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Schlaganfall-Therapie
Rehabilitation durch Elektrostimulation des Gehirns

Mehr als 200.000 Menschen in Deutschland erleiden pro Jahr einen Schlaganfall. Viele kämpfen danach mit Lähmungen oder Sprachstörungen. Neurologen suchen deshalb mit Hochdruck nach Therapien, um den Patienten eine Rückkehr in ihr altes Leben zu ermöglichen. Im Fokus stehen Verfahren, bei denen das Gehirn durch Stromstöße stimuliert wird.

Von Claudia Doyle | 25.09.2017
    Menschliches Gehirn
    Durch Elektrostimulation soll das Gehirn von Schlafanfall-Patienten bei Umbauprozessen gezielt aktiviert werden (imago/Science Photo Library)
    Schlaganfälle werden immer besser behandelbar. Die Todesrate hat sich im Zeitraum von 1998 bis 2015 halbiert. Diese guten Nachrichten verkündet Professor Gereon Fink, Direktor der neurologischen Klinik am Universitätsklinikum Köln, auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in Leipzig. Das bedeute jedoch auch, dass immer mehr Menschen mit den Spätfolgen eines Schlaganfalls leben müssten.
    "Sei es eine Sprachstörung, sei es eine Halbseitenlähmung, sei es eine räumliche Wahrnehmungsstörung. Deswegen ist die Rehabilitation dieser Patienten, dass sie wieder in den Stand versetzen beruflich aktiv zu werden oder wenn das nicht geht zumindest sozial aktiv zu sein, teilzuhaben, das ist eine ganz vordringliche Aufgabe für uns."
    Gehirn soll bei Umbauprozessen gezielt stimuliert werden
    Die standardisierten Therapieverfahren heißen Krankengymnastik, Ergotherapie oder Sprachtherapie. Doch seitdem man weiß, dass das Gehirn auch im Alter noch lernen und neue Verknüpfungen zwischen Nervenzellen ausbilden kann, arbeiten Neurologen daran, das Gehirn bei diesen Umbauprozessen gezielt zu unterstützen. Zwei Verfahren stehen dabei im Fokus. Das eine nennt sich transkranielle Magnetstimulation. Dabei wird den Patienten von außen eine Spule an den Kopf gehalten.
    "Und durch diese Spule wird Strom durchgeschickt, und mit diesem Strom wird ein Magnetfeld erzeugt im Sinne eines ganz kurzen Impulses. Und dieses Magnetfeld, das tritt von außen völlig nicht-invasiv dann durch den Schädel durch, und damit kann man dann Nervenzellaktivität entweder erhöhen oder unterbinden."
    Das zweite Verfahren heißt transkranielle Gleichstromstimulation. Hierbei werden mit Hilfe von Elektroden, die außen am Schädel befestigt werden, schwache Strommengen durch den Schädel geschickt. Auch sie sollen die Erregbarkeit von Nervenzellen erhöhen oder verringern. Bei beiden Verfahren dauert eine Sitzung maximal zwanzig Minuten.
    Individuelle Karte des Gehirns wichtig für optimalen Therapieeffekt
    Erste Studien haben gezeigt, dass Patienten profitieren, wenn die neuen, elektrischen Stimulationsverfahren mit Standardtherapien kombiniert werden. Auch Monate nach der ein- bis zweiwöchigen Therapie können die Patienten noch besser sprechen oder fester greifen. Das erhöhe die Lebensqualität der Patienten beträchtlich, sagt Gereon Fink.
    "Selbst wenn etwas nicht perfekt geht – überhaupt in der Lage zu sein zum Beispiel eine Hand zu benutzen, mit der Hand wieder Gegenstände greifen zu können, wieder mehr Kraft in der Hand zu entwickeln, eine Gabel zu führen oder ein Messer führen zu können oder mit beiden Händen selbst essen zu können, sich selbst versorgen zu können, das ist für den Patienten primär die wichtige Funktion"
    Die Plastizität des Gehirns, die die Rehabilitation überhaupt erst ermöglicht, bringe aber auch mit sich, dass nicht bei jedem Patienten schablonenhaft die gleichen Gehirnareale stimuliert werden sollten, gibt der Neurowissenschaftler zu Bedenken. Ganz im Gegenteil. Am besten wäre es, wenn für jeden Patienten eine individuelle Karte des Gehirns erstellt werden könnte. Darauf müsste abzulesen sein, welche Gehirnregionen erregt oder gehemmt werden müssen, damit der optimale Therapieeffekt eintritt.
    "Jetzt kann man das mit der Kernspintomographie sehr schön bestimmen, die Kernspintomographie ist aber ein aufwändiges Verfahren. Nicht invasiv, aber sicherlich nicht vor jeder Therapiesitzung praktikabel."
    "Motivation ist hier das A und O"
    Deshalb arbeiten Gedeon Fink und seine Kollegen daran, mittels Hirnstromkurven, also dem EEG, ähnliche Messwerte erheben zu können.
    "Das sind Ansätze, die wir zurzeit wissenschaftlich sehr intensiv verfolgen, um hier also die Kernspintomografie im klinischen Alltag auf Dauer auch ersetzen zu können. Das wird dauern, aber ich glaube, das ist ein vielversprechender Weg."
    An den bisherigen Studien nahmen jeweils nur wenige Patienten teil. Der Neurologe plädiert deshalb dafür, größere, randomisierte klinische Studien auf diesem Gebiet durchzuführen. Zwei leitet er zurzeit selbst. Bis die Ergebnisse feststehen, hat er noch einen Rat für die Patienten und Angehörigen selbst.
    "Motivation ist hier das A und O. Hier sind auch die Angehörigen gefragt. Hier also den Patienten aufzufangen, mitzunehmen, ihm zu helfen, motiviert in der Therapie mitzuarbeiten, das ist ganz vordringlich", so Fink.