu schädigen. Solche unterschiedlichen Sekundärinfektionen könnten das uneinheitliche Bild des chronischen Erschöpfungssyndroms erklären. Für viele Symptome kann aber auch XMRV direkt verantwortlich sein. Judy Mikovits:

    "Das Hüllprotein der Viren führt bei Tieren zum Untergang von Nervenzellen, und es stört die Bildung der roten Blutkörperchen. Wir beobachten große Mengen dieses Hüllproteins bei unseren Patienten. Ihre Zellen bekommen nicht genug Sauerstoff, daher die Erschöpfung. Die Gene des Virus werden über Hormone aktiviert. So erklären Entzündungen, Stresshormone und Geschlechtshormone das Auf und Ab der Symptome."

    Klingt plausibel, ist aber noch kein Beweis für die zentrale Rolle von XMRV beim Chronischen Erschöpfungssyndrom. Judy Mikovits will die Skeptiker überzeugen, indem sie anhand alter Blutproben nachweist, dass die Symptome erst nach einer Infektion mit XMRV auftreten. Doch ganz egal, wie das ausgeht, Carmen Scheibenbogen will auch an der Charité einen XMRV-Test etablieren, als Hilfsmittel für die Diagnose des chronischen Erschöpfungssyndroms.

    "Für die Patienten ist es zunächst mal ganz wichtig, damit sie wissen was mit ihnen los ist. Das ist wichtig für die Akzeptanz der Erkrankung gegenüber den Krankenkassen, gegenüber möglicherweise auch Rentenversicherungsträgern, gegenüber der Familie et cetera. Und der zweite Schritt ist, wenn man die Diagnose sicher stellen kann, kann man natürlich auch sehr viel besser Medikamente prüfen."

    Entzündungshemmer oder Aids-Medikamente könnten auch beim chronischen Erschöpfungssyndrom hilfreich sein. Judy Mikovits will sie schon bald in Studien testen.

    "Die Chancen sind gut, dass wir erste Medikamente schon in den nächsten zwei Jahren haben werden."