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Schmidt: Für Kroatiens EU-Beitritt gibt es keinen Automatismus

Kroatien müsse durch eine Härteprüfung und die EU-Kriterien für einen Beitritt in die Union erfüllen, sagt Christian Schmidt. Der stellvertretende CSU-Vorsitzende ergänzt, dass man sich keinen "neuen Schuldenweltmeister ins Land hole", wenn das Land die Kriterien nicht erfülle.

Friedbert Meurer im Gespräch mit Christian Schmidt | 16.10.2012
    Friedbert Meurer: Erst kam ein blauer Brief von der EU-Kommission an die Regierung in Zagreb, Kroatien müsse noch seine Hausaufgaben machen, will es am 1. Juli 2013 - nächstes Jahr im Sommer - Mitglied in der Europäischen Union werden, denn grundsätzlich gilt: Nur, wer alle Kriterien erfüllt, demokratische Kriterien, ökonomische, juristische, der kann in den Klub der EU aufgenommen werden. Und die EU moniert, die Verwaltungsstrukturen in Kroatien stimmten nicht, die Justiz sei nicht so weit, und es wäre zweifelhaft, ob die Kroaten in der Lage wären, ihre Grenzen zu bewachen, die dann ja nach einem Beitritt EU-Außengrenzen werden. Bundestagspräsident Norbert Lammert sagt deswegen, Kroatien ist nicht beitrittsreif, gibt also sozusagen den Anti-Genscher. Die FDP, Genschers Partei, widerspricht Lammert, die CSU offenbar auch. Christian Schmidt ist stellvertretender CSU-Vorsitzender, bekannt als Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Guten Morgen, Herr Schmidt!

    Christian Schmidt: Guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Norbert Lammert beruft sich ja auf die EU-Kommission. Wollen Sie Kroatien auch dann aufnehmen, wenn das Land die Kriterien nicht erfüllt?

    Schmidt: Nein, allerdings ist ein blauer Brief der EU-Kommission nicht vorliegend. Es ist ein Zwischenbericht über das Beitrittsverfahren, das wir aus guten Gründen verbessert haben, nämlich Monitoring bis zum Beitritt und auch danach. Wieso? Weil wir alle noch unter dem Eindruck der viel zu frühen und nicht vollständig gerechtfertigten Beitritte von Rumänien und Bulgarien unter dem Aspekt des 'alle Kriterien' leiden.

    Meurer: Was ich und andere als blauen Brief bezeichnen, ist der Fortschrittsbericht, und der ist nicht so gut ausgefallen für Kroatien.

    Schmidt: Also ich will das auch nicht schön- oder schlechtreden, nur von - im Frühjahr, ich glaube - ungefähr knapp 50 Kritikpunkten sind jetzt noch zehn übrig geblieben. Das ist zum Teil relevant, Sie haben sie angesprochen, zum Teil beschäftigten die sich mit der Frage ob der Acquis communautaire, das sind die vielen, vielen Seiten - 144.000, habe ich gelernt -, die die EU als Verordnungen, Richtlinien und so weiter hat - ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, ob jede dieser Seiten wirklich notwendig ist -, und die müssen jetzt alle ins Kroatische übersetzt werden. Jetzt sind sie bei, ich glaube, 114.000, schreibt die EU. Na gut, die anderen müssen natürlich noch übersetzt werden, und müssen - dass nicht das passiert, übrigens, was bei Griechenland war, 1981, die hatten überhaupt nicht die EU-Regelungen übersetzt oder EG-Regelungen, und sind dann munter Mitglied geworden. Diese Fehler der Vergangenheit dürfen nicht wiederholt werden, aber wir sind gerade doch in dem Prozess drin, dass wir Kroatien die Möglichkeit und Notwendigkeit geben, dass sie mit sogenannten Benchmarks nachweisen, dass sie das auch wirklich nicht nur auf dem Papier dann, in der Übersetzung, sondern in politischem und administrativem Handeln erfüllt haben. Also insofern sage ich, ihr habt noch was zu tun, Kroaten, aber ich bin weit davon entfernt, zu sagen, die würden solch ein Problem erzeugen, wie das Rumänien beispielsweise im Augenblick macht.

    Meurer: Machen Sie es den Kroaten zu leicht, Herr Schmidt?

    Schmidt: Nein, obwohl ich bei denen bin und war, wie meine Partei, die CSU, die 1991 mit Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher den richtigen Weg - ich betone das sehr, auch aus heutiger Sicht - getroffen hat, nicht irgendein Nachfolgerregime von Milosevic in ein Gesamtjugoslawien zu bringen, sondern in einem Land die Selbstbestimmung sozusagen zuzulassen oder zu gewähren. Wie hätten wir denn anders gesollt, wir, die wir 1990 von unserem Recht auf Selbstbestimmung Gebrauch gemacht haben, den Kroaten zu sagen, nein, ihr dürft das nicht, ihr müsst euch da im Jugoslawienverbund halten.

    Meurer: Da meinen eben einige, da ist ja Öl ins Feuer gegossen worden, und wir hätten ja gar kein Druckmittel gegen die Serben gehabt.

