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Schluss mit den guten Geschäften

In Italien herrscht seit Ausbruch der Unruhen in Tunesien und Ägypten banges Schweigen - weiß doch niemand, was jetzt kommt, nach den Jahrzehnten einer zweifelhaften Stabilität, die mitunter teuer erkauft wurde.

Von Karl Hoffmann | 01.02.2011
    Dies waren noch die deutlichsten Meinungsäußerungen zu den Vorgängen in Ägypten:
    "Basta Mubarak!" und "Freiheit, Freiheit!"

    Eine Handvoll ägyptischer Immigranten skandierte auf Italienisch Wut und Hass auf den Noch-Diktator Mubarak vor der ägyptischen Botschaft in Rom.
    "Ich bitte die Kollegen, die nicht interessiert sind, den Saal zu verlassen!"

    Im italienischen Parlament, nur knapp zwei Kilometer entfernt, zeigten die Abgeordneten dagegen so wenig Interesse für die Revolte am Nil, dass der Parlamentspräsident sogar zur Ordnung rufen musste, bevor die Sprecherin des Außenministeriums eine offizielle Stellungnahme der Regierung abgeben konnte:
    "Italien schließt sich allen Aufrufen zur Zurückhaltung an und bekräftigt die tiefe Freundschaft zwischen unseren beiden Völkern und bietet der befreundeten Regierung von Ägypten jede nur mögliche Unterstützung an. Die Stabilität Ägyptens ist für unser Land unverzichtbar und vor allem auch unerlässlich für das Gleichgewicht des Friedens und der Sicherheit in dieser Weltgegend und liegt uns zutiefst am Herzen," erklärte Stefania Craxi, Staatssekretär im Außenministerium und Tochter des vormaligen Regierungschefs Bettino Craxi. Er war am Ende zwar unbeliebt im eigenen Land, wurde wegen Korruption verurteilt und musste seinen Lebensabend im Exil ausgerechnet in Tunesien verbringen. Aber er war ein vielgeschätzter Gesprächspartner Italiens in den islamischen Anrainerstaaten am Mittelmeer.

    Handel und Wandel mit den nächsten Nachbarn lagen den römischen Regierungen schon immer am Herzen. Nicht zuletzt Silvio Berlsuconi, der innige Männerfreundschaften mit den lang gedienten Diktatoren jenseits des Mittelmeers beinahe unterwürfig zelebriert:
    "Ich werde mich als Lehrling bei ihnen bewerben, wo sie doch schon 30 Jahre lang die Probleme ihres Landes lösen," erklärte er bei seinem letzten Treffen mit Hosni Mubarak vor acht Monaten in Rom. Jetzt herrscht plötzlich sprachloses Staunen, über die unerwartet schnelle Wende in Tunesien und in Ägypten. Man fürchtet schlimme Folgen, wie der Lega Nord Abgeordnete Gianpaolo Dozza zugibt:
    "Ägypten, vorher Tunesien und Algerien, der Libanon, Albanien, alles Länder, die uns nahe stehen und für uns von nationalem Interesse sind."

    Sprich: wichtige Wirtschaftspartner. Alleine der Warenverkehr mit Ägypten hat ein Volumen von jährlich sechs Milliarden Euro. Ägypten liefert große Energiemengen nach Italien. Für Hunderttausende von Italiener ist es ein beliebtes Reiseziel. Kaum ein italienisches Hochzeitspaar, das nicht seine Flitterwochen in Scharm El Scheich verbracht hätte. Derzeit sind noch 8000 Italiener am Roten Meer. An politischem Einfluss hat Italien dagegen erheblich verloren, sagt der Publizist und Nahost Experte Lucio Caracciolo:
    "Wir nehmen bis jetzt nicht so recht wahr, was in Ägypten eigentlich geschieht. Denn unser Land ist zurzeit mit sich selbst beschäftigt und überlegt sich nicht, was nach Mubarak kommt. Und betreibt praktisch keine Außenpolitik mehr. Wir haben all unseren politischen Einfluss verloren und auch die Sympathien, die wir über Jahrhunderte nicht nur in Ägypten besessen haben."

    Das ist einer Gründe, warum auch das ehrgeizige Projekt der Mittelmeerunion so kläglich gescheitert ist, meint die frühere EU-Kommissarin Emma Bonnino:
    "Auch Europa denkt nur an die eigenen Probleme, wie den Euro, ist völlig in sich gekehrt. Ich glaube nicht, dass wir viel Einfluss haben, wir hatten gute Karten und haben sie alle verspielt. Und überhaupt, wie sehr sind wir überhaupt noch von unseren eigenen Demokratien überzeugt?"

    Um Demokratie und die Interessen Europas schert sich Berlusconi wenig. Er bevorzugte schon immer gute Geschäfte mit den nordafrikanischen Diktatoren, neben dem Tunesier Benali und dem Ägypter Mubarak vor allem Libyens Muammar Gaddafi. Ihm hat er fünf Milliarden Euro versprochen, unter anderem für den Bau einer Autobahn. Im Gegenzug fließen Gas und Öl nach Italien, während der Strom der Immigranten gestoppt wurde.