Dienstag, 16. April 2024

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Schlimmer machen, schlimmer lachen

"Im Medienjargon unserer Tage gibt es die Unterscheidung zwischen `harten' und `weichen' Themen. Während man unter `harten' Themen die Bearbeitung problematischer, wirtschaftlicher, politischer oder wissenschaftlicher Sachverhalte versteht, handelt es sich bei den `weichen' Themen um die eher beiläufige Erörterung von allerlei Schöngeistigem, die Causerien über jene kleinen Entzündungen, Pikanterien, mehr oder weniger exotischen Auffälligkeiten, die sich im Zusammenleben der Menschen begegnen; Demonstrationsweisen und Redeformen also, die in früheren Jahrhunderten den Kamingesprächen Kontur gaben oder die, wenn der Gegenstand in den Bereich des Monströsen changierte, auf Jahrmärkten zelebriert wurden und die heute den Talk-Shows ihr besonderes Gepräge geben."

Michael Wetzel | 17.05.1999
    Mit diesen Worten beginnt die Frankfurter Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen in ihrem neuesten Aufsatzband einen Essay über Männerphantasien. Hart und weich, dieser hier in bezug auf journalistische Themenstellungen gebrauchte Gegensatz gilt üblicherweise auch für die Unterscheidung männlicher und weiblicher Denk- und Lebensstile. In dieser Hinsicht muß man Silvia Bovenschen eine androgyne Ausdrucksweise zuerkennen, denn meisterhaft versteht sie es die Stile zu mischen: Sie schreibt einfühlsam weich über knallharte Themen und mit aller begrifflichen Härte über Gegenstände, die sich gern im verschwommenen Weichzeichner der Plauderein verlieren. Eine selten gewordene Leichtigkeit des Schreibens, die frei vom Ballast zitatwütiger Beweiszwänge ist und dennoch nicht den wissenschaftsgeschichtlichen Hintergrund verleugnen muß. Sie läßt Silvia Bovenschen mühelos die Grenzen der Gattungen von wissenschaftlicher Abhandlung, essayistischem Gedankenspiel und unterhaltsamem Feuilleton überwinden, ja überfliegen. Sie selbst spricht von einem "Schweben" zwischen den Gegensätzen zum Beispiel von Ethik und Ästhetik, von Ernst und Heiterheit. Bewirkt wird damit eine Versöhnung ohne Zwang, ohne Endgültigkeit, oft hervorbrechend in einem Lachen, das schon im Titel der Aufsatzsammlung anklingt, der auf den ersten Blick etwas seltsam anmutenden Formulierung: "Schlimmer machen, schlimmer lachen".

    Der Herausgeber, der in London lehrende und selbst vom Frankfurter Denkzusammenhang herkommende Philosoph Alexander Garcia Düttmann, erinnert in seinem Vorwort daher zurecht an den Geist von Adornos Denkens, den er vor allem in einer Denkfigur wiedererkennt: dem erschöpfenden Offenlassen als "Rühren an eine Grenze, das nicht abschließt". Zugleich verweist er auf die in Bovenschens Texten allgegenwärtige Warnung vor dem Vergessen, einem Vergessen, das er dem Leser auch in einem grundsätzlichen Punkt zu bedenken gibt: daß nämlich die Überlegungen Silvia Bovenschens nicht auf die thematisierten Gegenstände an sich bezogen sind, sondern vielmehr die Art und Weise umkreisen, wie über diese Gegenstände geredet und nachgedacht wird. Mit dieser diskurskritischen Selbstbezüglichkeit erweisen sich die Beiträge des Buches auch auf der Höhe ihrer Zeit. Es geht um Kulturkritik, wobei Kultur ja gerade prototypisch das Ensemble der historisch-gesellschaftlichen Lebensformen und der Ausdrucksformen ihrer theoretischen Reflexion umfaßt.

