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Schnelle Hilfe

Medizin. - Kokain ist weltweit auf dem Vormarsch. Viele Kokser landen regelmäßig mit einer lebensgefährlichen Kokain-Überdosis in der Notaufnahme. Dort bleibt den Ärzten oft nichts anderes übrig als den Patienten zu stabilisieren und abzuwarten, bis sein Körper mit der Droge alleine fertiggeworden ist. Ein Forscherteam von der Universität von Michigan haben ein Medikament entwickelt, das den Abbau beschleunigt. Auf der Jahrestagung der Amerikanischen Gesellschaft für Pharmakologie in Anaheim wurde es vorgestellt.

Von Marieke Degen | 30.04.2010
    Es gibt Bakterien, die sich einen besonders anregenden Platz zum Leben ausgesucht haben – im wahrsten Sinne des Worts. Sie gedeihen an den Wurzeln von Cocasträuchern. Kokain ist ihr Lebenselixier, es liefert ihnen Nährstoffe zum wachsen. Dafür müssen sie das Kokain schnell abbauen, und das können sie – mit Hilfe eines besonderen Enzyms, der Kokain-Esterase. Das hat Remy Brim und ihre Kollegen von der Universität in Michigan auf eine Idee gebracht.

    "Wir dachten uns: Aus diesem Enzym könnte man vielleicht ein Medikament entwickeln, mit dem man eine Kokain-Überdosis behandeln kann."

    Ein Medikament gegen Kokainvergiftungen, so etwas gibt es bislang nicht. In der Notaufnahme bleibt Ärzten nichts anderes übrig, als den Patienten zu stabilisieren und abzuwarten, bis der Körper die Droge von alleine abgebaut hat. Und das kann dauern, stundenlang. In der Zwischenzeit wirken das Kokain und seine Abbauprodukte weiter. Sie bringen das Herzkreislaufsystem durcheinander, schädigen die Leber und das Gehirn. Für einige endet der Drogenrausch tödlich. Das Bakterienenzym aber könne das Kokain viel schneller unschädlich machen und körperlichen Schaden abwenden, sagt Remy Brim.

    "Die Kokain-Esterase zerlegt Kokain in genau die gleichen Bestandteile wie der menschliche Körper – nur 1000 Mal schneller. Im Körper würden also keine anderen Abbauprodukte entstehen."

    Damit das Enzym beim Menschen aber überhaupt wirkt, mussten es die Forscher im Labor verändern. Das natürliche Bakterienenzym ist an die niedrigen Temperaturen in der Erde gewöhnt. Bei Körpertemperatur zerfällt es nach ein paar Minuten. Remy Brim und ihr Team haben das Enzym so umgebaut, dass es auch bei 37 Grad Celsius funktioniert. Dann haben sie das Mittel getestet, unter anderem an Ratten und Rhesusaffen.

    "Wir haben den Affen erst Kokain injiziert und dann das Enzym. Die Affen haben es gut vertragen, und es hat genauso gewirkt, wie wir uns das vorgestellt hatten: Die Kokainvergiftung hatten wir schnell im Griff, das Herzkreislaufsystem der Tiere hat sich rasch wieder erholt."

    Das Enzym wirkt auch dann noch, wenn neben Kokain noch Alkohol, Nikotin und sogar Morphium im Blut sind. Brim:

    "Diese Ergebnisse sind sehr vielversprechend. Ende des Jahres könnten wir mit Studien an Menschen beginnen, wir bereiten gerade den Antrag bei der zuständigen Behörde vor."

    Nur wenn Menschen das Mittel genauso gut vertragen, dann könnte es in einigen Jahren auf dem Markt sein. Notärzte würden sicher aufatmen. Kokser vermutlich auch. Vielleicht könnte die Hemmschwelle, Kokain zu nehmen, noch weiter sinken.

    "Darüber haben wir schon oft im Labor diskutiert. Aber ich denke, man muss das ganze aus der Perspektive der Familie und der Freunde des Süchtigen sehen. Wenn man ihm das Leben rettet, bekommt er die Chance, sich zu ändern."

    Eines, sagt Remy Brim, sei absolut klar: Mit dem neuen Medikament könne man nur eine Kokain-Überdosis behandeln. Aber nicht die Sucht.