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Vor 100 Jahren in Indien
Das Massaker von Amritsar

Das Massaker markiert den Anfang vom Ende der britischen Kolonialherrschaft in Indien: Am 13. April 1919 schossen im nordindischen Amritsar britische Soldaten minutenlang auf friedliche Demonstranten – darunter Kinder und Frauen. Hunderte Menschen starben, mehr als tausend wurden verletzt.

Von Otto Langels | 13.04.2019
    Besucher schauen auf ein Gemälde, das das Massaker im Park Jallianwala Bagh in Amritsar am 13. April 1919 darstellt.
    Eine Darstellung des Massakers in der Gedenkstätte im Park Jallianwala Bagh (imago/Hindustan Times)
    "We must have the courage to take their anger." - Ein Ausschnitt aus dem Spielfilm "Gandhi" von Richard Attenborough. Das preisgekrönte Werk aus dem Jahr 1982 erzählt die Lebensgeschichte des indischen Unabhängigkeitskämpfers Mahatma Gandhi. In einer Szene ist zu sehen, wie britische Soldaten auf friedlich protestierende Inder schießen. Der Vorfall aus dem Jahr 1919 ging als "Massaker von Amritsar" in die Geschichte ein.
    Aufstände gegen die britischen Kolonialherren
    "Fire!" - Während des Ersten Weltkriegs hatte die britische Regierung den Ausnahmezustand in Indien verhängt, um Aufstände in den Provinzen Bengalen und Punjab brutal niederzuschlagen und unter Gewaltandrohung massenhaft Soldaten für die britisch-indische Armee rekrutieren zu können. Nach dem Krieg verlängerte die Kolonialmacht den Ausnahmezustand auf unbestimmte Zeit und kündigte Anfang 1919 weitere Gesetze an, die die Inhaftierung indischer Politiker und willkürliche Hausdurchsuchungen erlaubten.
    Die Unabhängigkeitsbewegung reagierte darauf mit Protesten, Mahatma Ghandi rief Anfang April zu einem Generalstreik auf. In Amritsar, wo die Briten prominente Lokalpolitiker verhaftet hatten, kam es zu Ausschreitungen. Dutzende Demonstranten wurden erschossen, ein wütender Mob tötete mehrere Ausländer.
    10.000 friedliche Demonstranten in Amritsar
    Der Gouverneur der Provinz Punjab, Michael O’Dwyer, verhängte daraufhin das Kriegsrecht über die Region im Norden Indiens: "Es werden keine Prozessionen oder Menschenaufläufe erlaubt. Alle Versammlungen sind zu beschießen." Eine britische Einheit unter Brigadegeneral Reginald Dyer sollte in der Stadt die Ordnung wiederherstellen.
    Am 13. April 1919 versammelten sich mehr als 10.000 Inder im Jallianwala Bagh, einem fast vollständig von Mauern umgebenen Park. Obwohl die Demonstranten sich friedlich verhielten, befahl Dyer zu schießen. Seine Soldaten feuerten minutenlang auf die unbewaffnete Menge, darunter auch Frauen und Kinder. Zurück blieben 379 Tote und 1.200 Verletzte.
    Anfang vom Ende der Kolonialherrschaft
    Dyer rechtfertigte sich später vor einem Untersuchungsausschuss: "Ich halte es für durchaus möglich, dass ich die Versammlung aufgelöst haben könnte, ohne zu schießen. Wahrscheinlich wären sie dann zurückgekehrt und hätten mich ausgelacht, und ich war nicht bereit, mich dazu zu machen, was ich als ‚lächerlich‘ einstufe."
    Ein Mann schaut auf Einschusslöcher in einer Wand im Park Jallianwala Bagh (Amritsar), in dem am 13. April 1919 britische Truppen ein Massaker verübten
    Zeugen des Massakers: Einschusslöcher in einer Wand im Park Jallianwala Bagh (imago/Hindustan Times)
    Das Massaker markierte den Anfang vom Ende der britischen Kolonialherrschaft in Indien. Nach gewalttätigen Protesten rief Mahatma Gandhi zum zivilen Ungehorsam auf: Britische Einrichtungen wie Schulen, Behörden und Gerichte wurden ebenso boykottiert wie britische Produkte und Wahlen.
    Der spätere Premierminister Winston Churchill bemerkte zu dem Massaker von Amritsar: "Der Vorfall in Jallianwala Bagh war ein außergewöhnliches Ereignis, ein monströses Ereignis, ein Ereignis, das in einzigartiger und unheilvoller Art und Weise für sich selbst steht."
    Späte Rache eines Überlebenden
    Es blieb jedoch nicht bei gewaltfreien Protesten gegen das Kolonialregime. Udham Singh hatte als 19-Jähriger das Massaker von Amritsar überlebt. Er erschoss 1940 in London Michael O’Dwyer, den ehemaligen Gouverneur des Punjab.
    Im Prozess erklärte Singh: "O’Dwyer war der eigentlich Verantwortliche. Er wollte den Geist meines Volkes brechen, also vernichtete ich ihn. Seit 21 Jahren habe ich versucht, Vergeltung zu üben. Ich habe mein Volk in Indien unter den Briten hungern sehen. Ich habe dagegen protestiert, das war meine Pflicht."
    Singh wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet. Dagegen musste sich kein Brite für das Massaker strafrechtlich verantworten.
    Keine Entschuldigung aus Großbritannien
    Im Jahr 1997 besuchte Königin Elisabeth II. Amritsar. Der Besuch des britischen Oberhaupts illustrierte den schwierigen Umgang Großbritanniens mit der eigenen Kolonialgeschichte. Königin Elisabeth ließ erklären:
    "Es ist kein Geheimnis, dass es in unserer Vergangenheit schwierige Momente gab – Jallianwala Bagh ist ein bedauerliches Beispiel. Aber Geschichte kann nicht umgeschrieben werden, so sehr wir es uns auch manchmal wünschen."
    Als Premierminister David Cameron 2013 Amritsar besuchte, nannte er das Massaker ein "zutiefst beschämendes Ereignis der Geschichte Großbritanniens." Weder er noch die Königin fanden Worte der Entschuldigung.