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Schnüffeln statt Büffeln

Software.- Seit Januar 2008 dürfen Kopien aus Schulbüchern nur noch mit Zustimmung der Autoren und Verlage angefertigt und für den Unterricht verwendet werden. Nun planen die Verlage, die Einhaltung dieser Regel zu kontrollieren – mithilfe einer Plagiats-Software.

Von Wolfgang Noelke | 05.11.2011
    "Ich verfolge das Thema Urheberrecht schon seit einiger Zeit, aber mit den Regelungen und um Bildung und Wissenschaft habe ich mich weniger beschäftigt, aber dann habe ich eine E-Mail von einer Leserin bekommen, die mich auf diesen Vertrag hingewiesen hat."

    Abgeschlossen zwischen den Kultusministern der Länder und den Verwertungsgesellschaften, sagt Markus Beckedahl, Herausgeber des Blogs Netzpolitik.org. Demnach dürfen Lehrer für den Unterricht zwölf Prozent eines Werkes kopieren, jedoch maximal nur 20 Seiten. Kopieren, so Beckedahl, heißt auch im digitalen Zeitalter nur - fotokopieren:

    "Man dürfte noch nicht einmal aus einem Schulbuch etwas einscannen und an einen Schüler per Mail verschicken, damit sie ihre Hausaufgaben besser machen können. Das ist ja eine sehr absurde Situation. Da ist eine ganze Menge Rechtsunsicherheit und im Endeffekt sorgt dieser Vertrag in Verbindung mit der letzten Reform des Urheberrechtes dafür, dass Lehrer, dass Schüler weiterhin im analogen Zeitalter verharren müssen und nicht wirklich digitale Technologien im Unterricht einsetzen können."

    Die einzige digitale Technologie, die in dem Vertrag eine Rolle spielt, ist eine von den Verlagen auf deren Kosten bereitgestellte Software, die in den Schulen eingesetzte Rechner stichprobenartig nach verbotenen Kopien durchsuchen soll. Vereinbart wurden auch disziplinarische Maßnahmen – also Bestrafung der Lehrer, wenn die Schnüffelsoftware auf irgendeinem Rechner Verstöße gegen das Urheberrecht feststellt. Beckedahl vermutet hinter dem Einsatz des Schul-Trojaners mit gleichzeitiger Strafandrohung den Versuch der Verlage, den Status Quo zu erhalten. Schulbücher werden schließlich aus Papier gemacht – eine traditionell gute Einnahmequelle für Schulbuchverlage:

    "Die Lehrer, die schon digitale Technologien einsetzen – das ist ja eindeutig die Minderheit in Deutschland – die sind gefährdeter, sanktioniert zu werden, weil sie schon Scanner einsetzen können, weil sie Unterrichtsmaterialien per Mail nach Hause senden, als diejenigen, die immer noch computerfern unterrichten und glücklich gehalten werden, dass sie analog arbeiten."

    Marianne Demmer, stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, GEW, hat zwar Verständnis dafür, dass die Verlage Geld verdienen möchten, doch hat sie ähnliche Bedenken, wie Beckedahl:

    "Kein Verständnis habe ich dafür, wenn man jetzt in einem solchen Fall eine Bespitzelungsszenerie aufbaut. Ich befürchte, dass am Ende eine Riesenverunsicherung vorhanden ist. Und wenn das alles noch mit Strafandrohung versehen ist, wird natürlich ein Klima erzeugt, das nicht gerade dazu ermuntert, sich mit den digitalen Medien zu beschäftigen."

    Zumal es noch viel zu wenig Lehrer seien, die sich trotz mangelhafter technischer Ausstattung der Schulen um den Einsatz der dort vorhandenen digitalen Medien kümmern. Auch wenn der Vertrag bestimmt, es käme nur Software zum Einsatz, die datenschutzkonform sei, wäre dies mitbestimmungspflichtig, sagt die stellvertretende GEW-Vorsitzende. Doch weder die Gewerkschaft, noch die Datenschutzbeauftragten der Länder seien bis jetzt in die Softwareentwicklung einbezogen worden.

    Aus dem Büro des Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz, des niedersächsischen Kultusministers Bernd Althusmann kommt die beruhigende Meldung, dass auf jeden Fall die Datenschutzbestimmungen und auch die Mitbestimmungsrechte der Lehrerkollegien einzuhalten wären, bevor eine Software zum Einsatz käme. Mehr könne man zurzeit noch nicht sagen. Zunächst müsse die Angelegenheit in den Parlamenten diskutiert werden.

    Angesichts der Tatsache, dass die Schulbuchverlage bis zum Ende der Vertragslaufzeit, im Jahr 2014 - insgesamt 32,6 Millionen Euro dafür bekommen, damit die Schulen für den Unterricht ein paar wenige analoge Fotokopien anfertigen dürfen - und noch niemand etwas von dem im Vertrag erwähnten sogenannten Schul-Trojaner gehört hat, kein Datenschützer, kein Gewerkschafter – stecke wahrscheinlich eine ganz andere Absicht hinter der umstrittenen Durchsuchungsklausel, vermutet Marianne Demmer.

    "Ich kann mir vorstellen, dass die Verlage in Bezug auf das digitale Vervielfältigen versuchen, einen Fuß in die Tür zu bekommen und gegebenenfalls eine Vereinbarung mit der Kultusministerkonferenz abzuschließen, die diese Fragen regelt."

    Denn längst hätte der Schul-Trojaner die hohen Hürden des Datenschutzes nehmen müssen, wenn er – wie vertraglich vereinbart – als Software im nächsten Jahr eingesetzt werden soll. Vorerst sorgt er nur als, - auf analogem Papier gedrucktes - digitales Phantom für Aufregung.