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Schmidt: Gesundheitskosten müssen auf breitere Grundlage gestellt werden

Die Finanzierung der Gesundheitskosten soll nach den Worten von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt auf eine breitere Basis gestellt werden. Allein über Beiträge aus Löhnen und Renten sei das System der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zu finanzieren, sagte die SPD-Politikerin.

Moderation: Jochen Fischer | 20.05.2008
    Jochen Fischer: In Ulm beginnt am Vormittag der 111. Deutsche Ärztetag mit einer Diskussion um den Wert der ärztlichen Leistungen. Der Präsident der Bundesärztekammer Hoppe sagte eben hier im Deutschlandfunk, die Ärzte würden durch zu viel Bürokratie gehindert. Außerdem müssten sie den Patienten erklären, was diese nicht alles mehr bekommen könnten, weil die Kasse nicht mehr zahle. Das zerstöre das Vertrauen der Patienten in die Medizin. Außerdem sei die ärztliche Honorierung zu gering. Uns interessiert dazu die Meinung der Bundesgesundheitsministerin. Sie ist nämlich jetzt am Telefon. Guten Morgen Frau Schmidt!

    Ulla Schmidt: Guten Morgen!

    Fischer: Hat Hoppe Recht? Zu viel Bürokratie bei den Ärzten?

    Schmidt: Über viel Bürokratie kann man sicher reden. Da hat sich vieles aufgehäuft in den letzten Jahren. Wir haben ja auch von der Bundesebene mit dem Gesetz alles das auf den Weg gebracht, was bundesgesetzlich abzubauen ist, aber es geht auch darum, dass man vor Ort das, was in Verträgen geregelt ist, an zusätzlicher Bürokratie abbaut. Natürlich ist auch mein Kampf für die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte und den Einsatz auch von Informationstechnologien im Gesundheitswesen ein ganz entscheidender Schritt zur Entbürokratisierung.

    Fischer: Ein weiterer Vorwurf lautet ja, die Ärzte bekommen zu wenig Geld.

    Schmidt: Die Honorare in Deutschland sind weltweit nicht an der Spitze, sondern da liegen wir im Mittelfeld, während wir bei den Leistungen des Gesundheitswesens an der Spitze liegen. Deswegen wollen wir ab dem kommenden Jahr eine neue Gebührenordnung auf den Weg bringen. Es soll in Euro und Cent ausgezahlt werden, für den Arzt planbar, was er für eine medizinische Behandlung erhält, und ab dem kommenden Jahr soll auch ein steigender Behandlungsbedarf, weil Menschen kränker werden, auch weil wir viel mehr ältere oder hoch betagte Menschen haben, durch die Krankenkassen finanziert werden. Das ist ein ganz grundlegender Wechsel gegenüber dem, wie heute Honorare verteilt werden.

    Fischer: Die Rede ist ja, die Ärzte bekämen etwa 2,3 Milliarden. Das entspricht etwa zehn Prozent der Summe, die für die ambulante Behandlung ausgegeben wird. Stimmt das, oder ist da noch mehr drin?

    Schmidt: Ich verhandle nicht über diese Höhe der Honorare, sondern das wird zwischen den Kassen und zwischen den Ärzten verhandelt. Die Experten sind bei den Planungen jetzt der neuen Berechnungsgrundlagen für das kommende Jahr davon ausgegangen, dass es um etwa zehn Prozent steigen würde gegenüber dem heutigen, aber Sie müssen ja auch sehen: Die Ärzte haben auch jahrelang deswegen Schwierigkeiten gehabt wie alle anderen in diesem Land, weil es keine realen Lohnsteigerungen gegeben hat und deswegen die Anbindung der Erhöhung der Honorare auch an die Steigerungen der Grundlohnsumme dazu geführt hat, dass auch hier viel stagniert hat. Aber da sind wir ja auch auf einem besseren Weg im kommenden Jahr.

    Fischer: Ärztekammerpräsident Hoppe spricht auch von Rationierung. Er meint das im Sinne einer Zuteilung. Wenn es nicht mehr für alle reicht, dann werden halt Leistungen abgegeben an private Leistungsträger. Wird also nur noch das Notwendigste von der GKV finanziert?

    Schmidt: Nein, mit mir nicht, sondern das ist auch ganz klar unsere Position. Das was medizinisch notwendig ist, das muss solidarisch abgesichert werden und das muss auch finanziert werden.

    Fischer: Wer entscheidet das, was medizinisch notwendig ist?

    Schmidt: Das entscheiden die Ärzte. Die Politik oder die politisch Verantwortlichen haben den Rahmen festgelegt, zum Beispiel dass Prävention, Rehabilitation dazu gehört, die Arzneimittelversorgung, die stationäre Versorgung und auch die ambulante Versorgung, Zahnbehandlung. All das legt der Gesetzgeber als Rahmen fest. Das muss durch die Krankenkassen finanziert werden. Und wenn es neue Verfahren gibt, dann entscheidet der gemeinsame Ausschuss von Ärzten und Krankenkassen darüber, ob dies in die Regelversorgung eingeht, weil die prüfen: Nutzt es wirklich und nutzt es auch bei der Bekämpfung der Krankheiten, die angegeben werden. Arzneimittel zum Beispiel, die zugelassen sind, gehen automatisch in die Versorgung. Was wir müssen - und da hätte ich gerne auch die Ärzte an meiner Seite -, man muss konsequent immer wieder überprüfen: Fließt eigentlich jeder Euro, den die Versicherten zahlen, auch zielgenau dahin, wo er hinkommen muss? Müssen wir bei den Strukturen verändern, mehr Zusammenarbeit fördern, mehr alle Gesundheitsberufe einbeziehen? Und wir müssen konsequent Kosten und Nutzen bewerten, denn wir haben heute manchmal Arzneimittel im Markt, die zwar 300 Prozent mehr kosten, aber wo der Nutzen gegenüber den vorhandenen überhaupt nicht gegeben ist. Das ist die Diskussion, die wir brauchen.

