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Schönheitskult in Lima

Mit seinem ersten ins Deutsche übersetzten Roman "Die blaue Stunde" konnte der Peruaner Alonso Cueto überzeugen. In seinem jetzt erschienen Roman "Das Flüstern der Walfrau" führt Cueto die Leser wieder in seine Heimat Peru, in die Viertel der Hauptstadt Lima, in denen die Wohlhabenden zwischen eleganten Büros, Cocktailpartys und Fitness-Studios pendeln.

Von Eva Karnofsky | 25.03.2008
    Verónica kann zufrieden sein. Ihre Arbeit als Auslandschefin einer Wochenzeitung bringt ihr Spaß und Ruhm, macht sie zum gern gesehenen Gast von Botschaftern und sonstigen Würdenträgern, und führt sie per Business Class in die besten Hotels dieser Welt. Sohn Sebastián macht ihr keine Sorgen, ebenso wenig der zwar langweilige, aber dafür folgsame Ehemann, den Verónica regelmäßig und ohne größere Gewissensbisse betrügt.

    Sie ist 42 Jahre alt, und Dank eisernem Fitnesstraining und teurer Boutiquen eine attraktive Erscheinung. Kurz: Verónica ist die typische emanzipierte Frau aus Limas besseren Kreisen.

    Und doch stimmt etwas nicht mit ihr - das erfährt der Leser bereits auf den ersten Seiten. Sie fühlt sich nicht gut in letzter Zeit und man hat sie kürzlich blutüberströmt in ein Krankenhaus einliefern müssen. Schon bald lässt sich erahnen, dass dies etwas mit Rebeca zu tun haben muss. Auf dem Rückflug aus den USA hat Verónica die Schulfreundin wiedergetroffen, nach 25 Jahren. Mit diesem zunächst scheinbar zufälligen Wiedersehen beginnt für Verónica ein Alptraum.

    Cueto wählt für "Das Flüstern der Walfrau" die gleiche Struktur wie schon für die "Die blaue Stunde". Er schlüpft in die Haut seiner Protagonistin, die - in Ich-Form - ein Buch schreibt über die Ereignisse, die sich seit jenem Zusammentreffen im Flugzeug zugetragen haben, und die die sorgsam verdrängte, gemeinsame Vergangenheit wieder in Verónicas Gedächtnis rufen und sie dazu zwingen, Bilanz über ihr bisheriges Leben zu ziehen.

    Rebeca ging zwar in die gleiche, vornehme Privatschule wie Verónica, doch sie passte dort nicht hin.

    In der abgelegenen Region des Lebens, in der sie aufgewachsen war, hatte sie niemand vorbereitet auf ihren Eintritt in die glückliche Hölle des Gelächters und der Tuscheleien, des Spotts und der Kritzeleien auf den Klos, in der die Mädchen und Jungs einer Schule genüsslich verweilten. Für die anderen hatte die höfliche Art, wie Rebeca redete, etwas Lächerliches.

    Rebeca wurde von ihren Tanten noch streng katholisch erzogen, als sich die obere Mittelschicht Limas bereits liberal gab. Sie stammte aus bescheideneren Verhältnissen als ihre Klassenkameraden, und vor allem: Rebeca war schon damals unförmig dick.

    So fand die Freundschaft der beiden ausschließlich hinter den schützenden Wänden von Rebecas Zimmer statt, damit sie, die "anatomische Farce", die schöne Verónica nicht vor den Klassenkameraden kompromittierte. Irgendwie schien das ganz selbstverständlich, auch für Rebeca.

    Du bist so schön, und ich bin so schrecklich, so abstoßend,

    schrieb sie Verónica einmal. Manchmal tat Rebeca Verónica leid. Doch hinderte sie dies nicht daran, die schwergewichtige Freundin grausam zu verraten und dieser dafür auch noch selbst die Schuld zu geben.

    Ihre Einsamkeit war ein Gefängnis, in dem sie die Strafe für ihre vielen unfreiwilligen Fehler verbüßte.

    Rebecas Fehler, das waren ihre Esssucht und ihr Dicksein. Ein Erbe beschert Rebeca dann ein Millionenvermögen, und das Geld, das über gesellschaftliches Sein oder Nichtsein entscheidet in Peru, gibt ihr die Kraft, Rache zu nehmen. Hochspannend erzählt Cueto, wie sie, die Walfrau, sich in Verónicas Leben einschleicht, ihr immer näher kommt, für Verónica schließlich zur Bedrohung wird. Und Rebeca bringt sie dazu, zu erkennen, dass sie nicht die starke Frau ist, die sie vorgab zu sein, sondern von Ängsten getrieben wird - Ängsten vor dem Verlust des Erfolgs, der Schönheit, der Jugend.

    Ach, so viele Cremes. Und so viele Flecken. Es tut mir in der Seele weh, wenn ich sehe, wie meine Haut verwelkt.

    Nicht nur Rebeca, auch Verónica ist gefangen in einer Gesellschaft, in der Sex mit Liebe, Partys mit menschlicher Nähe, Klatsch mit einem guten Gespräch und gutes Aussehen mit einem guten Charakter verwechselt werden. Doch während Rebeca, auch erst durch ihre Millionen unabhängig geworden von der Meinung der anderen, sich schließlich für die Rebellion entscheidet, ist Verónica Apologetin dieser Oberflächlichkeit, wenn sie etwa in ihrer Zeitung über Fitness-Studios schreibt:

    Eine Zuflucht, ein Heiligtum, ein Tempel. Wir Mitglieder sind wie die Angehörigen einer Sekte. Alle betreten wir das Studio in Erwartung auf Erlösung, wie Gläubige einer Kirche.

    Dabei hatte sie schon früh gespürt, dass sie sich gern über Bücher, Musik und Filme austauschte, und Rebeca die einzige war, die ihre Interessen teilte, ja mehr noch: die einzige war, der sie vertrauen konnte. Doch Verónica wählte den scheinbar einfachen Weg, den der Anpassung an die gesellschaftliche Schicht, in der sie groß geworden war. Sie opferte dafür Rebeca - und sich selbst.

    "Das Flüstern der Walfrau" ist ein Entwicklungsroman mit Zügen eines Thrillers, ein Roman über Freundschaft, Verrat und Verzeihen. Doch Cuetos Buch ist auch eine bitterböse, oft ironische Abrechnung mit einer Gesellschaft, die sich dem Fitness- und Schönheitswahn verschrieben hat. Es wird zur Satire, wenn sich Frauen Hämorrhoidensalbe gegen die Tränensäcke ins Gesicht schmieren oder jeder mit Hass begegnen, die besser angezogen ist als sie selbst.

    Alonso Cueto empfiehlt sich mit seinem - flüssig übersetzten - Roman als einer der jüngeren lateinamerikanischen Autoren, die zwar die Erzählkraft und die Ausdrucksstärke des Magischen Realismus geerbt, jedoch dessen ländliches Lateinamerika weit hinter sich gelassen haben. Sie nehmen sich den Themen einer urbanen, globalisierten Welt an. Zwar ist der Körperkult unter den Wohlhabenden Perus besonders ausgeprägt, doch eine Verónica ist längst nicht nur in Lima anzutreffen.

    Alonso Cueto: Das Flüstern der Walfrau. Roman.
    Aus dem Spanischen von Matthias Strobel.
    Berlin Verlag, Berlin 2007