    So weit gespannt wie das kulturelle Feld sind auch die Themen. Silvia Bovenschen schreibt über Freundschaft, Geschlecht, Mode, Körper, Tiere, Politik. So die Stichworte, unter denen sich die Texte gruppieren, wobei jedoch jeder einzelne Topos alle anderen miteinschließt. Es geht immer wieder um die Brechung der naiven Unmittelbarkeit durch den Verweis auf den Bedeutungskontext anderer Gegenstandsfelder. So ist zum Beispiel Freundschaft nicht denkbar ohne die Frage der Geschlechterkonstellationen, kommt Mode nicht ohne Körperbilder aus, wird aber auch umgekehrt das Körpergefühl über modische Körperhüllen vermittelt. Die Autorin sucht dabei auch nach ungewohnten Perspektiven, paradoxen Zusammenhängen, die aber schon im Vertrauten lauern. So endet der Parcours durch die abendländische Geschichte der Bestimmungen von Freundschaft nicht von ungefähr bei der Konstatierung des männlichen Hoheitsrechts für diese Domäne und der berechtigten Hoffnung, daß auch die Frauen - jenseits von Konkurrenz und Kaffeeklatsch - den Heroismus von Orest und Pylades für sich entdecken. Nicht zu vergessen die Freundschaft zwischen Mann und Frau, für die es ebenfalls erst jenseits der kulturellen Programme von Liebe neue Freiräume zu entdecken gilt.

    Silvia Bovenschen, die Ende der siebziger Jahre durch ihre mittlerweile schon klassische Studie zur "Imaginierten Weiblichkeit" bekannt wurde, hat dem Thema der Geschlechterdifferenz natürlich einen besonderen Stellenwert eingeräumt. Aber auch hier wahrt sie spielerisch Distanz und ein Gleichgewicht, das sie nicht von ungefähr selbst einmal zur Metapher des Tanzes greifen läßt. Die gleiche Unnachgiebigkeit der Diagnose von Projektions- und Imaginationsprozessen, mit der sie zum Beispiel einen Sammelband von 1929 über die "Frau von morgen" analysiert und auf die Wünsche, Ängste und Sehnsüchte der dort schreibenden Männer zurückbiegt, findet sich in ihren Stellungnahmen zu weiblichen Ansätzen eines neuen Verständnisses von Kulturgeschichte. Als Frau und engagierte Kritikerin der männlichen Phantasien von Weiblichkeit dekonstruiert sie mit stilistisch gekonnter Ironie etwa Alice Schwarzers Feldzug gegen die als sexistisch und faschistisch attakierten Frauenphotographien Helmut Newtons oder dechiffriert sie Camille Paglias "Ekeltaumel" als Fundamentalismus eines weiblichen Geschlechterhasses à la Weininger, ganz zu schweigen von Judy Chicagos Auratisierungen des weiblichen Geschlechtsorgans.

    Eins wird immer wieder klar: Es kommt Silvia Bovenschen vor allem darauf an zu zeigen, wie Bedeutungen sich in kulturellen Kontexten und Kommunikationen herstellen. Daher ihr Interesse an Newtons "geklonten Frauenkörpern" ebenso wie am virtuellen Körperdesign des japanischen Cybergirls Kyoto Date. Die Aufgabe der Autorin ist eine "Arbeit an der Grenze", die einen gewissen Höhepunkt findet in der Rekapitulation des abendländischen Diskurses über das Tier als "alter ego" des Menschen. Denn auch hier geht es um Projektionen: "Wenn die Menschen über Tiere reden, reden sie von sich" - und dabei "werden sie unvorsichtig", schreibt sie mit der präzisen Diktion des Sagens einer weitgreifenden Wahrheit, um mit dem Hinweis zu schließen, daß auch Donald Duck zu Weihnachten immer einen Entenbraten (oder ein der amerikanischen Kultur entsprechendes Federvieh) auftischt.

    Silvia Bovenschens Essayistik ist "Fröhliche Wissenschaft" in der Tradition nicht nur Nietzsches, sondern auch der ersten Wiederentdecker dieser Tradition, nämlich der Frühromantiker. Darin fährt sie zu einem stilistischen Glanz auf, der sich im Sinne der von ihr als Hommage aufgegriffenen Denkweise Adornos nicht im Triumph der Kultur spiegelt, sondern in der Ahnung des Abgrundes bricht. "Der Stil, das ist der Mensch selbst", hatte einst Buffon formuliert. Wir wissen nichts über den Menschen Silvia Bovenschen als Individiuum, aber wir erfahren ihre Menschlichkeit in ihren Texten, und zwar als Grenzerfahrung - nicht zuletzt auch dem Medium des Ausdrucks gegenüber, nämlich dem Buch, das die Autorin wiederum gegenwärtig als Grenze zwischen einer Schrift- und Bilderkultur zu bedenken gibt.