    Schmidt: Das war damals falsch und ist heute falsch. Wichtig ist, dass wir diesen Ländern nicht nur Selbstbewusstsein, sondern auch Selbstverantwortung geben müssen, und das heißt allerdings in der Tat: Wenn ihr beitreten wollt - und Griechenland war, habe ich genannt, 81, wir haben jetzt viele Jahre später, eine Generation später, Kroatien, nach einer völlig anderen Entwicklung -, ihr müsst auch die Kriterien, die wir strikt aufnehmen, erfüllen, und nicht so wie zu Zeiten von Günther Verheugen, wo man augenzwinkernd gesagt hat, na ja, schauen wir mal, das wird sich schon ergeben. Bei Rumänien sieht man, wie weit man gekommen ist. Die haben was zu tun, die Kroaten, aber ich darf mal drauf hinweisen, dass gerade in der verbreiteten Korruption, von der leider auch Kroatien befallen war und möglicherweise noch befallen ist, die Kommission bestätigt, dass eine ganze Reihe von auch hochrangigen Fällen ja aufgeklärt und vor Gericht gezogen worden sind. Ich will nur beispielsweise erinnern, auch der frühere Verteidigungsminister ist über einen Korruptionsfall gestolpert und auch einem Strafverfahren unterzogen worden.

    Meurer: Wichtig ist natürlich das Ökonomische. Glücklicherweise ist der Krieg auf dem Balkan lange vorbei, heute spielt die Wirtschaft eben die große Rolle: Kroatien erlebt eine Rezession. Müsste da in der CSU, da Sie gerade Griechenland ansprechen, nicht alle Alarmlampen blinken, dass wir uns hier einen neuen Empfängerstaat in die EU holen?

    Schmidt: Wenn die Kroaten im Sinne ihrer Stabilitätspolitik nicht bei den wirtschaftlichen Kriterien da hinkommen könnten und da wären, dass wir sagen können, da holen wir uns nicht einen neuen Schuldenweltmeister ins Land, der Geld ausgibt, das er gar nicht hat, dann wäre das in der Tat ein Thema, und insofern ist es natürlich klar, dass die Erfahrung Griechenlands, ich sage noch mal Rumänien und Bulgarien, und Rumänien findet alles andere als Rechtsstaat statt im Augenblick, leider in einem EU-Mitgliedsland, dass wir dies uns nicht zum Maßstab nehmen können. Kroatien muss durch die Härteprüfung dessen, ob sie alles erfüllen, und ich darf man sagen, in dem Beitrittsvertrag - ausnahmsweise auch mal ein Lob an die Kommission, die EU-Kommission - ist eben festgehalten, in dem neuen Verfahren, das reagiert werden kann von der EU, und dass es keinen Automatismus gibt.

    Meurer: Aber die Zustände in Kroatien, sagen Sie, seien viel besser als in Griechenland?

    Schmidt: Die Zustände in Kroatien, wenn Sie im Hinblick auf Kontrolle und auch administratives Verhalten gehen, dann ist der Bericht der Kommission weitaus besser. Das Problem in Kroatien - in Griechenland, Entschuldigung - ist ja nicht, dass da nur Geld ausgegeben wird, sondern wie das Geld in schwarzen Kanälen versinkt und verpulvert, weil die Administration, die Verwaltungsstruktur, die Staatsstruktur nicht funktioniert. Solche Fälle dürfen wir uns in Europa nicht weiter zumuten, wir dürfen es übrigens auch den Beitrittskandidaten nicht zumuten, ich sehe, dass wir beispielsweise, was das Thema Korruption betrifft, auch bei den weiteren Beitrittskandidaten, die überhaupt noch nicht zur Disposition stehen, nämlich Montenegro und Serbien, auch viel, viel Arbeit vor uns liegen wird, was in Kroatien doch ja in beachtlicher Weise in den letzten Jahren erfolgt ist.

    Meurer: Man kann festhalten, Herr Schmidt, Ihre Partei, die CSU ist unter allen Umständen dagegen, die muslimische Türkei aufzunehmen, aber dafür, das katholische Kroatien aufzunehmen. Spielt Religion eine Rolle für Sie?

    Schmidt: Wir sind bei der Frage der Grenzen der Europäischen Union von der Finalität her so, dass wir niemanden ausgrenzen, aber jedem einen Maßanzug geben wollen. Deswegen war und ist unsere Vorstellung zur Türkei eben nicht die volle Mitgliedschaft, sondern eine sehr enge Kooperation mit der Türkei.

    Meurer: Also es liegt an der Geografie, nicht an der Religion?

    Schmidt: Ja, das liegt an Vielem, unter anderem auch an Größe und an Strukturen, die von - wenn die Türkei Vollmitglied in der EU mit allen Regelungen bis hin zum von den Abwasserverordnungen, Trinkwasserverordnungen bis zu was weiß ich allem wohl das nicht ohne Weiteres übernehmen könnte. Das Außenpolitische, Sicherheitspolitische, das führt uns dazu, dass wir schon sagen, wir müssen mit der Türkei, dem NATO-Partner, sehr eng zusammenarbeiten. Aber es gibt ja auch noch Unterschiede, und die müssen wir auch beachten.

    Meurer: Christian Schmidt, der stellvertretende CSU-Vorsitzende, zum geplanten Beitritt Kroatiens in die Europäische Union nächstes Jahr. Danke schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.