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Schmetterlingsraupen
Kuckuckseier im Ameisennest

Nicht nur der Kuckuck legt seine Eier in ein fremdes Nest und lässt den Nachwuchs von fremden Eltern ausbrüten. Auch ein bestimmter Schmetterling pflegt nicht den eigenen Nachwuchs: Sie lassen ihre Brut von Ameisen hegen und pflegen – und bedienen sich dabei eines Akustik-Tricks.

Von Frank Grotelüschen | 30.10.2014
    Manche Insekten machen Lärm, und zwar ordentlich. In einer lauen Sommernacht kann das einen schon mal den Schlaf kosten. Andere Insekten dagegen gelten eher als Leisetreter, etwa die Ameisen. Scheinbar lautlos kreuchen sie durch Feld und Flur – es sei denn, man hört ganz genau hin: In erster Linie orientieren sich Ameisen zwar an chemischen Signalen, an Duftlockstoffen. Doch zusätzlich kommunizieren sie auch akustisch, über Geräusche, die sie auf besondere Art hervorbringen, sagt Francesca Barbero, Biologin an der Universität Turin.
    "Die Geräusche werden erzeugt, indem das Insekt zwei Körperteile aneinander reibt. Das eine fungiert als eine Art Plektrum. Das andere hat Rillen wie ein Waschbrett. Schrammt das Insekt mit dem Plektrum über die Rillen, entsteht dieses kratzende Geräusch."
    Das Entscheidende: Eine schlichte Arbeiterin klingt anders als die Ameisen-Königin.
    Barbero: "Die Geräusche der Königin bewirken bei den Arbeiterinnen eine deutlich stärkere Reaktion als die Geräusche der anderen Arbeiterinnen. Dadurch festigt die Königin ihren überlegenen Sozialstatus im Ameisenstaat."
    Schmetterling ahmt Königin nach
    So stellt die Königin zum Beispiel sicher, dass sie selbst in Notzeiten von ihren Untertanen gehegt und gepflegt wird. Das Nachsehen hat dann die Brut. Sie muss, wenn es hart auf hart kommt, verhungern. Genau diese Kommunikationsstrukturen nutzt ein Parasit auf hinterhältige Weise aus – ein Schmetterling namens Kreuzenzian-Ameisenbläuling.
    "Nach der Paarung legt das Weibchen die Eier auf einer bestimmten Pflanze ab, dem Kreuz-Enzian. Von dieser Pflanze ernähren sich die Raupen zunächst. Doch nach zwei Wochen lassen sie sich einfach zu Boden fallen. Dort warten sie dann darauf, von einer bestimmten Ameisenart gefunden zu werden, der Zahnfühler-Knotenameise."
    Jetzt beginnt ein selten raffiniertes Verwirrspiel: Die Schmetterlingsraupe verströmt chemische Signalstoffe, die denen einer Ameisenlarve zum Verwechseln ähnlich sind. Die Folge: Die nichtsahnende Arbeiterin schleppt den Parasiten mit ins Nest, wo er sich gemeinsam mit der Ameisenbrut durchfüttern lässt. Doch damit nicht genug:
    "Wir haben herausgefunden, dass die Larven und später auch die Puppen der Schmetterlinge in der Lage sind, die Geräusche der Königin nachzuahmen. Damit ziehen sie die volle Aufmerksamkeit der Arbeiterinnen auf sich und sichern sich den höchsten Sozialstatus im Nest. Und das garantiert ihnen eine bevorzugte Behandlung selbst dann, wenn das Futter knapp ist."
    Nach drei Wochen dann schlüpft der erwachsene Schmetterling und macht sich schleunigst aus dem Staub. Denn weder besitzt er eine chemische Tarnkappe noch beherrscht er den Gesang der Ameisenkönigin. Zwar haben Francesca Barbero und ihre Kollegen das akustische Mimikry im Groben aufgeklärt. Doch manche Details fehlen noch – weshalb die Forscher schon neue Experimente planen:
    "Als nächstes wollen wir den Insekten künstliche, computergenerierte Geräusche vorspielen. Dadurch hoffen wir herauszufinden, welche Komponente des Geräusches die entscheidende Information enthält: Ist es die Tonhöhe oder die Lautstärke oder die Länge der einzelnen Pulse? Denn wir wissen immer noch nicht, wie Insekten die Geräusche wahrnehmen. Das ist eine Wissenslücke, die wir bald schließen wollen."