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Schleuser im Mittelmeer
Mit Störsendern gegen Frontex und Marine

Der Bundestag muss sich bald mit dem Einsatz der deutschen Marine gegen Schlepperbanden im Mittelmeer beschäftigen. Über die Vorgehensweise wird heftig gestritten. Die Schlepperbanden haben inzwischen technisch aufgerüstet und behindern die Arbeit vor allem der Marineschiffe. Die Hintergründe erklärt Peter Welchering.

Peter Welchering im Gespräch mit Ralf Krauter | 03.09.2015
    Das graue Kriegsschiff setzt ein kleines Rettungsboot aus.
    Mit Störsendern behindern Schleuser ganz gezielt Marineschiffe im Mittelmeer. (Bundeswehr/PAO Mittelmeer/dpa)
    Die EU-Pläne sehen vor, dass sieben Kriegsschiffe, zwei davon aus Deutschland, die Flüchtlingsboote stoppen und bewaffnete Soldaten dann gezielt nach Mitgliedern von Schlepperbanden suchen sollen. Und das sehen sogar Marineangehörige als die falsche Strategie, weil so die Schlepper nicht dingfest zu machen sind. Aus Marinekreisen kommt stattdessen der Vorschlag, gegen die Begleitboote der Schlepper vorzugehen und die Kommunikationshoheit durch die Militärs auf dem Mittelmeer wiederherzustellen, weil die europäische Grenzagentur Frontex und Europol die Strategie der Schlepper weder mit Satellitenüberwachung, noch mit Mobilfunkauswertungen konterkarieren konnten. Und auch die nachrichtendienstlichen Mittel des britischen GCHQ, der auf dem Forschungsschiff "HMS Enterprise" ein Aufklärungskommando unterhält, haben bisher weitgehend versagt.
    Wieso haben denn die massiven technischen Mittel von Frontex, Europol und auch zumindest eines Nachrichtendienstes da nichts gebracht?
    Die Strategie der hochprofessionellen Schlepperbanden sieht so aus, dass auf den größeren Flüchtlingsbooten die Identifikationssysteme auf der Brücke zerstört werden. Und sowohl bei größeren als auch bei kleineren Flüchtlingsbooten werden die Funkfrequenzen für Satellitentelefonie und für den Mobilfunk gestört. Das passiert von Jamming-Stationen auf den Booten der Schlepper, nicht auf den Flüchtlingsbooten. Und die stören so breitbandig, dass von den Flüchtlingsbooten nicht telefoniert werden kann, solange die Schlepper das nicht wollen. Die Flüchtlingsboote werden dann auf einen Kurs gesetzt, auf dem sie ein Handelsschiff kreuzen. Dann wird den Flüchtlingen an Bord auch gesagt, wann sie einen Notruf absetzen sollen. Die Strategie dahinter: Das Flüchtlingsboot soll von einem Handelsschiff geborgen werden, nicht von anderen Einsatzkräften. Die Flüchtlinge können und sollen erst dann einen Notruf absetzen, wenn die Schlepper das wollen, nicht vorher.
    Kann es den Schleppern nicht egal sein, von welchem Schiff die Flüchtlingsboote aufgegriffen werden?
    Handelsboote sind für die Schlepper besser als Marineschiffe oder Schiffe von Frontex. Denn bei denen ist es schon vorgekommen, dass sie die Flüchtlinge wieder zurückgeschickt haben. Weil die Erfolgschance dann steigt, steigen auch die Preise. Außerdem können dann noch ein paar Spuren beseitigt werden, beispielsweise Handy-Speicher bereinigt werden, damit die Behörden nicht über vor der Flucht angerufene Mobilnummern die Netzwerke der Schlepper ermitteln können. Damit die Flüchtlingsboote nicht zu früh ihren Standort verraten, müssen eben die Funkfrequenzen gestört werden, weil viele Flüchtlinge mit Notrufnummern von Rettungshotlines in Berlin, München, Paris, Lyon und anderen Städten ausgestattet sind.
    Wer betreibt diese Rettungshotlines?
    Das sind unterschiedliche zivilgesellschaftliche Gruppen. Und wenn bei denen ein Notruf eingeht, dann verständigen die Aktivisten dieser zivilgesellschaftlichen Gruppen die Küstenwache mit Standortinformationen des Flüchtlingsbootes. Und vor allen Dingen überwachen sie die gesamte Rettungsaktion, weil sie verhindern wollen, dass die Küstenwache die Flüchtlinge zurückschickt. Und das hat zu Toten geführt. Für die Schlepperbanden ist die Arbeit dieser Rettungshotlines geschäftsschädigend. Deshalb stören sie – nicht flächendeckend, aber immer häufiger – die Funkfrequenzen für Satellitentelefone und Mobilfunk, um zu verhindern, dass solche Notrufe abgesetzt werden. Wie groß sind denn solche Jamming-Stationen und welche Reichweite haben die dann?
    Angefangen haben die Schlepper mit handelsüblichen Handgeräten. Aber bei einer Sendeleistung von 60 Watt hatten die gerade mal eine Reichweite von 400 Metern. Inzwischen setzen die Schlepperbanden nach den vorliegenden Informationen für das Militär entwickelte Versionen ein, die decken einen Radius von mehr als zehn Kilometern ab. Diese Geräte sind so groß wie Gepäcktrollys und wiegen auch genauso viel, um die 35 Kilogramm. Die Reichweite kann noch durch Antennenkabel erhöht werden, die an der Reling des Schiffs ausgelegt sind. Experten gehen hier von nicht mehr als 25 Kilometern aus.
    Gibt es Pläne der EU, gegen diese schwimmenden Jamming-Stationen vorzugehen?
    Der EU nicht, sondern nur Empfehlungen einzelner Militärs. Da diese Jamming-Stationen nicht kontinuierlich stören, sondern nur zeitweise, ist es auch nicht ganz so trivial die jeweiligen Standorte per Peilmessung auszumachen. Außerdem müssen Satellitenüberwachung, Radarüberwachung und Peilmessung dafür koordiniert werden. Und da geben erfahrene Marineoffiziere noch eines zu bedenken: Wenn die ersten Begleitboote der professionellen Schlepper zerstört werden sollten, rechnen sie mit gezielten Hochfrequenzstörungen der Radarüberwachung. Dann wären die im Mittelmeer eingesetzten Schiffe und Flugzeuge auf einem Auge blind. Die Mittel dafür haben diese Schlepperbanden. Die haben laut der Organisation "Migrant’s Files" bisher knapp 16 Milliarden Euro im Schlepperbusiness umgesetzt. Da fallen sechsstellige Beträge für Hochfrequenzstörsysteme nicht ins Gewicht.
    Wie werden diese technischen Details von den Bundestagsabgeordneten diskutiert, die ja über einen Einsatz entscheiden müssen?
    Die meisten wollen sich zur Zeit nicht äußern, auch weil sie diese Details noch nicht genau kennen. Dann gibt es aber auch Stimmen wie Andrej Hunko von der Fraktion Die Linke, der vor einem Rüstungswettlauf zwischen Schleppern und EU-Kräften warnt. Hunko fordert hier eine politische Lösung. Und erstaunlich finde ich da: Mit dieser Position ist Hunko gar nicht so weit entfernt von der des italienischen Konteradmirals Enrico Credendino, der darauf hinweist, dass das Problem nur mit technischen Mitteln nicht zu lösen ist.