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Schönheitsköniginnen vor und hinter der Kamera

Der Starrummel war groß, als Angelina Jolie zur Berlinale ihre erste Regiearbeit "In The Land Of Blood And Honey" mitbrachte. Das Werk zum Bürgerkrieg in Bosnien erntete viel Kritik, jetzt kann man sich seine eigene Meinung bilden. Außerdem neu im Kino: Jason Reitmans "Young Adult" und Doris Dörries "Glück".

Von Hartwig Tegeler | 22.02.2012
    "Young Adult" von Jason Reitman

    "Ich meine, man macht im Leben so viele Fehler, aber das Schicksal sorgt am Ende, dass man bei dem landet, für den man bestimmt ist",

    sagt Mavis über ihr Leben. Oder - Moment! - zitiert Mavis nicht doch nur eine der Figuren, die sie als Ghostwriterin für die Highschool-Romanserie erdacht hat? Mitte 30, ledig, noch (!) versorgt mit One-Night-Stands: Kein Wunder, dass Mavis in Jason Reitmans Film "Young Adult" sich in Torschlusspanik aufmacht nach Mercury, Minnesota, um ihren alten Highschool-Schwarm zu überzeugen, wieder zu ihr zurückzukehren. Der ist allerdings glücklich das erste Mal Vater geworden. Erste Begegnung, ja ... sehr peinlich, und daran wird sich nicht viel ändern im Verlauf von "Young Adult".

    "Hier ist das Buch für deine Nichte. - Oh! Ja. Danke, dass du daran gedacht hast. Ich werde es ihr schicken. - Für einen der Charaktere da drinnen bist du die Vorlage."

    Erwachsen werden will Mavis nicht, die Realität sehen ebenso wenig. Allerdings kommt Regisseur Jason Reitman, der so schöne Filme wie "Thank You For Smoking", "Juno" oder "Up In The Air" gedreht hat, nicht auf die Idee, Mavis dafür zu denunzieren. Charlize Theron darf also eine komplexe, peinliche, traurige und tragische Figur spielen. Hilfe bekommt Mavis von Matt, ...

    "Ich glaube, wir waren zusammen auf der Highschool."

    ... der seinerzeit, als sie noch Highschool-Schönheitskönigin war, als Schwuler denunziert, misshandelt und verstümmelt wurde. Und trotzdem aus Mercury, Minnesota, nicht rauskam. Solch ein Schicksal schärft den Sinn für Realität, und davon wird Mavis auf schmerzhafte Weise profitieren ... müssen. Das ist nicht sehr spektakulär und gerade deswegen eindrucksvoll.

    "Young Adult" von Jason Reitman - herausragend.


    "Glück" von Doris Dörrie

    Was ist Glück? Mehr als ein Moment auf einer Schaukel?

    "Gleich kommt der Wupp-Dich. - Was? - Der Wupp-Dich. Kennst den nicht? - Nein. - Ist der Moment, wenn du ganz bist und alles stehen bleibst, und alles ist gut."

    Irina und Kalle in Doris Dörries Film "Glück". Irina stammt aus Bosnien; ihre Eltern wurden von marodierenden Soldaten ermordet, sie vergewaltigt. Nun, in Berlin, geht Irina auf den Strich.

    "Ich lege dir das Geld hierher, Natascha. Wie geht´s dir? Alles gut, danke."

    Kalle und Irina; Kalle ist Punker, obdachlos. Die beiden verlieben sich, ziehen in eine kleine Wohnung.

    "Wo kommst denn du her? - Weit weg. Und du? - Von hier! Trotzdem weit weg."

    Können zwei zusammen kommen, die so weit weg voneinander sind?

    "Was willst du von mir. Sag, hau ab. Sag es doch. Ich werde nie sagen, hau ab."

    Doris Dörrie in dieser Geschichte zweier Verlorener erzählt die ganze Spannbreite von sozialrealistischem Märchen, Melodram und - ja, kein Scherz - Splattermovie. Vor allem die wunderbare Alba Rohrwacher, die an der Seite von Kalle alias Vinzenz Kiefer die Irina spielt, gibt der Dörrieschen Konstruktion Lebendigkeit, also das, was wir Kinogänger brauchen, um uns solch einer Geschichte anzuvertrauen, auch wenn eine Leiche in Einzelteilen mit dem Fahrrad durch Berlin gefahren wird. Glück jedenfalls bemisst sich hier daran, was du bereit bist, für deine Liebe zu geben. Nicht die schlechteste Philosophie über das Leben.

    "Glück" von Doris Dörrie - empfehlenswert.


    "In The Land Of Blood And Honey" von Angelina Jolie

    Alles in Angelina Jolies Film "In The Land Of Blood And Honey" ist vom Krieg infiziert. Es gibt kein Jenseits des Bürgerkrieges. Ajla und Danijel, bosnische Muslimin und bosnischer Serbe, verlieben sich; dann beginnen die Massaker und ethnischen Säuberungen. In einem Vergewaltigungslager treffen er als Wächter und sie als Gefangene wieder aufeinander.

    "Den Leuten von der Mannschaft habe ich gesagt, dass sie dich nicht anfassen dürfen, dass du mir gehörst."

    Sie wird zu seiner persönlichen Geliebten. Oder Sklavin?

    "Sag, bin ich deine Gefangene? - Du bist nur eine Gefangene, wenn du nicht bleiben möchtest."

    Falsch ist es, in der Figur des Serben und der Muslimin eine Art "Romeo und Julia"-Beziehung zu sehen, denn Angelina Jolie zeichnet keine Liebesgeschichte, die vom Krieg in ihrem Innern unbeschadet bliebe. Danijel und Ajla bleiben dem Geliebten gegenüber ambivalent, dabei finden ihre Motive keine flache Erklärung. Klugerweise lässt Angelina Jolie diese fundamentale Widersprüchlichkeit stehen.

    "Soll ich dir sagen, was mein Geheimnis ist, Ayla? - Ja. - Ich will in diesem Krieg überhaupt nicht mitmachen. Ich töte Leute, mit denen ich zur Schule gegangen bin. Und dabei werde ich fast verrückt. Aber meinem Vater, General Hokojevicz, dem macht das gar nichts aus."

    Mal gibt dieser Mann sich also pazifistisch, dann erschießt er, ohne mit der Wimper zu zucken, Zivilisten. - "In The Land of Blood and Honey" ist kein perfekter Film, manche Nebenfiguren oder Handlungsstränge bleiben flach. Doch Angelina Jolie hat ein verstörendes Bild gezeichnet, wie im Menschen die Bestie jederzeit bereitsteht zum (Kriegs)Einsatz. Vor allem aber zeigt "In The Land Of Blood And Honey" - und das macht den Film besonders -, wie Frauen im Krieg zu Material werden, zum Objekt von Gewalt und sexuellem Missbrauch. Am Ende sagt der Vater:

    "Mein Sohn, lass sie verschwinden, das ist nicht gut für dich. Wir bekämpfen sie, wir schlagen sie, weil es richtig ist. Auch sie muss weg."

    "In The Land Of Blood And Honey" von Angelina Jolie - empfehlenswert.