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Schleichendes Gift

Geschenke sind wie Viren, sie schleusen sich ein, sie haben eine lange Latenzzeit, sie stellen sich tot, doch sie sind wirksam, ein schleichendes Gift - das meint jedenfalls die Autorin Tanja Dückers.

Von Tanja Dückers | 03.01.2010
    Viele Geschenke haben missionarischen Charakter. Und da bin ich streng. Jedes Buch eines mir restlos unbekannten Autors, das ich aber un-be-dingt lesen soll, jedes Kosmetikprodukt, das angeblich herrlich riecht, ganz zu schweigen von der in Augen des Schenkers hübschen Mütze oder Bluse, fällt in diese Kategorie. Mit der Gabe eines Geschenks wollen viele Menschen lediglich in nonverbaler Weise ihre eigene Meinung verbreiten.

    Jemanden ein Buch oder eine CD aufs Auge zu drücken, ist im Grunde so etwas wie ein Satz mit Ausrufezeichen – jedenfalls selten etwas Dialogisches. Es gibt Menschen, die es vertragen, wenn man ihnen ehrlich sagt, dass man den Roman, den sie einem geschenkt haben, unter aller Kanone fand – aber die Mehrzahl der Leute ist beleidigt, weiß die Tatsache, dass man sich Nächte um die Ohren geschlagen hat, um überhaupt zu diesem Ergebnis zu kommen, nicht zu schätzen. Es wird Zustimmung, Linientreue erwartet. Ein gleichberechtigtes Gespräch zwischen Schenkendem und Beschenktem ist von vorneherein schwer zu führen.

    Aber das Schlimmste an Geschenken ist, dass sie sich dem armen Beschenkten ins Unterbewusste eingraben, dass sie ihm zusetzen nach dem Motto "Steter Tropfen höhlt den Stein": Die dickbäuchige Kanne auf unserem Küchenbuffett, die Riesenpflanze auf der Balkonbrüstung, der Taschenspiegel in meiner Umhängetasche, der Ring an meiner Hand, die Brosche an meiner Weste: all diese Geschenke streift mein Blick täglich, manche sind mir nahe wie kaum etwas, wie kaum jemand. Den Ring trage ich Tag und Nacht. Die Brosche kitzelt meine Brust. Der Taschenspiegel, das bin ich, das Gesicht dort, das er zurückwirft. Und auch wenn ich nicht jedes Mal bewusst an ihn denke: Der Schenker ist immer mit dabei. Seine Geschichte, die Geschichte unseres Kontakts, ob familiär oder nicht, schwingt immer mit, sein Leben hat sich mit meinem verknüpft, ob ich will oder nicht. Manche Geschenke sind wie Viren, sie schleusen sich ein, verharren stumm auf dem Bücherbord oder im Kleiderschrank, sie haben eine lange Latenzzeit, sie stellen sich tot, doch sie sind wirksam, ein schleichendes Gift.

    Vielleicht gibt es eine Formel, wie viele Geschenke, also wie viele fremdbestimmte Objekte, ein Mensch in seiner unmittelbaren Umgebung verträgt, bevor das Gefühl, Herr im eigenen Haus zu sein, schwindet. Gelegentlich glaube ich an nicht-kausale Zusammenhänge – nach Feng-Shui-Anschauung. Um dies zu erklären: Wenn Sie finden, dass eine Person zu viel Macht über ihr Leben hat, räumen Sie doch einmal alle Gegenstände fort, die mit ihr in Zusammenhang stehen. Es funktioniert. Weil diese Person ihr Unterbewusstsein nicht mehr ständig infiltriert. Eigentlich ist das gar nicht esoterisch, sondern lediglich psychologisch. Bleibt die Frage nach den richtigen Geschenken. Meiner Meinung nach müssen sie schnell verderblich sein, will sagen, eigentlich läuft alles auf Blumen oder Schokolade hinaus. Ansonsten gilt für mich Hermann Hesse: "Wünsche sollte man sich stets selbst erfüllen."