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Schnelle Evolution
Neue Groppen im Rhein

Bis eine neue Tier- oder Pflanzenart entsteht, gehen normalerweise Millionen Jahre ins Land. Doch wenn sich zwei nah verwandte Arten zusammentun und eine neue Art bilden, kann es auch viel schneller gehen. Wie bei den Hybrid-Groppen, die sich in nur 200 Jahren an das Leben im Rhein angepasst haben.

von Michael Lange | 14.06.2019
Ein Groppen-Männchen bei der Brutpflege.
Groppen im Rhein sind Hybride, d. h. Mischlinge aus zwei unterschiedlichen Groppen-Spezies (Foto: Andreas Hartl )
In einem Container in einem Innenhof der Universität Oldenburg steht ein Aquarium neben dem anderen. Darin zwischen Steinen und Tonscherben bewegen sich langsam etwa daumengroße Fische, so genannte Groppen.
"Das sind am Boden lebende Fische. Sie haben einen abgeflachten, breiten Körper, große Augen ein breites Maul und sitzen am Gewässergrund, wo sie sich räuberisch von Kleintieren ernähren."
Kaltwasserfisch im warmen Rhein
Vor über zwanzig Jahren wurde die Groppe zum Forschungsthema von Arne Nolte. Heute leitet er als Professor eine Arbeitsgruppe für "Ökologische Genomik" an der Universität Oldenburg. Damals war einigen Fachleuten aufgefallen, dass Groppen, die eigentlich kaltes Wasser bevorzugen, plötzlich im warmen Wasser des Niederrheins auftraten.
"Es war also das Phänomen, dass ein Fisch in einem Fluss auftauchte, wo er nicht hingehört. Die Groppe galt bis dahin als Charakterart von kalten Forellenbächen. Und der Rhein ist alles andere als sein kalter Forellenbach."
Inzwischen kennt Arne Nolte die Ursache für die überraschende Beobachtung. Die Groppen im Rhein sind Hybride. Mischlinge aus zwei unterschiedlichen Groppen-Spezies. Beide Ursprungsarten leben im Kaltwasser. Die eine stammt aus den Zuflüssen der Schelde in Belgien und den Niederlanden. Die andere aus rechtsrheinischen Flüssen in Deutschland.
Kanäle führten Groppenarten zueinander
Die beiden Spezies trafen vermutlich aufeinander, nachdem vor etwa 200 Jahren Kanäle gebaut wurden, um den Hafen von Antwerpen an den Rhein anzubinden. So entstand eine Verbindung zwischen Schelde und Rhein.
"Das wirklich spannende an diesem Muster ist, dass es nicht einfach nur zu einer Vermischung verschiedener Groppenarten kam, sondern dass die Mischlinge nicht erfolgreich sind in den Lebensräumen, wo die Elternarten leben, in den Bachläufen, sondern die Mischlinge oder Hybride haben sich ausgebreitet in großen Flüssen wie dem Rhein oder dem Ijsselmeer, was ja an den Rhein angeschlossen ist, und sind jetzt ökologisch erfolgreich in Bereichen, wo die Elternarten nicht leben können."
Hybride sind Ursprungsarten äußerlich sehr ähnlich
Äußerlich sind die Hybride und damit auch die neue Spezies, die Rhein-Groppe, kaum von den Ursprungsarten zu unterscheiden. Aber ihre Erbanlagen sind eine einzigartige Mischung aus zwei Arten. So kann Neues entstehen, erläutert Arne Nolte.
"Wir gehen nämlich davon aus, dass durch die Hybridisierung genetische Merkmale neu kombiniert werden und dass diese neuen Merkmale vielleicht der Schlüssel dafür sind, dass die entstehenden Hybridlinien sich an veränderte Umwelten anpassen können."
Die Unterschiede der neuen Art zu den Elternarten liegen im Stoffwechsel. Der hat sich in gerade einmal 200 Jahren an das Leben im Rhein angepasst: An höhere Wassertemperaturen, nährstoffreiches Wasser und an die Belastung mit Schadstoffen.
Gleiche Erbinformation wird anders ausgelesen
Durch Untersuchungen des Erbguts der Fische will Arne Nolte herausfinden, wie die Groppen diese Anpassung so schnell schaffen konnten.
"Da die Hybride relativ jung sind, nur ein paar hundert Generationen, haben sie keine neuen Gene entwickelt, die bei den Eltern nicht vorhanden sind. Die Unterschiede müssen darin liegen, wie die Erbinformation ausgelesen wird. Welches Gen wann angeschaltet wird und wie doll es angeschaltet wird, um seine Wirkung im Organismus zu entfalten. Darin liegen die Unterschiede."
Die Grundlage für das Leben der Groppen im Rhein war bereits in den Elternarten vorhanden. Durch die Vermischung und die Herausforderung des Lebens in der neuen ökologischen Nische kamen sie zur Entfaltung. Arne Nolte sieht darin keinesfalls eine biologische Kuriosität, sondern einen wichtigen Mechanismus der Evolution.
Hybridisierung ist möglicherweise häufiger als gedacht
"Wir gehen davon aus, dass Hybridisierung viel weiter verbreitet ist, als man das bisher vermutet. Und das liegt daran, dass man einfach noch nicht genau genug nachgeschaut hat in vielen Systemen."
Möglicherweise leben viele neue Arten um uns herum, ohne dass wir sie bemerken. Sie müssen mit den Umweltveränderungen klarkommen, die der Mensch verursacht. Und manchmal schaffen sie es auch.