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Schnee, der auf Palmen fällt

Die Vereinten Nationen schätzen, dass jedes Jahr Kokain im Wert von mindestens einer Milliarde US-Dollar von Südamerika durch Westafrika nach Europa gelangt. Ein Land steht dabei besonders im Fokus: Guinea-Bissau.

Von Marc Dugge | 16.08.2011
    Ein verkohlter Flügel liegt im Wüstensand, einige Meter weiter eine Turbine. Überreste einer alten Boeing 727. Abgestürzt in der Wüste von Mali. Von der Besatzung keine Spur. Und auch nicht von der Fracht. Alles, was man weiß: Die Maschine kam aus Venezuela.

    Ein Schiffswrack vor der Küste, in der Nähe von Limbé in Kamerun. Fischer hatten es gesichtet, als es in Flammen stand. Als sie zu dem Boot kamen, war es leer. Keine Besatzung, keine Fracht. Die Ursache des Brandes: Unklar. Alles, was man weiß: Das Boot kam aus Nigeria.

    Es geschieht Rätselhaftes in Westafrika. Es werden Dinge transportiert, die keiner sieht, von Menschen, die im Dunkeln bleiben. Schon seit langem schleusen Kriminelle Waffen, Medikamente und Zigaretten durch Afrika. Der Kokainschmuggel ist dagegen erst kürzlich auf die Bildfläche geraten.

    Die Vereinten Nationen schätzen, dass jedes Jahr Kokain im Wert von mindestens einer Milliarde US-Dollar von Südamerika durch Westafrika nach Europa gelangt. Und ein Land steht dabei besonders im Fokus: Guinea-Bissau. Die Hauptstadt Bissau erinnert mit ihren buntgetünchten, verwitterten Häusern ein bisschen an Havanna. Wie auf Kuba fahren uralte Autos über Straßen, die vor allem aus Schlaglöchern bestehen. Die Bars sind auch spätabends noch voll. Menschen prosten sich zu, auf Creole und auf Portugiesisch - und trinken Schnaps, der aus Cashewnüssen gebrannt wird. Guinea-Bissau ist ein Stück Karibik mitten in Afrika.

    Vor dem Großmarkt an der Avenida Amilcar Cabral hält eine neue, schwarzglänzende Mercedes-Limousine. Ohne Nummernschild. Marinegeneräle steigen aus, in leuchtend weißen Uniformen. Dieses Auto passt nicht nach Bissau, wo Neuwagen Mangelware sind. Es passt genauso wenig hierher wie die neuen, opulenten Luxusvillen. Bissau verändert sich. Und Padre Domingos Cá, der Generalvikar der Diözese, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus.

    "Der Drogenhandel ist deutlich sichtbar geworden. Das sind Leute, die man bis gestern noch kannte. Und die ganz plötzlich reich geworden sind. Wir nennen sie die 'Neuen Reichen von Bissau'. Man fragt sich schon, wie diese Leute zu Geld kommen konnten. Und da sprechen viele von Drogenschmuggel."

    Guinea-Bissau ist ein kleines Land, ungefähr so groß wie Belgien. Ein Staat mit gerade mal eineinhalb Millionen Einwohnern. Bis 1974 gehörte es zu Portugal – und heute zu den ärmsten Ländern der Welt. Ein Land, das offiziell vor allem vom Export von Cashew-Nüssen lebt. Doch das große Geld wird in Guinea-Bissau vor allem mit Kokain verdient.

    Auf diesem Gebiet kennt sich Lucinda Barbosa besonders gut aus. Sie ist Chefin der Kriminalpolizei. Ihr Büro befindet sich in einem gelben, baufälligen Haus im Zentrum der Hauptstadt Bissau. Zum Jobbeginn wurde ihr hier ein makabres Begrüßungsgeschenk vor die Tür gelegt: Die Leiche eines Kollegen. Irgendwann kamen dann die Morddrohungen. Doch das hat sie nicht abgeschreckt.

    "Gott gibt mir die Kraft für meine Arbeit. Ich habe als Bürgerin dieses Landes und gläubige Christin eine Mission zu erfüllen. Wenn ich zu lange über Bedrohungen nachdenken würde, dann könnte ich meine Arbeit nicht machen."

    Als Lucinda Barbosa vor vier Jahren anfing, hatte die Kripo gerade mal 60 Mitarbeiter. Nur die Hälfte der Beamten trug eine Waffe. Handschellen gab es bei der Polizei ebenso wenig wie Helikopter oder Flugzeuge. Die Polizei besaß ein funktionstüchtiges Boot und gerade mal zwei Dienstwagen. Im ganzen Land. Ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen spottete: Wenn in Bissau jemand verhaftet wird, muss er mit dem Taxi zum Kommissariat gefahren werden. 2007 sorgte der Kokainschmuggel erstmals für größere Schlagzeilen. Und seitdem bekommt sie internationale Hilfe – vor allem aus Portugal, Brasilien und den USA. Aber die Probleme bleiben.

