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Schleierfahndung in Bayern
Wenn keiner weiß, wonach man sucht

In Bayern darf die Polizei jetzt kontrollieren, wo und was sie will - überall und jederzeit, ohne konkreten Verdacht und ohne jemanden zu suchen. Eine Art Vorratsdatenspeicherung auf deutschen Straßen. Und die CSU empfiehlt ihr Schleierfahndungs-Rezept auch den anderen Bundesländern.

Von Michael Watzke | 02.07.2015
    Ein Polizist durchsucht einen Autofahrer vor dessen weißem Auto.
    Nicht nur bei Großkontrollen wie dieser im März 2015 nutzt die bayerische Polizei die Möglichkeit der Schleierfahndung - in der Hoffnung, etwas zu finden, was man nicht gesucht hat. (dpa / Timm Schamberger)
    "Du, dem fahren wir hinterher!"
    Dietmar Schreyer drückt aufs Gaspedal. Mit 150 km/h verfolgt der Polizeihauptkommissar mit dem weißen Schnurrbart einem getunten Passat. Kollege Anton Meyer auf dem Beifahrersitz deutet auf das irische Nummernschild des Volkswagens.
    "Zu 95 Prozent traue ich mich zu sagen, dass da keine Iren drinsitzen. Sondern ich tippe mal auf Rumänen."
    Eine Minute später lotsen die bayerischen Polizisten das vermeintlich irische Auto auf einen Parkplatz an der Bundestraße B12.
    "Speak english? Yes, police control. Please show me your documents. Car papers. Driver's license."
    Schleierfahnder Anton Mayer bittet die Insassen nach Ausweis, Führerschein und Fahrzeug-Papieren. Tatsächlich sind es Rumänen.
    "The car papers. Registration." - "Registration..." - "Yeah, show me." - "Can I get off the car?" - "Please stop the engine!"
    Der Fahrer soll den Motor ausschalten. Aussteigen darf er erstmal nicht. Anton Meyer tippt die Ausweis-Daten in sein Car-Pad, ein mobiles Polizei-Tablet. Kollege Schreyer lässt die Motorhaube öffnen. Er will das Typenschild überprüfen.
    "Er schaut sich jetzt diesen nicht mehr ganz neuen, aber dennoch sehr schönen Passat an. Ob mit dem alles in Ordnung ist."
    Die beiden bayerischen Schleierfahnder tragen Jeans und Holzfällerhemden, darunter eine schusssichere Weste und die Dienstpistole. Schreyer ist in der Polizeistation Fahndung im oberbayerischen Burghausen Spezialist für Auto-Diebstähle.
    "Es geht sowohl um gestohlene als auch frisierte Autos. Kann auch ein frisiertes Auto sein, das irgendwo mal gestohlen wurde und dann mit einer Schrott-Fahrgestellnummer wieder legalisiert wurde."
    Flüchtlinge statt Autodiebe
    Seit einigen Monaten kommen die Schleierfahnder immer seltener dazu, Auto-Diebstähle aufzuklären. Stattdessen suchen sie immer häufiger nach Schleusern und Flüchtlingen. Durch Oberbayern führen Schleuserrouten aus Asien und Afrika.
    "Nahost, also Syrer, Iraker und Araber halt so. Aus dem arabischen Raum. Die Schleuser gehen schon dazu über, dass sie die Personen nicht mehr in Deutschland aussetzen, sondern schon in Österreich. Und die dann über Brücken einreisen lassen. So ist das Risiko für die Schleuser, in Deutschland erwischt zu werden, gleich null."
    In Bayern steigt der Druck auf die professionellen Menschenhändler. Der Freistaat setzt seit dem G7-Gipfel mit Obama 500 zusätzliche Bereitschaftspolizisten in der Schleierfahndung ein. In Burghausen bekommt Fahndungsleiter Gerhard Huber zehn neue Beamte - eine Verdopplung der Dienststelle. Allerdings wird es einige Zeit dauern, bis die neuen Schleierfahnder wirklich effektiv arbeiten, sagt Huber und erklärt, "dass die natürlich nicht allein die Fahndung betreiben, sondern immer in Zusammenarbeit mit unseren bestehenden Dienststellen arbeiten."
