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Schockenhoff: "Frage, ob Deutschland und Frankreich künftig an einem Strang ziehen"

Andreas Schockenhoff (CDU), Vorsitzender der deutsch-französischen Parlamentariergruppe, befürchtet bei einem Hollande-Sieg eine Aufgabe der Stabilitätspolitik: "Wenn darüber in Europa die Einigung wieder aufgekündigt würde, wäre das ein falsches Signal an die Finanzmärkte."

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Friedbert Meurer | 23.04.2012
    Friedbert Meurer: Das Wahlsystem in Frankreich unterscheidet sich erheblich von dem in Deutschland. In Frankreich werden die Präsidenten direkt gewählt. Die Deutschen dagegen wählen zunächst ihren Bundestag und dann die Bundestagsabgeordneten den Kanzler oder die Kanzlerin. Außerdem wird in Frankreich immer zweimal gewählt. Die beiden bestplatzierten Kandidaten gehen zwei Wochen später in die Stichwahl. Erwartungsgemäß lautet das Duell am 6. Mai Nicolas Sarkozy, der Amtsinhaber, gegen den Herausforderer Francois Hollande. Aber Hollande hatte gestern die Nase vorn und gilt als Favorit.

    Die Wahlen in Frankreich werden hier in Deutschland bei uns aufmerksam verfolgt, natürlich vor allen Dingen wegen der Folgen oder der möglichen Folgen für die Europapolitik. Der französische Amtsinhaber Nicolas Sarkozy war so sehr auf den Europakurs von Kanzlerin Angela Merkel eingeschwenkt, dass sich das Gespann in Frankreich den Namen Merkozy erwarb. Das könnte mit Hollande etwas weniger harmonisch werden.

    – Andreas Schockenhoff ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und er leitet die deutsch-französische Parlamentariergruppe. Guten Tag, Herr Schockenhoff.

    Andreas Schockenhoff: Guten Tag!

    Meurer: Geben Sie Nicolas Sarkozy noch eine Chance für den zweiten Wahlgang?

    Schockenhoff: In Frankreich hat die zweite Runde immer eine andere Logik gehabt als die erste Runde. In der ersten Runde muss jeder Kandidat versuchen, in seinem eigenen Lager so viel wie möglich Stimmen zu sammeln, um die Ausgangssituation für den zweiten Wahlgang zu stärken. Aber der Unterschied mit 1,5 Prozent ist geringer, als dies vorausgesagt worden war in den Umfragen. Und Sarkozy ist bekannt als ein leidenschaftlicher und starker Wahlkämpfer. Also ich glaube, es ist noch nicht entschieden, obwohl natürlich Hollande die bessere Ausgangsposition hat.

    Meurer: Wünschen Sie sich einen Wahlsieg von Nicolas Sarkozy?

    Schockenhoff: Es ist nicht die Frage, was wir wünschen. Wir wünschen natürlich einen Partner, der eine europäische Stabilitätspolitik mitträgt, der Vertrauen bei den Finanzmärkten und bei den Ratingagenturen mit erarbeitet. Und deshalb kommt es ganz entscheidend darauf an, wie die künftige Regierung eingeschätzt wird. Wir haben in den letzten Wochen gesehen, dass die Märkte doch Vertrauen haben in den politischen Willen der Europäer, mehr für Wettbewerbsfähigkeit zu tun, für Haushaltsstabilität, für eine Fiskalpolitik, die Europa im globalen Wettbewerb stärkt. Und die Frage wird sein, ob Deutschland und Frankreich hier künftig an einem Strang ziehen oder gar gegensätzliche Positionen vertreten.

    Meurer: Ist das jetzt eine Umschreibung, mit Hollande würde es gegensätzlich werden?

    Schockenhoff: Hollande hat zumindest im Wahlkampf hier eine Rhetorik gebraucht, die nicht für Stabilität und nicht für Wettbewerbsfähigkeit spricht. Er hat gesagt, man müsse neue Stellen im öffentlichen Dienst schaffen. Er will das Rentenalter nicht erhöhen, sondern absenken. Er will einen neuen Spitzensteuersatz von 75 Prozent einführen. Das sind alles Dinge, die natürlich im Wahlkampf gesagt werden. Aber was hinterher für eine Politik gemacht wird, das wird ganz entscheidend sein. Aber wir sollten jetzt heute, 14 Tage vor dem zweiten Wahlgang, noch nicht so tun, als ob das bereits entschieden sei.

    Meurer: Hollande will auch den Fiskalpakt neu verhandeln, mit dem Haushaltsdefizite im Euro-Bereich automatisch bestraft werden können. Was würde das bedeuten, wenn über alles noch mal neu verhandelt wird?

