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Schneider: Europa muss solidarisch füreinander einstehen

Die Alternative zu einer gemeinschaftlichen Haftung in Europa, sei eine Abwicklung des Euro und eine Renationalisierung, sagt Carsten Schneider. Es sei deshalb sinnvoll, die nationale Souveränität über die Haushaltspolitik ein Stück weit an die EU zu übertragen, ergänzt der haushaltspolitische Sprecher der SPD.

Carsten Schneider im Gespräch mit Bettina Klein | 07.08.2012
    Bettina Klein: Und am Telefon begrüße ich Carsten Schneider von der SPD, er ist haushaltspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Schneider!

    Carsten Schneider: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Ja, was glauben Sie, wenn wir die Äußerung von Herrn Döring gerade aufnehmen, wie viel Erfolg werden Sie haben bei den deutschen Wählern, die dann in einer Volksabstimmung über eine Haftungsgemeinschaft in Europa entscheiden sollen?

    Schneider: Ja, es gibt eine klare Entscheidungsgrundlage, um die sich ja die Regierung bisher drum herumdrückt: Entweder bleibt es bei Europa, das sich den Märkten gegenüberstellt, dann aber auch solidarisch füreinander einsteht – das bedeutet, darüber muss der Bundestag und am Ende eine Volksabstimmung geben –, oder wir machen eine Rückabwicklung des Euro und machen eine Renationalisierung der gesamten Politik in Europa.

    Klein: Meine Frage, Herr Schneider, war: Rechnen Sie damit, dass die deutschen Bürger und Wähler da ja sagen werden zu dem gerade von Gabriel und den beiden Philosophen und dem einen Ökonomen vorgestellten Modell?

    Schneider: Ja, wenn sie sich wirklich ernsthaft, wir darüber eine Debatte führen, wie wir aus diesem reinen Krisenmodus seit fünf Jahren herauskommen, der keine Lösung gibt, dann bin ich der Auffassung, dass wir uns als SPD, aber auch als Gesellschaft, wirklich dieser Debatte stellen und dann die Bevölkerung entscheiden lassen, und dann wird man das sehen. Und ich bin da ganz optimistisch, wenn die Leute selbst entscheiden müssen, wie es mit ihnen weitergeht, dass sie dann auch für ein Europa stimmen, das nicht von den Märkten dominiert wird.

    Klein: Aber schon eine interessante Frage, die heute früh auch aufgeworfen wird: Was, wenn die Deutschen dazu Nein sagen?

    Schneider: Ja, dann ist Schicht.

    Klein: Das heißt, Ende vom Euro und von der Europäischen Union gleich mit?

    Schneider: Ja, ich gehe davon aus, dann ist es mit dem Euro letztendlich vorbei, und sie müssten die gesamte Wirtschafts- und Finanzpolitik im Zuge dessen rückabwickeln, die Ressentiments in den Ländern stiegen, die Wirtschaftsleistung würde sinken und die Arbeitslosigkeit steigen. Das sind die Alternativen, die auf dem Tisch liegen, und ich finde, es ist nicht mehr hinnehmbar, dass die Deutschen da von der Bundesregierung an der Nase herumgeführt werden. Wenn ich das von der FDP höre, dann muss ich Ihnen ehrlich sagen, wird mir schummerig. Denn die Vergemeinschaftung der Schulden haben wir schon längst durch die Politik der Europäischen Zentralbank, was ja auch billigend und zustimmend von Herrn Schäuble in Kauf genommen wird. Das ist also gar nicht mehr die Alternative – das gibt es schon längst, und ich finde einfach diese Unehrlichkeit in dieser entscheidenden Debatte, wie es mit Europa und Deutschland weitergeht, die macht mich ganz kirre, und ich finde, da müssen die Deutschen letztendlich das letzte Wort drüber haben.

