Donnerstag, 25. April 2024

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Schmidt verteidigt Umbau des Gesundheitswesens

Elke Durak: Gesundheit ist keine Ware, Ärzte sind keine Anbieter und Patienten keine Kunden. Das hat Bundespräsident Rau gestern zur Eröffnung des Ärztetages in Bremen gesagt, unter anderem, und vielleicht hat er ja wieder einmal eine treffende Beschreibung für etwas gefunden, was diese Gesellschaft umtreibt und womit sie sich auch quält: die Gesundheitsreform und ihre Auswirkungen auf alle Beteiligten, Patienten, Mediziner, Krankenkassen und natürlich auch die Politik. Mutter der Reform sozusagen ist die Bundesgesundheitsministerin, Ulla Schmidt, nun am Telefon. Guten Morgen Frau Schmidt!

19.05.2004
    Ulla Schmidt: Guten Morgen Frau Durak.

    Durak: Wie haben Sie denn die Worte von Rau empfunden: als Kritik, Ermunterung, Mahnung?

    Schmidt: Nein, als richtig, denn das ist ja der Grund, warum wir ein solidarisch finanziertes Gesundheitswesen brauchen. Ein Kunde kann entscheiden, ob er eine Leistung in Anspruch nimmt. Ich kann entscheiden, ob ich ein Auto kaufe oder nicht. Aber ich kann nicht entscheiden, wenn ich krank bin, ob ich eine Gesundheitsleistung in Anspruch nehme. Insofern ist das kein Wettbewerb wie jeder andere. Es ist kein Wettbewerb im Gesundheitswesen wie zum Beispiel beim Automobilverkauf und trotzdem brauchen wir Wettbewerb um gute Qualität in der medizinischen Versorgung. Arzt und Patient haben ein anderes Verhältnis als es ein Verkäufer oder eine Verkäuferin und ein Kunde haben.

    Durak: Und trotzdem sollen ja die Ärzte, Krankenhäuser und alle anderen zum einen leistungsorientiert arbeiten, aber auch auf die Rechnungen schauen. Der Vorwurf der Mediziner insbesondere an Sie geht ja dahin, Sie würden das Gesundheitssystem kommerzialisieren.

    Schmidt: Das sind so Vorwürfe, wissen Sie. Die hören sich in den Anschuldigungen dann immer gut an. Natürlich müssen Ärzte und Ärztinnen darauf achten, dass wirtschaftlich verordnet wird. Schauen Sie mal wir haben ein System, wo jeder entsprechend seiner Leistungsfähigkeit einzahlt: wer wenig verdient wenig, wer mehr verdient mehr. Trotzdem hat jeder den gleichen Anspruch auf Leistungen, wenn er versichert ist bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Da gibt es keine Unterschiede für 70 Millionen Versicherte. Das kann nur funktionieren, wenn das System bezahlbar bleibt. Deshalb müssen Ärzte medizinisch Notwendiges entscheiden, aber wenn es gleich gute Behandlungen gibt auch darauf achten, dass sie die kostengünstigere nehmen, denn dort gibt es Breite, und dass man auch genau schaut, ist eine Behandlung medizinisch notwendig oder nicht. Wenn wir das nicht mehr machen, steigen die Kosten. Wenn die Kosten immer weiter steigen, werden wir irgendwann viele haben die sagen, ich möchte mich aus diesem System verabschieden, und das wäre dann wirklich sehr schlecht für alle.

    Durak: Bleiben wir zunächst einmal bei den Kosten für die Patienten. Die Praxisgebühr treibt die Menschen um beziehungsweise gar nicht erst zum Arzt hin. Wir haben es in den ersten Monaten erlebt, dass weniger Menschen zum Arzt gehen. Das war ja eigentlich auch ein Ziel dieses Teils der Gesundheitsreform. Aber lassen wir mal die Ärztehopper sozusagen weg. Ärzte beklagen, dass sie einfach über Gebühr in Anspruch genommen werden, und verlangen habe ich gehört einen Euro. Was halten Sie davon?

