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Schlingensief und Monteverdi

Die ersten Kunstfestspiele in den barocken Herrenhäuser Gärten von Hannover sollen Oper, Konzert, bildende Kunst, Philosophie und Wissenschaft die Brücke schlagen: vom Barock bis in die Gegenwart.

Von Georg-Friedrich Kühn | 05.06.2010
    Afrikanische Trommeln im gezirkelten Barock-Garten von Hannover-Herrenhausen? Den Garten entwarf der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz. Er wollte hier einen Ort schaffen für allerlei Kuriositäten und Experimente: Von Wundern der Ingenieurskunst, über Scharlatanerie bis hin zu Theater und Oper.

    Für ihr neues Festival, das Kunst, Wissenschaft und Alltag verbinden soll und das sie unter das Motto "Die Macht des Spiels" gestellt hat, dachte Elisabeth Schweeger "zwingend", wie sie sagt, an Christoph Schlingensief und sein Operndorf Remdoogo, das er in Burkina Faso zu bauen begonnen hat.

    Schweeger: "Weil er mit seinem Festspielhaus in Afrika versucht ein Festivalzentrum zu eröffnen und er es als sehr soziale Kunst sieht, mit Schulen, Ateliers, Ausbildungsstätten. Das Kunstdorf ist ein richtiger sozialer Lebensraum."

    Sehen kann man in einem Seitenteil des Gartens die Modelle: das wie eine Schnecke geformte Festspielhaus, die ganze Anlage mit Schule und Sportplatz. Aufstellfiguren von Ziege, Schaf und Esel erinnern an die Fauna der Savanne. Auf Videos wird der Baubeginn dokumentiert.

    Die erste Theater-Produktion des neuen Festivals galt einer der frühesten Opern überhaupt, Monteverdis "Orfeo". Eine junge Truppe um den Dirigenten Olof Boman und den Regisseur Alexander Charim versucht die Geschichte von der Gattenliebe über den Tod hinaus in die Erfahrungswelt von heute zu ziehen.

    Für den ersten Teil, das kurze gemeinsame Hochzeits-Glück des Paars, das aber schon von zahllosen Eifersüchteleien durchgiftet ist, sitzen die Besucher in der mit alten Fresken ausgemalten Galerie an langen Tischen auf Bierzeltbänken.

    In der Mitte ist ein briefmarkengroßes Podium, wo die Figuren Körperkontakte pflegen, sich anbrüllen oder mit Goldkonfetti beregnen dürfen. Die Verfolgungsjagden werden publikumsnah auch über die Tische hin ausgeweitet.

    Mit Mühe identifiziert man die beiden Protagonisten, ansonsten bleiben die Figuren schemenhaft. Irgendwann verschwindet Euridice plötzlich in den Park. Und Orfeo hat nur noch ihre Schuhe übrig.

    Für den zweiten Teil, den Abstieg in die Unterwelt, wechselt man in die gegenüberliegende Orangerie, wo eine Guckkastenbühne aufgebaut ist.
    In die Unterwelt führt ein als Nachkomme von Curt Cobain verpuppter Caronte, der Monologe über die innere Leere von Menschen heute hält und in Orfeo sich verbeißt.

    Orfeo vermag zwar das Höllentor zu sprengen. Über den aus dessen Bänken gebauten Weg in Schneckenform - siehe Schlingensief - findet er aber nicht hinaus. Und Euridice kommt zu dem Schluss, es ist aus; er will gar nicht sie, sondern lieber Charon.

    Mehr als drei Stunden dauert die Aufführung, reichlich strapaziös durch die vielen Einlagen. Es fehlt der Produktion entschieden an Gefühl für Proportionen. Dabei wird erstaunlich präzis musiziert von dem Berliner Ensemble "Kaleidoskop".

    Auch unter den Sängern findet man hervorragende Stimmen. Insbesondere der Orfeo von Carl Ghazarossian kann mit einem sehr schmiegsamen, hellen Timbre überzeugen, aber auch Isa Katharina Gericke als Euridice und Nils Cooper als Pluto.

    In seinem Eröffnungsvortrag hatte Hirnforscher Wolf Singer über Spiel als Training der Hirn-Fähigkeiten meditiert. Für die Opern-Macher war dies sicher ein gutes Training, das Vergnügen für den Zuschauer eher begrenzt.