    Klein: Sagen wir mal so, Herr Schneider: Also der eine Ökonom, der sich jetzt zu Wort gemeldet hat, ist Peter Bofinger, und der vertritt ja auch nur eine Meinung von Volkswirtschaftlern, die wir im Augenblick hören. Es gibt auch Ökonomen, die ganz andere Meinungen vertreten und davor ausdrücklich warnen. Also können Sie das sozusagen als letzte Weisheit verkaufen, was wir jetzt sozusagen als einen Beitrag zum SPD-Programm lesen durften?

    Schneider: Ja, der Herr Bofinger ist Mitglied des Sachverständigenrates der Wirtschaftsweisen und der setzt ja auch auf den Vorschlag des Sachverständigenrates, einen Schuldentilgungsfonds – von allen fünf Wirtschaftsweisen vorgeschlagen – aufzusetzen. Das heißt, Abgabe von nationaler Autonomie, den Fehler des Euro, eine Währung zu haben, aber jedes Land kann machen, was es will, also Unabhängigkeit der nationalen Finanzpolitik, den zu beheben. Und es geht nur, indem Sie entweder den Euro abwickeln und rückabwickeln und zu den Währungen zurückgehen, oder, indem Sie – und das ist, ja der erste und wichtigste Schritt – indem Sie die nationale Souveränität über die Haushaltspolitik ein Stück weit nach Europa delegieren, in dem Sinne, dass noch nicht gesagt wird, wofür geben Sie das Geld aus, aber dass die Obergrenzen für die Verschuldung dann tatsächlich gelten und dass es auch durchsetzbar ist. Wenn ich das sehe bei Griechenland, aber auch anderen Ländern, die jetzt Geld bekommen haben, Spanien – wir haben doch gar keine Eingriffsmöglichkeiten in die nationale Politik, und deswegen ist es ja auch dieses Katz-und-Maus-Spiel, was da stattfindet, und der Schein der Bundesregierung, sie würden irgendwelche Konditionen noch den Ländern auferlegen können, das ist ja eine Illusion. Im Endeffekt, wenn es nicht so passiert, wie wir als SPD vorschlagen, dass wir eine Vergemeinschaftung der Finanzpolitik bekommen, dann wird die Europäische Zentralbank ohne Kondition und ohne eine demokratische Legitimation, das machen dann die Herren in Nadelstreifen in Frankfurt, die die Schuldenpresse anwerfen. Und das nimmt Frau Merkel in Kauf, und das akzeptieren wir nicht.

    Klein: Herr Schneider, die Vergemeinschaftung der Haushalts- und Finanzpolitik in Europa geht nur über eine Grundgesetzänderung. Das ist ja in dem Papier, dass Herr Gabriel initiiert hat, ja auch deutlich erkennbar. Ist das nicht eine heikle Angelegenheit, ans Grundgesetz ranzugehen? Es wird gerade dabei auch davor gewarnt, dass man sozusagen in anderen Fällen ja immer gesagt hat, das ist unser höchstes Gut in der Bundesrepublik Deutschland, das Grundgesetz, und jetzt sagen wir, das können wir eigentlich leichtfertig aufs Spiel setzen. Niemand weiß, welche Forderungen dann noch kommen werden.

    Schneider: Also ich finde, man hätte in Deutschland schon mit dem Wiedervereinigungsprozess ein neues Grundgesetz, eine Verfassung geben müssen. Das hätte den Ostdeutschen auch die Möglichkeit gegeben, ein bisschen was von ihrer Lebenserfahrung mit einzubringen, da ist dann was verpasst worden. Im Zuge dessen ist dann aber die europäische Vereinigung vertieft worden über die Wirtschafts- und Währungsunion, ohne dass das Grundgesetz angepasst wurde. Ich finde, die Deutschen müssen die Chance haben, positiv oder auch negativ letztendlich abzustimmen. Das ist eine der grundlegenden Fragen, welche Rolle Europa mit seinen Werten in der Welt noch spielt, und das, finde ich, muss die Bevölkerung beschließen, und ich habe überhaupt keine Angst davor.