    "Wir haben weiterhin nur wenig Personal und auch zu wenig moderne Technik, um wirkungsvoll zu ermitteln. Aber wir tun, was wir können. Wir hatten mit unseren beschränkten Mitteln relativ große Erfolge. Aber in dem Maße, in der wir den Kampf gegen den Drogenhandel verstärkt haben, haben auch die Drogenhändler ihre Methoden verfeinert. Und da kommen wir kaum gegen an."

    "Wir haben es hier mit unbegrenzten Ressourcen zu tun, sagt Manuel Pereira, Leiter der Zweigstelle des Büros der Vereinten Nationen für Drogen und Verbrechensbekämpfung."

    "Die Drogenhändler können ein Flugzeug verbrennen, wenn sie es nicht mehr brauchen. Und Beamte sehr leicht bestechen. Insbesondere in Ländern, wo die Bezahlung bei, sagen wir, einem Dollar pro Tag liegt. Was Menschen übrig bleibt, ist die Würde. Würde, um sich dem Drogenschmuggel zu widersetzen – trotz aller Armut. Oder dem Club beizutreten."

    Die UNO hat ihr Büro in Bissau 2008 geöffnet. Sie arbeitet mit Interpol und anderen Behörden zusammen, um dem Drogenschmuggel auf die Spur zu kommen. Offenbar mit Erfolg: Der "Club" der Drogenhändler wurde immer diskreter. Die Luxusautos verschwanden. Protzvillen wurden nicht weitergebaut, standen leer – oder wurden an Ausländer vermietet. Die Kokainfunde gingen zurück. Und Südamerikaner ließen sich nur noch selten in Bissau blicken.

    Erst recht nach dem Vorfall auf dem Flugplatz von Bissau, im Sommer 2008. Spanische und US-amerikanische Ermittler stellten einen Jet aus Venezuela sicher. Angeblich war er mit einer halben Tonne Kokain beladen. Die drei Crew-Mitglieder aus Venezuela wurden verhaftet, ebenso wie drei lokale Polizisten und zwei Fluglotsen. Auf rätselhafte Weise aber verschwand das Kokain.

    Die Armee hatte das Flugzeug bewacht. Was viele in der Annahme bestärkte, dass das Militär den Drogenhandel von Guinea-Bissau organisiert. Im Fokus der Anschuldigungen steht Admiral José Americo Bubunachuto, kurz Bubu, der Chef der Marine. Die US-Botschaft in Dakar bezeichnete ihn offiziell als "Drogenbaron". Bubu wies die Anschuldigungen zurück. Seine Marine kontrolliert die Wasserwege von Guinea-Bissau, auch die Gewässer um die vielen kleinen unzugänglichen Inseln vor der Küste. Manuel Pereira von den Vereinten Nationen:

    "Die Inseln sind wirklich ein großes Problem. Dort gibt es keine Sicherheitskräfte. Da sind nur ein paar Polizisten auf der Insel Bubaque – ab das ist es auch. Sie haben keine Boote, mit denen sie die Gewässer kontrollieren können. Und wir sprechen hier von über 80 Inseln, von denen nur 20 bewohnt sind! Es gibt Landebahnen, wo die Kleinflugzeuge landen können. Hier können die Drogen dann auf andere Flugzeuge oder Schnellboote verladen werden - ohne Kontrollen befürchten zu müssen."

    Es gibt mehrere Wege, um die Drogen nach Europa zu schleusen. Kleine Mengen werden von Passagieren im Flugzeug transportiert. Auch gelangt Kokain über den Landweg via Nordafrika nach Europa. Ein besonders wichtiger Transportweg dürfte aber tatsächlich übers Meer gehen. Experten mutmaßen, dass größere Mengen in europäischen Fischtrawlern nach Spanien oder Portugal transportiert werden. Der Fischgeruch verhindere, dass Spürhunde die Drogen schnüffeln können. Und außerdem sei es aufwendig und teuer, solche Schiffe auseinanderzubauen.

    Fakt ist: Alle Informationen zum Drogenschmuggel sind mit Vorsicht zu genießen. Denn sie lassen sich nur schwer überprüfen. Wie effektiv die Regierung gegen den Drogenschmuggel vorgeht, lässt sich aber leicht überprüfen: In Catió, einer Kleinstadt im Osten des Landes.