    Denn Schleierfahndung ist gefährlicher als normale Polizei-Arbeit. Erst gestern hat ein flüchtender Mann einen Fahnder in Ostbayern mit einem Messer schwer verletzt. Schleierfahndung ist Erfahrungs-Sache. Dienststellen-Leiter Huber findet, ".dass die Fahndungsarbeit zu 99 Prozent auf Eigeninitiative beruht. Das heißt, wir brauchen hoch motivierte Kollegen, die hier einen eigenen Antrieb entwickeln. Und letztlich von sich selber aus sagen: Ich möchte diesen Job als Fahnder machen - und ich möchte ihn auch entsprechend gut machen."
    Gut machen heißt: eine hohe Erfolgs-Quote haben und gleichzeitig möglichst wenig unbescholtene Bürger belästigen. Schleierfahndung ist eine bayerische Erfindung. 1995 änderte Bayerns damalige Innenminister Günther Beckstein das Polizei-Aufgaben-Gesetz. Seitdem dürfen bayerische Polizei-Beamte in einem 30 Kilometer breiten Grenzstreifen ohne besonderen Verdacht oder Anlass Personen kontrollieren. So wie Anton Mayer und Dietmar Schreyer den irischen Passat mit den rumänischen Fahrern angehalten haben. Gefunden haben die Schleierfahnder nichts.
    "Nö, hat nichts ergeben. Sowohl die Personen als auch das Fahrzeug, alles negativ."
    Bayern will Visapflicht für Serben
    Stattdessen winken die beiden Zivil-Beamten nun einen weißen Mercedes-Lieferwagen mit serbischem Kennzeichen an den Straßenrand. In dem Kleinbus sitzt eine neunköpfige Roma-Familie.
    "Das sind serbische Pässe." – "Die brauchen kein Visum, oder?" – "Nein, die dürfen sich 90 Tage im Schengen-Gebiet aufhalten. Dann müssen sie wieder für 90 Tage ausreisen."
    Die Schleierfahnder kontrollieren die Ausweispapiere trotzdem. Fünf der neun Personen hatten vor einem Jahr in Stuttgart einen Asyl-Antrag gestellt. Erfolglos. Sie wurden später ausgewiesen.
    "Jetzt sind sie wieder da - als Touristen. Man weiß nicht, was sie machen. Manche stellen einen Asyl-Folgeantrag. Sie können so oft wiederkommen und so viele Asyl-Anträge stellen, wie sie wollen."
    Das will die bayerische Staatsregierung verhindern. Etwa 50 Prozent der Asylanträge kommen aus Ex-Jugoslawien-Staaten. Bayerns Innenminister Herrmann hat die Bundesregierung aufgefordert, sich bei der EU dafür einzusetzen, eine Visapflicht für Serbien und andere Balkanstaaten einzuführen.
    "Es ist ganz offensichtlich, dass dieser enorme Zustrom aus dem Balkan wieder angestiegen ist, seitdem die Visa-Pflicht hier für einige Länder abgeschafft wurde. Sie muss wieder eingeführt werden, um den Zustrom einzudämmen."
    Doch weder auf Bundes- noch Europa-Ebene konnte sich Bayern damit bisher durchsetzen. Auch nicht mit der Forderung, die Schleierfahndung auf ganz Deutschland auszudehnen. Sie bleibt eine bayerische Spezialität. Die beiden bayerischen Beamten an der B12 haben inzwischen die neun serbischen Pässe überprüft.
    "Momentan können wir nichts machen. Ich muss mir den Pass mit den Stempeln nochmal anschauen, aber ich glaub', die werden wir weiterfahren lassen müssen."
    Anton Mayer gibt dem Kleinbusfahrer die Pässe zurück. Der kurbelt wortlos das Fenster rauf und fährt weiter Richtung Stuttgart.