    Schmidt: Ja, aber da haben Ärzte glaube ich schon vor Gericht geklagt und keine Zustimmung bekommen. Das sind die ersten 10 Euro des Honorars des Arztes. Das sind 10 Euro und danach wird mit der Krankenkasse abgerechnet für den Rest auch des Honorars. Dazu gibt es keine extra ein Euro Verwaltungsgebühr.
    Das zweite ist: Wenn 15% weniger Menschen die Praxen aufsuchen, aber die Ärzte ja beim Honorar nichts gekürzt bekommen, dann kann nicht der Aufwand, Praxisgebühr einmal im Quartal von einem Patienten einzuziehen, im Grunde genommen berechtigen, dass man zusätzliche Arbeit hat. Ich glaube da wird auch ein bisschen mit Politik gemacht. Die Mehrheit der Ärzte und Ärztinnen sagt, dass es überhaupt keine Probleme gibt beim Einziehen der Praxisgebühr, dass es eine Umstellung war, dass es neu war, dass sie am Anfang auch viel erklären mussten. Das ist alles glaube ich selbstverständlich, aber reibungslos. Wir haben ja ganz wenige Fälle, wo es wirklich Ärger gegeben hat. Die Patienten und Patientinnen zahlen!

    Durak: Frau Schmidt, die Krankenkassen haben Sie angesprochen. Eigentlich müssten Sie doch schwer enttäuscht sein von den Krankenkassen für ihre Bürger, denn es war ja versprochen, die Beitragssätze werden sinken bei all den neuen Kosten, die auf die Patienten zukommen. Nun reagieren die Krankenkassen, haben sehr, sehr zögerlich reagiert. Die drei großen sind jetzt noch mal dabei zu senken oder sie kündigen es an. Hatten Sie gar keine Möglichkeiten, mehr Druck auf die Kassen auszuüben?

    Schmidt: Wir üben Druck aus! Ich persönlich bin ja für die Kassenhaushalte gar nicht zuständig, auch wenn ich immer dafür verantwortlich gemacht werde. Bei den regionalen Kassen sind es die Länder, die die Aufsicht über die Haushalte haben, und auf der Bundesebene ist es das Bundesversicherungsamt. Aber wir üben ja Druck aus.
    Was ich nicht möchte und was auch der Gesetzgeber nicht will ist, dass die Kassen neue Schulden machen, um Beitragssätze zu senken. Wir hatten eine Situation, wo aufgrund der Einnahmeverluste im letzten Jahr, auch zu Beginn des Jahres wir Beitragssatzanhebungen zwischen 0,4 und 0,7% gehabt hätten auch bei den großen Kassen: Barmer Ersatzkasse und andere. Wir sinken jetzt. Wir haben jetzt einen niedrigeren Beitragssatz als am 1. Januar in diesem Jahr und die Kassen haben angekündigt, dass sie weiter senken. Wir haben das erste Mal die ersten Zahlen für das erste Quartal, dass wir wieder Plus geschrieben haben. Trotz sinkender Einnahme hat es Einnahmeplus gegeben, dass also mehr eingenommen wurde als ausgegeben wurde. Das soll aufgeteilt werden: vier Jahre Schuldenabbau, den die Kassen aufgehäuft haben, und auch Beitragssatzsenkungen weiter an die Versicherten. Das ist für alle ein gutes Geschäft, denn hätten wir das nicht gemacht, hätten alle Versicherten höhere Beiträge zahlen müssen.

    Durak: Wissen Sie etwas über die AOK? Dort sind ja wohl die meisten Patienten vor allen Dingen mit weniger Geld eingebunden.

    Schmidt: Dort gibt es ja auch Senkungen bei der AOK Bayern. Die AOK Baden-Württemberg plant. Es gibt AOK-Bereiche - ich habe die jetzt nicht alle im Kopf -, die auch senken werden. Die AOK Rheinland zum Beispiel hat ja immer einen niedrigen Beitragssatz gehabt, aber die haben gesagt wenn sie die ersten Ergebnisse jetzt haben, weil die auch keine Luft mehr hatten, dann werden die auch in diesem Jahr sobald es geht die Beitragssätze senken. Der Zug ist in Bewegung gekommen. Es hat sich noch nie so viel bewegt im Gesundheitswesen wie jetzt. Da gibt es viele Veränderungen, aber alle mit dem Ziel, was ich möchte, dass wir das Gesundheitswesen so reformieren, dass unsere Kinder und Kindeskinder auch noch von dem profitieren, was für uns selbstverständlich war, dass man ohne Ansehen der Person und ohne Ansehen des Einkommens, wenn man krank ist, das medizinisch Notwendige bekommt.