    Auf der alten Landebahn am Stadtrand liegen Baumstämme auf dem Asphalt. Alle 50 Meter einer. Sie sollen die Drogenflugzeuge aus Amerika davon abhalten, hier zu landen - ein Beweis dafür sein, dass die Regierung es ernst meint mit dem Kampf gegen die Drogenmafia.

    Wenn die Drogenflugzeuge kommen, alle paar Wochen gegen vier Uhr morgens, dann räumen ein paar Jungs aus dem Dorf die Stämme einfach zur Seite. Und helfen anschließend beim Verladen der Drogenpakete auf die Boote, die am nahegelegenen Fluss andocken. Dafür bekommen sie 20.000 Francs auf die Hand, heißt es. 30 Euro. Das ist in Catió eine ganze Menge Geld.

    Die Landebahn einfach zu zerstören und damit unbrauchbar zu machen – soweit wollte die Regierung dann doch nicht gehen.

    Das Leben ist nicht einfach in Catió. Die meisten Menschen leben von ihrem Gemüsegarten oder vom Fischfang. Auf dem verwaisten Dorfplatz, neben der verwitterten portugiesischen Kirche, wartet ein Wunderheiler aus Nigeria auf Kunden. Das verlassene, grün gestrichene Gebäude daneben weist sich als "Bar Paris" aus. Eine Ziege, die davor grast, scheint die einzige Besucherin zu sein.

    Wer lange in Catió lebt, kann tatsächlich auf trübe Gedanken kommen: Arbeitslosigkeit, Armut, Misere bestimmen das Leben der Stadt. Catió ist ein verlassenes Nest, in dem die Armut groß ist - und die Hoffnung gering. Wo jene den Ton angeben, die Geld haben. Und Geld lässt sich vor allem mit dem Drogenhandel verdienen.

    Amiva Gomes wird wütend, wenn sie über die Verhältnisse in Catió redet. Sie ist gerade mal 16, spricht aber schon mit dem Sarkasmus einer Erwachsenen.

    "Eines unserer größten Probleme hier ist der Druck der anderen. Wenn ein Mädchen sich besonders gut anzieht, dann wollen andere das auch. Alle Mädchen wollen sich die Haare schön machen, feine Klamotten tragen. Aber das ist schwer - denn es ist teuer. Da muss man sich eben so einen reichen Typen angeln. Ich finde das furchtbar."

    "Es ist so schwer, so ermüdend, hier zu leben. Alle Jugendlichen wollen weg. Es gibt nichts. Keine Straßen, keine guten Schulen. Politiker kommen nur im Wahlkampf her, anschließend vergessen sie uns. Alle Jugendlichen wollen weg."

    "Die Bevölkerung zeigt Anzeichen der Resignation. Man nennt das in der hiesigen Sprache, dem Creole, "Djitukatem". Diesen Ausdruck kennt hier jeder. Er bedeutet: Es gibt keinen Weg, die Dinge zu ändern. Da bleibt einem nichts übrig, als die Arme zu senken."

    Fafali Koudawo ist Dekan der Privat-Universität "Colinas do Boé" in Bissau. Gelehrte wie er sind rar in dem Land, dessen Bevölkerung zu mindestens 60 Prozent Analphabeten sind. Koudawo kommt aus Togo und gilt als einer der besten Kenner des Landes. Der Grund für die Resignation sei das Versagen der Politiker, sagt er. Denn die Guineer hätten jeden Glauben an sie verloren.

    Die Geschichte der Politik in Guinea-Bissau ist eine Geschichte der Gewalt. Seit jeher ringen Politiker und Militärs um die Macht in dem Staat. Politische Konflikte werden oft nicht mit Worten ausgetragen, sondern mit Waffen. Nicht demokratische Wahlen brachten neue Führer an die Macht, sondern Staatsstreiche. Politiker wurden verhaftet, verschleppt, ermordet. Staatsgründer Amilcar Cabral wurde ebenso umgebracht wie der Präsident Nino Vieira. Er regierte Guinea-Bissau mit Unterbrechungen über 25 Jahre lang. Fafali Koudawo:

    "Das Land ist durch Gewalt zur Unabhängigkeit gekommen. Und nicht durch Debatten, wie etwa der Senegal. 38 Jahre später sind in dem Land noch immer nicht alle offenen Rechnungen aus dem Krieg beglichen. Es gibt eine Tradition von Hass und Gewalt. Seit 40 Jahren hat Gewalt die Elite dieses Landes hervorgebracht!"

    Diese Elite hat über Jahrzehnte vor allem von Staatsgeldern gelebt. Viele haben sich illegal daran bereichert. Das Geld kam auch aus den Industrieländern. Guinea-Bissau war zeitweise eines jener Länder, die den höchsten Pro-Kopf-Anteil an Entwicklungshilfe hatten.

