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Schöne neue Arbeitswelt

Arbeitskraft wird im Netz versteigert, Kollegen sind Projektpartner. So oder so ähnlich könnte die Arbeitswelt Zukunft aussehen, für manche ist das schon so. Doch die Zukunft der Arbeit muss nicht nur schrecklich sein, sie bietet auch viele Chancen, betont die Autorin Lynda Gratton.

Von Stefan Maas | 02.04.2012
    Alles beginnt vor einigen Jahren mit einer Frage am Küchentisch. Der Sohn, 17, hat gerade die Schule beendet und überlegt, was er beruflich machen soll. Praktisch, wenn die Mutter Professorin an der London Business School ist, Kurse zur Zukunft der Arbeit gibt und Firmen und Organisationen berät. Die aber muss für sich an jenem Morgen feststellen,

    ... dass ich trotz meiner jahrelangen Beratertätigkeit für Unternehmen und meine Forschung nur eine Reihe unausgegorener und veralteter Vorstellungen parat hatte.

    Und so gründet Lynda Gratton mit Kollegen aus der ganzen Welt den Forschungsverbund "Future of Work" und macht sich mit ihrem Team auf die Suche nach der Zukunft der Arbeit. Ein Ergebnis ist das Buch, dessen Titel im Deutschen etwas unglücklich übersetzt ist mit "JobFuture - Future Jobs. Wie wir von der neuen Arbeitswelt profitieren". Das klingt nicht nur nach Selbsthilfebuch, dieser Titel unterschlägt, was der englische "The Shift - The Future of Work is already here" verrät: Vieles, was unsere Arbeit in Zukunft prägen wird, ist bereits Teil der Gegenwart oder zumindest in Ansätzen zu erkennen.

    "Wir sind immer mehr miteinander verbunden. Fünf Milliarden Menschen werden miteinander verbunden sein. Die Technologie hat einen solchen Sprung gemacht, dass ein Großteil des Weltwissens innerhalb der nächsten zehn Jahre digitalisiert sein wird. Die demographische Entwicklung spielt eine große Rolle. Wir leben immer länger. Wir wollen länger arbeiten. Wir haben weniger Kinder, Familien zerbrechen, arrangieren sich neu. Auch die Gesellschaft verändert sich."

    In dieser Videobotschaft auf ihrer Homepage www.lyndagratton.com spricht die Autorin über einige der Faktoren, die ihrer Ansicht nach die gesellschaftliche Entwicklung bestimmen - und damit auch den Rahmen abstecken, in dem sich das heutige Arbeitsleben abspielt.

    Manche werden als bestimmenden Faktor die Technik, andere die Demographie oder die Globalisierung ansehen. Für die meisten von uns wird sich dieser Rahmen allerdings nicht aus einem, sondern aus einer Kombination mehrerer Faktoren zusammensetzen.

    Um das zu illustrieren, entwirft sie aus den Ergebnissen ihres Forschungsverbundes zwei Szenarien für das Jahr 2025. Ein negatives, das sie "die vorgezeichnete Zukunft" nennt - und ein positives: die "Gestaltete Zukunft".

    Im negativen Szenario spaltet sich die Gesellschaft in eine globale Unterschicht, die schlecht ausgebildet ohne Chancen auf dem globalisierten Arbeitsmarkt ist. Und die gut gebildeten, die für Jobs fernab ihrer Familie leben, mit ihren Mitmenschen fast nur noch per Computer kommunizieren, auch weil die enorm gestiegenen Energiepreise Reisen fast unmöglich machen:

    "Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist: Wie bereiten wir uns darauf vor? Wie verhindern wir, dass wir ganz alleine in unserer Wohnung sitzen und niemandem begegnen? Oder zu einer Person werden, die zwischen ihren Aufgaben zerrissen ist und deshalb nie mehr als drei Minuten Zeit hat, um sich auf eine Sache zu konzentrieren. Oder jemand werden, der vom globalen Talentpool ausgeschlossen ist, weil wir unsere Fähigkeiten nicht entwickelt haben. Das ist die Frage, der wir uns alle stellen müssen."