    Schockenhoff: Das könnte bedeuten, dass die Ratingagenturen eben das Vertrauen in den politischen Willen der Europäer verlieren, wirklich gemeinsam etwas für die Stabilität unserer Währung zu tun. Und wieder in zwei Gruppen zu verfallen: Die einen, die klassisch Nachfrage ankurbeln, indem sie auf Pump, das heißt über Staatsverschuldung staatliche Konjunkturprogramme auflegen. Und die anderen, die sich mit Schuldenbremse an Haushaltsdisziplin orientieren und dafür langfristig die Voraussetzungen für Wachstum setzen. Wenn darüber in Europa die Einigung wieder aufgekündigt würde, noch bevor der Fiskalpakt ratifiziert ist, wäre das ein falsches Signal an die Finanzmärkte.

    Meurer: Es wirkt ja so, dass viele Regierungen in Europa, die auf einen Sparkurs setzen, vom Wähler abgestraft werden. Wir haben jetzt auch eine Entwicklung in den Niederlanden und in Tschechien, die in diese Richtung geht. Ist das einfach so: Wer in Europa spart, der verliert die Wahlen?

    Schockenhoff: Gerade deshalb hat Sarkozy ja so stark auf Deutschland verwiesen. Es war nicht nur die Politik von Frau Merkel, wie Sie eingangs gesagt haben, sondern es war eben auch die Politik von Gerhard Schröder. Und wenn Deutschland in diesem Wahlkampf so eine Rolle gespielt hat, dann deshalb, weil Sarkozy gesagt hat, hier haben wir über den politischen Wechsel hinweg zunächst von Rot-Grün, dann von einer Großen Koalition und dann von einer christlich-liberalen Koalition doch einen relativen Konsens in der Stabilitätspolitik. Und das hat dazu geführt, dass Deutschland heute andere Wachstumszahlen hat und dass Deutschland einen gesunden Arbeitsmarkt hat. Deshalb versucht er, eben nicht kurzfristige Unzufriedenheit zu instrumentalisieren, sondern er setzt schon darauf, dass diese Politik langfristig für die Menschen besser ist. Ob das ankommt bei den Wählern oder ob eher kurzfristiger Protest zum Ausdruck kommt, das ist die entscheidende Frage. Vor allem auch, weil die Wahl in 14 Tagen entschieden wird über die Frage, wer mehr Stimmen von Frau Le Pen bekommt, die mit einer sehr harten antieuropäischen Rhetorik in diesen ersten Wahlgang gegangen ist.

    Meurer: ... und dafür fast 20 Prozent bekommen hat. Erschreckt Sie das?

    Schockenhoff: Das muss uns erschrecken, denn sie hat immerhin kernige Sprüche gemacht: Raus aus der EU, raus aus dem Euro, Stopp der Globalisierung, keine Immigration. Man kann natürlich sagen, das sind kraftmeierische Sprüche, die dem Wahlkampf geschuldet sind, aber es gibt eben 20 Prozent der Franzosen, die dafür gestimmt haben. Das sind Leute, die enttäuscht sind von, sagen wir mal, sowohl den Sozialisten als auch von der UMP von Sarkozy. Die Wählerschaft von Le Pen kommt aus allen Richtungen und es gibt, wenn man die Wählerwanderungen analysiert, viele, die direkt von den Kommunisten zu den Rechtsextremen gegangen sind. Es ist ein typisches Protestwählerpotenzial. Das in konstruktive Politik ummünzen zu wollen, das kann nicht in einer Wahlkampfzeit gelingen. Das ist aber langfristig die Aufgabe, die der künftige französische Präsident und die künftige französische Regierung angehen müssen.

    Meurer: 80 Prozent Wahlbeteiligung hat es gegeben in Frankreich, mehr als bei unserer Bundestagswahl. In Deutschland herrscht zurzeit Politikmüdigkeit. Können wir was lernen von den Franzosen?

    Schockenhoff: Das heißt auch, wie hoch polarisiert dieser Wahlkampf war. Auf der einen Seite können wir was lernen, auf der anderen Seite können die Franzosen auch von uns was lernen. Dass nämlich es bei den großen Parteien im Bundestag mit Ausnahme einer Partei doch einen Konsens gibt für eine Politik, die uns langfristig die Grundlagen für Wachstum und Wohlstand bietet und nicht kurzfristig über staatliche Programme auf Pump Strohfeuer entfacht.

    Meurer: Andreas Schockenhoff, der Leiter der deutsch-französischen Parlamentariergruppe im Bundestag, von der CDU. Herr Schockenhoff, besten Dank und auf Wiederhören.

    Schockenhoff: Auf Wiederhören!

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