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Schlemmerei mit Nebenwirkungen

Ernährungswissenschaft. - Im Lauf der Evolution haben auch die Menschen gelernt, bekömmliches Blattwerk zu verzehren, aber auch traditionelle Nahrungspflanzen können Nebenwirkungen haben. Heute und Morgen geht das Forum Verbraucherschutz des Bundesinstituts für Risikobewertung in Berlin der Frage nach: Pflanzliche Stoffe – gesund und giftig zugleich?

Von Volkart Wildermuth | 05.07.2007
    Für einen Menschen ist eine Sellerieknolle Nahrung. Umgekehrt ist für den Sellerie der Mensch schlicht ein Fraßfeind, und gegen den wehrt er sich, nicht mit Zähnen und Klauen, sondern mit Chemie. Werden Sellerie, Petersilie und Pastinake verletzt produzieren sie Furocumarine, die die Wirkung von UV-Licht dramatisch verstärken können, wie Dr. Josef Schlatter vom Schweizer Bundesamt für Gesundheit berichtet.


    "Eine Frau, die eine ganze Sellerieknolle verzehrt hat, 400 Gramm, was natürlich enorm ist, aber es kommt vor, und anschließend in ein Bräunungsstudio gegangen ist, hat generalisierte Verbrennungen erlitten an der Haut. Also es gibt solche Fälle. Aber für den normalen Verbraucher ist, glaube ich, das Risiko sehr gering, wenn man sich daran hält, dass man eben eine ausgewogene Ernährung halten sollte, die eben kein einzelnes Lebensmittel massiv bevorzugt."

    Nicht nur der Sellerie kann, im Übermaß verzehrt, für Probleme sorgen. Viele ganz gewöhnliche pflanzliche Nahrungsmittel haben Nebenwirkungen. Sojabohne und Süßholz beeinflussen das Hormonsystem, Salbei, Wermut und grüne Kartoffeln stören die Nervenfunktion; Zitronengras, Fenchel und Anis können die Leber schädigen. Einzelne botanische Inhaltsstoffe lösen sogar Krebs aus. Das ist kein Grund zur Panik, denn auch bei den Pflanzen gilt: auf die Dosis kommt es an. Gerhard Eisenbrand, Professor für Lebensmittelchemie an der Technischen Universität Kaiserslautern hat das am Beispiel des Estragols aus Estragon erläutert, das der menschliche Organismus unterschiedlich verarbeiten kann. Das führt dazu,…


    "dass Sie bei höheren Aufnahmemengen eben in Stoffwechselwege hineingeraten, die Schäden am Erbmaterial verursachen können, und dass man bei kleinen Aufnahmemengen oder bei normal geringen Aufnahmemengen in der ausgewogenen Situation der Ernährung eben darunter eigentlich bleibt und diese Stoffwechselwege gar nicht aktiviert werden."

    Estragon schmeckt und ist gesund, erst im Übermaß verursacht er Probleme. Das gilt für viele Pflanzen. Mohnsamen zum Beispiel sind lecker und eigentlich unbedenklich. An ihrer Außenschale haften aber manchmal Spuren von Morphin. Sie brachten 2005 ein Baby auf die Intensivstation. Seine Mutter hatte aus Milch und Mohnsamen einen Schlummertrank gekocht. Eine breit angelegte Untersuchung entdeckte Morphinspuren in vielen Mohnprodukten. Das Bundesinstitut für Risikobewertung empfahl, nur unbelastete Sorten zu verwenden und die Samen zu waschen und zu erhitzen. Inzwischen halten die meisten Mohnprodukte die Grenzwerte ein, die Sorgfalt hatte sogar noch einen Zusatznutzen, gewaschener Mohn schmeckt besser und hält sich länger. Um die Weihnachtszeit war auch der Zimt ins Gerede gekommen. Manche Sorten enthalten viel leberschädigendes Cumarin und das fand sich dann in hohen Konzentrationen auch in Zimtstern und Spekulatius. Die Grenzwerte wurden massiv überschritten, allerdings beruhten die noch auf der inzwischen widerlegten Annahme, Cumarin könnte auch Krebs auslösen. Trotzdem hat Dr. Klaus Abraham vom Bundesinstitut für Risikobewertung den Zimtverbrauch der Bundesbürger über eine Telefonbefragung klären lassen. Nun können die einen Zimt nicht ausstehen, andere mögen ihn umso mehr. Abraham:

    "Die großen Zimtliebhaber, die nehmen doch schon relativ hohe Mengen, bis zu zwei Gramm täglich nach unserer Untersuchung allein über weihnachtliche Lebensmittel zu sich, und da kann es eben durchaus schon in den Problembereich gehen, wenn ein relativ hoher Cumaringehalt in diesem Zimt vorhanden ist."

    Auch hier wurden die Hersteller aufgefordert, Zimtsorten zu verwenden, die weniger Cumarin enthalten. Nun ist Weihnachten nur einmal im Jahr, der Zimtstern alleine wird also kaum dauerhafte Leberprobleme verursachen, aber es gibt noch andere Zimtquellen. Kinder essen gerne Frühstücksflocken mit Zimtgeschmack. Abraham:

    "Wir sehen das als gewisses Problem für die Zimt-Cerealien weil diese Lebensmittel ja im Gegensatz zu den Weihnachtsgebäck ganzjährig verzehrt werden und da muss man natürlich auch aufpassen das die Gehalte auch hier bestimmte Grenzwerte nicht übersteigen."

    Auch beim Frühstück gilt: öfter mal abwechseln, dann verderben die Abwehrstoffe der Pflanzen auch nicht den Appetit.