    Durak: Das ist Ihr Wunsch. Das möchten Sie gerne, Frau Schmidt. Wo sehen Sie denn nach wie vor oder neu nach den ersten Monaten der Gesundheitsreform die größten Schwierigkeiten bei deren Umsetzung?

    Schmidt: Die größten Schwierigkeiten gibt es wirklich, neue Strukturen anzugehen, neue Verträge zu schließen. Zum Beispiel beginnt erst jetzt der Zug sich in Bewegung zu setzen, wirklich haushaltzentrierte Versorgungsmodelle anzubieten. Das wird gut sein für die Patienten.

    Durak: Was sind haushaltszentrierte Versorgungsmodelle? Können Sie uns das erklären?

    Schmidt: Ja, dass praktisch Verträge geschlossen werden mit Hausärzten und die Hausärzte dort die Lotsenfunktion übernehmen, dass die Menschen sich entscheiden, für ein Jahr genau einen Hausarzt aufzusuchen und zu sagen, man geht nur noch mit Überweisung zum Facharzt. Die Kassen bieten ja dann auch an, dass zum Beispiel, wer sich in solche Modelle einschreiben lässt, diejenigen die Praxisgebühr erlassen bekommen, oder dass man bei den Zuzahlungen andere Konditionen macht. Dazu haben die Kassen jetzt die Freiheiten. Ich möchte viele integrierte Versorgungsverträge abschließen, damit wir wirklich unnötige Untersuchungen lassen. Nehmen Sie mal dieses Modell auch der Knappschaft in Nordrhein-Westfalen. Die sparen pro Patienten 300 Euro und die Patienten sind optimal behandelt. Die sind gut behandelt, denen geht es gut und es wird Geld eingespart, nur weil Ärzte und Krankenhäuser, also niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser miteinander absprechen und gemeinsam Patienten im Mittelpunkt behandeln. Das sind die Modelle der Zukunft und dann werden wir auch dahin kommen, dass das Geld, was wir haben, sehr optimal eingesetzt wird und damit auch ein Gesundheitswesen bezahlbar bleibt und wir trotzdem für die Patienten und Patientinnen die beste Qualität sicherstellen können.

    Durak: Frau Schmidt, es gibt eine aktuelle Meldung. Franz Müntefering hat wohl gestern in Thüringen laut überlegt, die Bürgerversicherung schon nächstes Jahr in eine gesetzliche Form zu bringen. Er hat Bedingungen genannt. Das Problem der Beitragsbemessungsgrenze müsse gelöst werden und die private Krankenversicherung als Teil des Gesundheitssystems erhalten werden. Das ist ja zeitlich anders als gedacht, also noch in dieser Legislaturperiode. Halten Sie das für möglich und richtig?

    Schmidt: Wenn wir bis dahin alle Fragen geklärt haben, dann ist es auch richtig, Gesetze praktisch auf den Weg zu bringen. Wir haben ja eine Arbeitsgruppe eingerichtet und die wird zunächst einmal im Herbst die Eckpunkte vorlegen. Die Bedingungen, die Franz Müntefering genannt hat, sind richtig. Wenn es dann gelingt, wirklich die verfassungsrechtlichen, europarechtlichen, kartellrechtlichen, sozialrechtlichen Fragen alle zu klären, dann bin ich auch dafür, dass ein Gesetzentwurf entwickelt wird.

    Durak: Was haben wir von einer Bürgerversicherung?

    Schmidt: Es ist eine gerechtere Finanzierung. Alle, auch die besseren Risiken, beteiligen sich an der solidarischen Finanzierung. Jeder muss sich versichern. Die Kassen werden verpflichtet, eben das Leistungspaket, das in etwa dem der heutigen gesetzlichen Krankenversicherung entspricht, für alle anzubieten ohne Risikoüberprüfung. Dann muss ein Ausgleich zwischen allen Kassen stattfinden und das ist ja die Schwierigkeit. Es müsste ja ein Ausgleich auch zwischen denen, die sich privat versichern, und denjenigen, die sich gesetzlich versichern, stattfinden. Das zu organisieren, ist eben das, woran wir im Moment arbeiten, was eine ganze Menge an rechtlichen Fragen aufwirft.

    Durak: Danke schön Frau Schmidt! - Das war Ulla Schmidt, die Bundesgesundheitsministerin.