    Fischer: Ich möchte noch mal zurückkommen zu dem, was notwendig ist. Sie haben ja gesagt, alles das muss finanziert werden, was notwendig ist. Die Ärzte sagen, das wollen wir gar nicht alles entscheiden. Wir wollen nicht andauernd Überbringer schlechter Nachrichten sein. Das müsste an anderer Stelle geregelt werden.

    Schmidt: Man muss sich irgendwann mal entscheiden was man möchte. Auf der einen Seite wirft die Ärzteschaft mir immer vor, ich würde eine Staatsmedizin und Leitlinienmedizin auf den Weg bringen, wobei Leitlinien richtig sind, weil Studien auszuwerten was wirkt eigentlich, welche Medikamente haben sich bewährt oder verfahren, ist etwas Richtiges. Und jetzt wird gesagt, wir sollen als politisch Verantwortliche einen Katalog medizinisch notwendiger Leistungen machen. Das passt erstens nicht zusammen und zweitens ist es nicht Aufgabe. Das was medizinisch notwendig ist, dafür haben wir Ärzte und Ärztinnen. Das was wir tun können und wozu ich auch bereit bin, was ich auch in den letzten Jahren gemacht habe, Rahmenbedingungen zu schaffen und auch zu sagen, was kann eigentlich in die Verantwortung des Einzelnen übergehen, was muss solidarisch abgesichert werden. Ich nenne da zum Beispiel die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, wo ich auch der Überzeugung bin, ein Schnupfenmittel und andere Dinge kann jemand selbst bezahlen, eine Therapie, wenn man eine Tumorerkrankung hat oder andere schwere Erkrankungen, die teure Medikamente erfordern, kann der einzelne nicht übernehmen. Das sind Entscheidungen, die wir treffen können, aber nicht, dass medizinisch notwendige Leistungen nicht mehr für alle da sind. Soll das später nur noch für Menschen da sein, die entsprechendes Geld haben? Das ist mit uns nicht zu machen.

    Fischer: Frau Schmidt, beim Zahnersatz, bei der Sehhilfe - das ist in der Vergangenheit ja auch schon passiert -, da sind Leistungen herausgenommen worden aus der gesetzlichen Krankenkasse. Werden solche Ausgrenzungen in Zukunft nicht auch noch weiter notwendig sein?

    Schmidt: Zahnersatz haben sie manchmal gar nicht im Leben. Manchmal, wenn sie älter sind, wenn sie ihre Zähne pflegen, können sie das sehr weit hinausschieben. Wenn Menschen Zahnersatz brauchen, weil sie durch Krankheit auch die Zähne verloren haben, bezahlt das auch die Krankenkasse. Aber ansonsten sagt man, das ist planbar. 50 Prozent bekommst du beim Zahnersatz von der Krankenkasse, wenn du deine Zähne gut gepflegt hast bis zu 65 Prozent. Und die 35 Prozent Anteil, das kann man planen. Eine chronische Erkrankung oder eine schwere Erkrankung, wo jemand angewiesen ist - wir haben viele Fälle, wo Menschen Tausend Euro am Tag an Medikamenten verbrauchen -, das kann niemand bezahlen und da kann ich auch nicht sagen, davon kannst du immer einen Eigenanteil von 20 oder 30 Prozent zahlen. Das würde arme Menschen überfordern und dazu führen, dass Innovationen nur noch die erhalten, die Geld haben. Das wäre eine Abkehr vom Sozialstaat in Deutschland und das ist mit uns nicht zu machen.

    Fischer: Frau Schmidt, sind Sie dafür oder dagegen, sozialpolitisch wünschenswerte Ausgaben bei der gesetzlichen Krankenversicherung vollständig durch den Steuerzahler bezahlen zu lassen, also zum Beispiel Ehegatten- oder Kinder-Mitversicherung oder die Krankenversicherung der Rentner?

    Schmidt: Ich bin schon immer dafür und ich bin sehr froh, dass wir einen ersten Schritt getan haben, dass jetzt in den kommenden Jahren 14 Milliarden über Steuer finanziert werden. Sie haben aber Recht: Der Anteil dessen, was die GKV, die gesetzliche Krankenversicherung an gesamtgesellschaftlichen Aufgaben übernimmt, ist weit höher und wir werden langfristig über die Einbeziehung anderer Einkünfte reden müssen und auch entscheiden müssen - entweder durch mehr Steuern, oder aber durch die Einbeziehung anderer Einkünfte auch bei der Beitragsbemessung. Denn alleine die Beiträge auf Löhne und Gehälter oder Renten zu beziehen, das reicht auf Dauer nicht aus und dann wird die Beitragsbelastung - also die Höhe der Beiträge - zu hoch für den einzelnen.

    Fischer: Bundesgesundheitsministerin Schmidt im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Schmidt.