    Denn aus den Forschungsdaten lässt sich noch ein zweites, ein positives Szenario entwickeln. Auch hier gehört der klassische Job fürs Leben der Vergangenheit an. Auch hier arbeiten viele Menschen - ob gering oder hoch qualifiziert - als Kleinstunternehmer auf dem globalisierten Arbeitsmarkt. Doch sie sind hoch spezialisiert, die Technik ist nicht Sklaventreiber sondern Hilfsmittel, sich mit Gleichgesinnten auf der ganzen Welt zu verbinden. Die Menschen werden, so schreibt Gratton, vom Einzelkämpfer zum kreativen Brückenbauer.

    Stellen sie sich die spannende Möglichkeiten vor, wenn sie mit fünf Milliarden Menschen vernetzt sind. In diesen fünf Milliarden Menschen schlummert das Potential, sich zu einem der wichtigen Netzwerke der Zukunft, zur ideenreichen Masse zu entwickeln.

    Neu sind Grattons Szenarien nicht. Doch was ihr Buch von vielen Büchern zum Thema abhebt, ist, dass sie sich nicht damit zufrieden gibt, lediglich Szenarien zu entwerfen. Vielmehr will die Londoner Professorin für praktisches Management ihre Leser fit machen für diese - wie sie es nennt - "positive Zukunft". Sie fordert sie immer wieder im Verlaufe des Buches dazu auf, sich über ihre gegenwärtige Arbeit, ihr Leben Gedanken zu machen. Was ist wichtig, wo liegen die eigenen Interessen und Schwerpunkte? Das sind für Gratton die entscheidenden Fragen, um aktiv die ganz persönliche Arbeitsperspektive zu gestalten.

    Als Hilfestellung für die Praxis hat sie für Ihre Studenten ein kleines Arbeitsbuch zu ihren Thesen entwickelt. Das können sich auch die Leser von ihrer Internetseite herunterladen, um strukturiert an der eigenen Entwicklung zu arbeiten:

    "Im Grunde geht es darum: Sie müssen drei Veränderungen in ihrem Leben vornehmen. Erstens, als Generalist kommen Sie nicht weiter. Wenn sie von allem ein bisschen wissen, dann konkurrieren Sie mit Wikipedia. Sie müssen ein Meister ihres Faches werden. Zweitens: Wenn sie denken, es geht nur darum mit anderen zu konkurrieren. Das stimmt nicht. Es geht darum, gute und tiefe Beziehungen mit einer kleinen Gruppe aufzubauen. Dem regenerativen Umfeld. Und mit der ideenreichen Masse. Und drittens geht es darum, ein paar sehr schwierige Entscheidungen zu treffen, welche Art Leben Sie führen wollen."

    Denn in Zukunft, davon geht die Wissenschaftlerin aus, geht es nicht mehr ums schnelle Geld. Vielmehr gilt es, so die Autorin, seine beruflichen Chance zu ergreifen und sich ein Leben zu schaffen, das erfüllt.

    Zugegeben, diese Erkenntnisse sind ebenfalls nicht neu. Auch wiederholt Gratton die Punkte, die ihr wichtig sind mit missionarischem Eifer bis zur Erschöpfung. Hier hätte man sich einen Lektor gewünscht, der seine beruflichen Chancen ergreift.

    Das Buch ist dennoch aus mehreren Gründen lesenswert. Erstens ist es interessant zu beobachten, wie meisterlich Gratton genau das macht, was sie als wesentlichen Bestandteil zukünftiger Arbeit hervorhebt: Aktiv für sich werben, aber auch potentielle Mitarbeiter anlocken, damit sie sich an den eigenen Projekten beteiligen. Auf Grattons Homepage, in ihrem Blog und durch den Newsletter bekommen die Leser zusätzliche Infos und Materialien oder können als Teil der ideenreichen Masse selbst aktiv zur Arbeit von Grattons Forschungsverbund beitragen.

    Und es regt den Leser an, sich selbst zu prüfen: wo seine Fähigkeiten liegen und wie erfüllende Arbeit für ihn aussehen muss. Denn das ist - laut Gratton - was zählt. Und dann wird nachvollziehbar, warum sie ihren Sohn bei der Wahl seines Traumberufes unterstützt - obwohl sie ihm als Forscherin davon hätte dringend abraten müssen. Viel zu unsicher. Zu viel Konkurrenz im Internet. Und vor allem auch in finanzieller Hinsicht eine echte Herausforderung. Ihr Sohn will Journalist werden.

    Lynda Gratton: Job Future - Future Jobs. Wie wir von der neuen Arbeitswelt profitieren
    Hanser Verlag, München 2012
    368 Seiten, 24,90 Euro