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Schottland-Referendum
Europarechtliches Neuland

Für Schottland ist es ein historischer Tag - egal wie das Ergebnis ausfallen wird. Die Europäische Union verfolgt das Unabhängigkeitsreferendum in Schottland ebenfalls besonders aufmerksam. Eine Abspaltung der britischen Region hätte deutliche europarechtliche Folgen.

Von Jörg Münchenberg | 18.09.2014
    Die Fahnen Schottlands, Englands, des Vereinigten Königreichs und der EU an einem Gebäude in Edinburgh.
    Noch hängen in Edinburgh die Flaggen Schottlands, Englands, des Vereinigten Königreichs und der EU vereint zusammen. (afp / Lesley Martin)
    Seit Tagen schon gibt sich die EU-Kommission gegenüber dem Schottland-Referendum betont schmallippig. Auch auf die hartnäckigsten Fragen der Journalisten über die möglichen Konsequenzen für die EU will sich die Kommissionssprecherin nicht äußern:
    "No comment from the European Commission."
    Nein, und Notfallpläne seien auch nicht geplant, auch keine Sondersitzung am Freitag, wenn das Ergebnis über das Referendum zur schottischen Unabhängigkeit vorliegen wird. Denn, so die Sprecherin weiter, das alles sei in erster Linie eine schottische bzw. britische Angelegenheit:
    "Natürlich beobachten wir das auch mit großem Interesse. Wir warten jetzt ab, wie sich die Schotten entscheiden werden. Danach werden wir uns eine angemessene Reaktion überlegen. Mehr kann ich dazu nicht sagen: aber zuerst einmal werden wir die Entscheidung der Schotten respektieren."
    EU-Verträge nicht eindeutig
    Doch natürlich hätte die Loslösung Schottlands von Großbritannien auch erhebliche europarechtliche Folgen. Schottland müsste wohl erst einmal aus der EU austreten, so hatte es zumindest 2012 EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso in einem Brief an einen britischen Parlamentarier formuliert. Ein neuer unabhängiger Staat würde im Falle seiner Unabhängigkeit ein Drittland werden, heißt es da.
    Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Denn die EU-Verträge enthalten zwar Regeln für einen Beitritt oder einen Austritt. Über die Folgen einer demokratisch legitimierten Aufspaltung eines Mitgliedslandes schweigt sich der Vertrag jedoch aus. Dennoch wäre das weitere Verfahren absehbar, sagt Fabian Zuleeg, Chefvolkswirt vom European Policy Centre, einer Brüsseler Denkfabrik. Schottland müsste einen eigenen EU-Aufnahmeantrag stellen:
    "Also, ich denke, dass mittelfristig ein unabhängiges Schottland Mitglied der EU wäre. Ich kann es nicht sehen, dass die EU einem Land, dass die Auflagen der EU erfüllt, innerhalb Europas ist und ein Teil der EU sein möchte, dass man diesem Land dauerhaft den Zutritt verwehrt. Das heißt, es geht um den Prozess. Es geht darum, wie lange dieser Prozess dauert. Und zu welchen Konditionen ein unabhängiges Schottland in die EU käme."
    Sorge vor Dominoeffekt
    Doch die Sorge in der EU vor einem möglichen Dominoeffekt bei einem "Yes" der Schotten ist gewaltig. Das spanische Katalonien, das belgische Flandern, Südtirol oder das Baskenland – überall in Europa gibt es starke regionale Bewegungen für eine größere Unabhängigkeit oder sogar einer Abspaltung vom Mutterland. Daran kann Brüssel kaum gelegen sein.
    Und dann, so Zuleeg, wären da noch die dramatischen Konsequenzen einer schottischen Unabhängigkeit für das chronisch europaskeptische Großbritannien selbst:
    "Das bedeutet, dass z.B. sich das politische Zentrum in den Süden verlagern würde. Wo die Bevölkerung traditionell mehr europaskeptisch ist. Das heißt, wir würden eine starke Tendenz zum noch stärkeren Euroskeptizismus in Großbritannien kriegen. Das heißt, ein Austritt Schottlands aus Großbritannien hätte auch mittelfristig einen Austritt Großbritanniens aus der EU zur Folge."
    Dabei hat die EU größtes Interesse daran, dass die Insel in der EU bleibt. Nicht umsonst habe der designierte EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker ausgerechnet dem Briten Jonathan Hill – selbst ein Finanzlobbyist - die Zuständigkeit für die Finanzmarktregulierung übertragen, heißt es in Brüssel. Doch zunächst sind jetzt die Schotten an der Reihe, meint auch Sonia Piedrafita vom Center for European Policy Studies:
    "Es ist ein Vorgang, der rechtlich nicht zu beanstanden ist; es ist ein friedlicher Vorgang nach demokratischen Spielregeln. Und wie immer das Ergebnis ausgeht – die EU muss es akzeptieren."