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Schlank aus den Ferien

Dass mit der Einführung des achtjährigen Gymnasiums in Bayern vieles schieflief, bestreitet heute keiner mehr im Freistaat. Lehrpläne fehlten, Schulbücher wurden erst verspätet gedruckt. Seitdem wird nachgebessert, die Fülle des Unterrichtsstoffes wird verringert. Trotzdem klagen die Schüler und Lehrer über eine hohe Arbeitsbelastung. Rund 15.000 Lehrerinnen und Lehrer wurden vor den Schulferien befragt, wie sie sich denn gute G8-Lehrpläne vorstellen. Das Ergebnis ist ab heute in den Unterrichtsräumen zu sehen. Zum Schulstart gelten die neuen Lehrpläne an Bayerns Gymnasien.

Von Susanne Lettenbauer | 13.09.2012
    Das Albert-Einstein-Gymnasium im gut betuchten Münchner Stadtteil Harlaching ist stolz auf seinen berühmtesten Schüler. Sechs Jahre besuchte Albert Einstein diese Schule, kritisierte sie heftig, aber etwas gelernt hat er dort offensichtlich doch. Schulleiter Winfried Steflbauer hält diesen Anspruch heute noch hoch, wenn es um seine Schüler und die neuen Lehrpläne geht:

    "Ich habe keinen einzigen Inhalt gesehen, wo ich denke, es geht ans Eingemachte, also ein Gymnasium light. Das sehe ich überhaupt nicht. Es wird den Lehrern das Signal gegeben hier exemplarischer zu arbeiten."

    Schnell noch auf dem Pausenhof per Smartphone eine Textzusammenfassung googeln gehört heute zum Schulalltag wissen Steflbauers Lehrer. Texte komplett lesen, sei es in naturwissenschaftlichen Fächern oder in Fremdsprachen fällt auch an Gymnasien immer mehr Schülern schwer. In den neuen Lehrplänen wurden deshalb Lektüretexte für Fremdsprachen massiv gestrichen. Ein Shakespeare-Drama im Original? Fehlanzeige. In Geschichte und Sozialkunde können die Lehrer ab sofort Themenkomplexe zusammenfassen in sogenannten Querschnittsthemen. In 17 von 25 Fächern ist der Rotstift angesetzt worden. Bayerns Gymnasium ein Gymnasium light?

    "Wenn ich den hehren Anspruch höre, den ältere Lehrer bringen: ja, das Gymnasium damals ... Das hat noch jede Generation gesagt. Wir müssen uns hier anpassen. Deshalb finde ich es sinnvoll, dass wir lehrplanmäßig Essenzielles machen, und dann von der Fülle weggehen."

    Wie das aussehen soll, wissen die meisten Lehrer zum Schulstart noch nicht. Erst gestern erhielten sie die Neuerungen in Kurzfassung aus dem Kultusministerium, wie dieser Lehrer am Albert-Einstein-Gymnasium:

    "Ich unterrichte Erdkunde, Ethik und Naturkunde, Technik. Was ich nicht mehr lehren soll, ist mir ganz explizit nicht bekannt. Gut, Entschlacken ist ja ein positiver Begriff, ich habe die Diskussionen auch mitbekommen, aber da bleibt die Frage, an welcher Stelle man da entschlackt. Das Gefühl, dass was wegfallen könnte, hat sich bei mir nicht eingestellt."

    Wie der Unterricht am G8 weitergeht, erfuhren die Schülerinnen und Schüler auch erst heute. Eine erste Reaktion:

    "Ja, es wird ja nicht viel mehr gestrichen. Warm werden hier Medien gestrichen? Also das ist ja eher schlechter, denn die Lektüren machen eher mehr Spaß oder sind gerade das, was interessant ist, oder wie man das anwendet. Das finde ich jetzt nicht gut."

    Ein anderer Schüler, Benedict Lang von der Oberstufe des Ludwigsgymnasiums München, gehört zur bayerischen Landesschülerinnenvereinigung LSV. Die Neuerungen im G8-Lehrplan gehen für ihn und seine Mitstreiterin Veronika Dudek, beratender Landesvorstand der Landesschülerinnenvereinigung in die falsche Richtung, denn die Schüler wollen viel wissen, aber nicht in so gedrängter Form:

    "Also ich weiß nicht, ob das viel hilft, wenn man das jetzt so kürzt. Denn ich glaube, dass das G8 trotzdem nicht so optimal ist. Vor allem sind es ja wenige Teile, die gekürzt werden. Ich weiß nicht, ob das soviel raus reißt. Ich weiß auch nicht, ob das den Schülern hilft, wenn man statt drei nur eine Lektüre liest. Ich weiß nicht, ob das gut ist, wenn man die Lektüre kürzt, weil dann Sprachen nicht so gut vertieft werden können und dann da wieder was fehlt."

    Der Gymnasiallehrer Max Schmidt vom Gymnasium Grafing und Präsident des Bayerischen Philologenverbandes fordert statt Kürzungen eine generelle Neuordnung der Inhalte. So müssten verstärkt mündliche Kompetenzen wieder in den Lehrplan und auch die Logik der Beweisführung aus der Mathematik, denn die bräuchte man sogar in Talkshows:

    "Die Lehrpläne zielen ab auf eine stärkere Kompetenzorientierung, und das ist eine gefährliche Entwicklung, denn man muss ja auch immer sagen, an was weise ich denn meine Kompetenz nach. Über etwas zu reden, heißt noch nicht, etwas verstanden zu haben, etwas bewerten zu können."

    Das Gymnasium ist ganz klar im Umbruch, sagt Schulleiter Steflbauer vom Albert-Einstein-Gymnasium. Der neue G8-Lehrplan sei nur ein Herumdoktern an den Symptomen.