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Schneller, früher, genauer

Evakuierung der Überlebenden, Rettung der Verletzen, Bergung der Toten - wenn ein Unglück geschieht, muss alles ganz schnell gehen. Eine Gruppe am Zentrum für interdisziplinäre Forschung in Bielefeld hat sich ein Jahr lang mit dem Thema Kommunikation im Katastrophenfall beschäftigt.

Von Katja Siebert, | 17.01.2011
    "Brisbane: Die Flut in der australischen Metropole hat ihren Höchststand erreicht. 150.000 Haushalte waren ohne Strom."

    Ohne Strom, das hieß für die betroffenen Menschen in Australien auch ohne die gewohnten Kommunikationsmittel zu sein. Fernsehen, Telefon und Handy - sie alle sind auf die Stromversorgung angewiesen. Der Soziologe und Katastrophenforscher Professor Wolf Dombrowsky:

    "Bei der Kommunikation ist es ein Problem, weil Mobiltelefone auf Transmitter-Stationen angewiesen sind und wenn die ausfallen, nützt auch das Notstromaggregat zu Hause nichts, mit dem man sein eigenes Gerät betreiben kann. Aber sich dann zu überlegen, ob es alternative Möglichkeiten gibt. Beispielsweise kommen mit einem Mal Amateurfunker in eine große Rolle, die sonst immer nur so herumreden und sagen: "Wie geht es Dir denn in Südamerika?" Und plötzlich ist das eine wichtige Infrastruktur, die wichtige Ersatzleistungen vornehmen kann."

    Denn die Funkfrequenzen beim Amateurfunk funktionieren ohne Transmitterstation. Und die Geräte selbst kommen auch mit Akkus aus – zur Not reicht sogar eine Autobatterie. Das ist ein Beispiel für Kommunikation in der Katastrophe. In Bielefeld befasst sich jetzt eine ganze Forschungsgruppe mit dem Thema. "Communicating Disaster" heißt sie und beschäftigt sich zum Beispiel auch damit, wie die Betroffenen am besten informiert werden können. In Australien haben viele der Menschen in den überfluteten Gebieten gar nicht gewusst, wie schlimm die Katastrophe wirklich ist und wollten ihre Häuser deshalb nicht verlassen.

    "Rockhampton "Aus Angst vor Plünderern harren die Einwohner der überschwemmten Küstenstadt in Australien in ihren Häusern aus. Die Polizei warnte, dass sie auch zwangsweise evakuiere, wenn die Sicherheit der Menschen nicht gewährleistet werden kann."

    Der Soziologe und Leiter der Forschungsgruppe "Communicating Disaster" Professor Jörg Bergmann:

    "Ich glaub, dass die Betroffenen in Australien oft in der Situation sind, dass sie über die Situation, in der sie sich befinden, relativ wenig wissen, während wir zum Beispiel, wenn wir es wollten, relativ viel über das Internet etc. über diese Katastrophe herausfinden könnten. Und das ist ja eine ganz paradoxe Situation, dass man als entfernter Mensch viel über die Katastrophe weiß und die Betroffenen wissen eigentlich relativ wenig."

    "Wenn Leute nicht wissen, was ihr Schicksal ist und wie lange das Bedrohliche dauert, werden sie sehr unruhig und sind anfällig sozusagen für Ärgernis und Ungeduld und wenn sie ein Lagebild haben, dann sind sie eher bereit durchzuhalten, ihre Kräfte zu nutzen und auch mal Unbequemlichkeiten gelegentlich in Kauf zu nehmen. Und das macht die Gesamtsituation besser."

    Professor Wolf Dombrowsky. Er gehört als Soziologe zu der Forschungsgruppe "Communicating Disaster". Er wird sich gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern aus den Sozialwissenschaften, den Geistes- und Naturwissenschaften und der Informatik mit der Kommunikation in der Katastrophe beschäftigen. Dabei geht es um ganz verschiedene Aspekte. Die Warnung der Bevölkerung zum Beispiel. Professor Jörg Bergmann:

    "Also eine Überlegung war, dass man statt der Sirenen so Kurz-SMS an bestimmte Leute schickt. Man muss ja auch bei solchen Warnungen überlegen, da darf ja niemand jetzt in hysterische Reaktionen hinein getrieben werden. Das heißt, man muss sehr sorgfältig überlegen, wie soll so eine Warnung aussehen? Soll das eine Information sein? Aber man weiß ja, dass in Katastrophensituationen bloße Informationen nicht einfach als Informationen wahrgenommen werden, sondern die werden ja gleich gedeutet. Da entstehen natürlich Gerüchte gleich, die sich ausbreiten – grad in so Situationen, wo es mangelnde Informationen gibt. Und das ist wiederum ein Thema für Kommunikationswissenschaftler – die Ausbreitung von Gerüchten."

    Ein anderes wichtiges Thema, das untersucht werden soll, sind die Medien.

    "Man muss ja sehen, dass Hilfsorganisationen im hohen Maße vom Spendenaufkommen abhängig sind. Aber Spendenaufkommen fließt nur, wenn Medienberichte entstehen. Also die Medien haben nicht nur eine Berichterstattungsfunktion, sondern auch die Funktion, entsprechende Spendenbereitschaft bei der Bevölkerung hervorzurufen, das ist ja auch ein sehr komplizierter wechselseitiger Abhängigkeitsprozess. Welche Rollen spielen da Medien?"

    "Sydney. Die Kirchen Australiens haben den Flutopfern in Queensland Hilfe und Solidarität zugesagt. Das kündigte der Nationale Kirchenrat an. Zugleich rief das Bündnis die Australier zu großzügigen Spenden auf."

    Für Australien sind die Überschwemmungen die teuerste Naturkatastrophe, die das Land je erlebt hat. Gerade wegen dieser riesigen Dimension sind die Überschwemmungen für die Forschungsgruppe ein wichtiges Beispiel. Professor Wolf Dombrowsky:

    "Wir haben es uns seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr getraut, zu schauen, was passiert, wenn eine ganze Gesellschaft lahmgelegt wird. Wenn der Strom von Nord bis Süd ausfällt, wenn keine Bahn mehr fährt, wenn kein Computerzentrum mehr funktioniert. Hier kann unsere Forschungsgruppe mit all ihren Disziplinen wirklich Maß nehmen und all ihr Wissen in einen Topf nehmen und Synergie-Effekte daraus ableiten."

    Ein Jahr lang werden die Wissenschaftler in Bielefeld forschen – und dabei auch mit Praktikern aus Hilfsorganisationen und vom Katastrophenschutz sprechen. So sollen am Ende des Forschungsjahres neue Erkenntnisse über die Kommunikation bei Katastrophen stehen. Damit bei kommenden Katastrophen mehr Menschenleben gerettet werden können.