    "Diese Entwicklungsgelder wurden von der Elite abgeschöpft. Es wurde in Luxusvillen investiert – und nicht etwa in eine nachhaltige Entwicklung. Das hat die Geldgeber irgendwann genervt. Nach dem Ende des Bürgerkriegs, Anfang dieses Jahrtausends, wurde die Hilfe zurückgefahren. Die Elite musste sich aber irgendwie weiter finanzieren – also hat sie sich andere Einkommensquellen gesucht."

    Die politische Elite hat die Türen für den Drogenschmuggel geöffnet. Aber sie brauchte dafür auch die Elite des Militärs. Die Generäle fanden zunehmend Geschmack an dem Geschäft mit dem Kokain - und haben schließlich selbst die Regie übernommen.

    Kein Wunder, dass viele Guineer sich angewidert von der Politik abwenden und die Hoffnung auf eine Besserung der Verhältnisse verloren haben. Aber nicht alle sind von der "Djitukatem", der Resignation, ergriffen worden. Nicht alle glauben, dass sich nur mit Drogen Geld verdienen lässt. Es gibt auch jene, die optimistisch sind – trotz allem. Und die anpacken wollen, damit Guinea-Bissau eine bessere Zukunft hat.

    Die Clique der Weltverbesserer trifft sich in der Pizzeria. 15 sind sie, alle zwischen 20 und 30 Jahre alt. Und wenn alles gut läuft, dann sitzt hier in der Pizzeria die künftige Elite von Guinea Bissau.

    "Rotaract" heißt die Jugendorganisation des Rotary Clubs. Sie organisiert Benefizveranstaltungen, Hilfskampagnen, Aktionstage in Schulen – auch zum Thema Drogen. Aber es geht um mehr als nur um Wohltätigkeitsarbeit, sagt Wirtschaftsstudent Domingo:

    "Wir wollen die künftigen Führer des Landes ausbilden. Damit diese dazu beitragen können, eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen."

    Viele der Mitglieder von Rotaract haben im Ausland studiert. Sie sind zurückgekommen – und wollen sich nun gegenseitig unter die Arme greifen, um gemeinsam das Land nach vorne zu bringen und es nicht den Drogenbaronen zu überlassen. Juelma hat in Frankreich Marketing studiert. Ihre Zukunft sieht sie nicht auf einer schicken Avenue von Paris – sondern in den staubigen Straßen von Bissau.

    "Ich bin in Europa nicht "nützlich". Europa ist gut entwickelt, Afrika nicht. Mein Know-how wird hier gebraucht! Ich habe mir gesagt: Ich muss meinen Beitrag leisten – egal, bei welcher Bezahlung, selbst, wenn ich erst einmal Straßen kehren muss!"

    Auch für Aissa war es keine Frage, zurück in die Heimat zu gehen. In Brasilien hat sie Management studiert – und sich auf Marketing in armen Ländern spezialisiert. Es sei in Brasilien toll gewesen, sagt sie. Immer hätten sie Strom und fließend Wasser gehabt.

    Und doch war auch für Aissa klar: Sie muss zurück, um ihren Landsleuten die Augen zu öffnen. Sie hat die Gruppe Rotaract gegründet. Mobilität ist für Aissa der Schlüssel zur Entwicklung:

    "Manchmal spreche ich mit Menschen, die Guinea Bissau nie verlassen haben. Sie denken, die ganze Welt sei wie hier! Sie verstehen nicht, wenn ich ihnen sage, dass manche Dinge nicht richtig sind oder besser sein müssen – und sagen: Warum sollten wir eigentlich dieses oder jenes ändern? Aber wenn man mit ihnen spricht, verstehen sie, warum. Schließlich will jeder besser leben, zum Beispiel mehr Komfort, mehr und bessere Lebensmittel haben."

    Auch Aissa hat Glück gehabt. Ihr Vater Abdulai Sila konnte ihr das Studium in Brasilien finanzieren. Abdulai hat noch in der DDR studiert und leitet heute ein Internetunternehmen in der Hauptstadt Bissau.

    Er hat es nicht leicht gehabt in seiner Heimat, kann ein Lied singen von Korruption, Intransparenz und Missmanagement. Die Zukunft des Landes liegt für ihn bei den Weltverbesserern aus der Pizzeria, den gut ausgebildeten Heimkehrern, den Mutigen, die an ein neues Guinea-Bissau glauben. An ein Guinea-Bissau jenseits von Drogenschmuggel und Entwicklungshilfe.

    "Die Hoffnung ist die Jugend. Sie ist sich jeden Tag bewusster, dass man hier etwas ändern muss. Dieser Wandel wird nicht durch die sogenannte politische Klasse geschehen, die wir derzeit haben. Er wird von der Jugend kommen, von jenen, die ihre Hände noch sauber haben."