    Klein: Aber die nationalen Parlamente würden dadurch ein Stück weit entmachtet, und die Frage ist ja, wodurch soll das ersetzt werden. Welche Vorstellung haben Sie denn, welche Kontrollmechanismen und welche parlamentarischen Gremien auf europäischer Ebene künftig zuständig sein werden und auch Entscheidungen legitimieren werden?

    Schneider: Ja, in der Krise liegt eine Chance, die Chance ist, Europa jetzt wirklich demokratisch stärker zu legitimieren. Das, was wir bisher haben, ist nicht akzeptabel.

    Klein: Ja, wie genau?

    Schneider: Das Europäische Parlament hat ja viele Rechte nicht, die der Bundestag oder klassischerweise ein nationales Parlament hat, beginnend vom Budgetrecht, aber vor allen Dingen das Initiativrecht, selbst Gesetze einzugeben, aber auch eine Regierung zu bestellen. Denn das Desaster ist doch, dass die Kommission – da sitzen ja 27 Kommissare, die Sie im Einzelnen wahrscheinlich gar nicht kennen, ich auch nicht, die aber gar nicht gewählt werden vom Parlament und damit vom Volk, sondern von den nationalen Regierungen. Und Sie haben dann eben so Ergebnisse, dass Herr Oettinger dann da eben Kommissar wird, und ich finde das nicht sehr überzeugend.

    Klein: Was schwebt Ihnen denn vor, Herr Schneider, noch mal konkret nachgefragt? Das Europaparlament mit mehr Befugnissen auszustatten oder zum Beispiel eine zweite Kammer für die Eurozone einzurichten? Auch diesen Vorschlag gibt es ja bereits.

    Schneider: Ja, beides hat Charme. Die Frage, was sie als Erstes durchsetzen können, ob auch in den anderen nationalen Ländern – die Franzosen sind ja, was die Abgabe von nationaler Autonomie betrifft, sehr zurückhaltend –, ob es dafür Mehrheiten gibt. Aber ich kann mir sowohl vorstellen für die im Bereich der Eurozone eine eigene Kammer aus nationalen Abgeordneten zu bilden, weil wir ja eh die Situation haben, es gibt die EU-27 und die 17, die den Euro haben, mit den divergierenden Interessen dort, das wäre eine Möglichkeit. Die Beste ist allerdings ganz klar, dass sie einen neuen Vertrag auf europäischer Ebene bekommen mit einem europäischen Parlament, das gewichtet nach den Köpfen – one man, one vote – dieses Prinzip auch tatsächlich wiedergibt, und nicht so, wie es derzeit ist, und dann aber auch die Regierung tatsächlich wählt. Das ist die Chance, die ich darin sehe, Europa demokratischer zu machen, und damit aber auch spannender, interessanter.

    Klein: Und Sie hätten keine Probleme damit, Herr Schneider, Kompetenzen, Befugnisse als Abgeordneter des Deutschen Bundestages abzugeben.

    Schneider: Nein, hätte ich nicht, wenn klar ist, das ist genau so demokratisch legitimiert, dass das Europäische Parlament diese Dinge wahrnimmt, und nicht, wie wir das jetzt erleben, so eine Troika von irgendwelchen Leuten aus der EZB und der Kommission, die ich als Abgeordneter nicht mal zitieren darf, also befragen darf noch sonst irgendwas, die aber letztendlich maßgebliche Entscheidungen für ganz Europa treffen. Das ist doch ein unhaltbarer Zustand, und ich finde, der muss beendet werden.

    Klein: Der SPD-Haushaltspolitiker Carsten Schneider war das heute Morgen im Interview mit dem Deutschlandfunk. Danke Herr Schneider und auf Wiederhören!

    Schneider: Danke auch, tschüss!


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